Hannover/Kiel. Wo die Sportler in dem Schutzgebiet unterwegs sind, regelte bisher ein Kompromiss. Doch ein Gerichtsentscheid bringt neuen Wind in die Debatte.
Meterhohe Sprünge und rasante Fahrten über das Wasser: Kitesurfen ist für manchen Wassersportler der Inbegriff von Freiheit. Um Vögel und Robben zu schützen sind im Nationalpark Wattenmeer aber auch Grenzen gewollt.
In Niedersachsen wirbelte jüngst ein Gerichtsentscheid die bisher geltenden Regelungen durcheinander. Seitdem ist eine alte Debatte neu entbrannt: Was ist auf dem Wasser erlaubt - und wer regelt das?
Warum gibt es überhaupt Streit?
Das Kitesurfen im Wattenmeer ist seit Jahren ein heiß diskutiertes Thema: Während Naturschützer und Nationalparkverwaltungen auf den Schutz etwa von Vögeln und Robben pochen, wollen Wassersportler dagegen auch in küstennahen Gewässern unterwegs sein. In Niedersachsen gibt es seit vergangenen Dezember neue Diskussionen: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) entschied, dass Kitesurfen im Nationalpark Wattenmeer auch außerhalb von bislang ausgewiesenen Zonen zulässig ist und gab damit zwei Kitesurfern Recht. Die hatten nämlich gegen die Vorschriften des Nationalparks geklagt.
Wie sah die bisherige Regelung in Niedersachsen aus?
Die Nationalparkverwaltung berief sich bei den Kitesurf-Regeln bislang auf das Landesgesetz über den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer (NWattNPG). Demnach ist allgemein das Drachensteigenlassen nur in bestimmten Zonen an der Küste erlaubt. Die Behörden argumentierten, dass auch Kitesurfer, die von einem durch Wind getriebenen Drachen über das Wasser fahren, ebenfalls unter diese Regelung fallen. Das OVG sah das anders: Beim Kitesurfen gehe es um das Befahren einer Bundeswasserstraße. Für die Regelungen dort sei der Bund zuständig und die aktuelle Befahrensordnung für die Nordsee sehe ein Kitesurf-Verbot nicht vor, hieß es. Die bisherigen Regeln für das Kitesurfen in Niedersachsen sind damit ungültig. Nun gibt es eine rechtliche Lücke, die das Land allein nicht schließen kann.
Warum ist Kitesurfen im Wattenmeer überhaupt reguliert?
Der Nationalparkverwaltung und Umweltverbänden geht es darum, den Lebensraum Wattenmeer für Tiere zu schützen. Wasservögel etwa versammeln sich bei Flut auf Rastplätzen, um bei Ebbe wieder auf Nahrungssuche gehen können, sagt der Leiter des WWF-Wattenmeerbüros, Hans-Ulrich Rösner, in Husum. "Wenn diese Vögel rasten brauchen sie vor allem Ruhe." Große Objekte in der Luft, Greifvögel oder aber Drachen, könnten diese stören. Gerade Kiter kämen auch in flachen Gewässern näher an Vogel-Rastplätze als etwa Segelboote. "Der Störfaktor, der von Kitesurfern ausgehen kann, ist schon relativ ausgeprägt und nach meinem Wissen ausgeprägter als bei jeder anderen Wassersportform, die wir kennen", sagt Rösner.
Welche Reaktionen gibt es auf den Entscheid in Niedersachsen?
Aus Sicht von Naturschützern, Nationalparkverwaltung und Umweltministerium war die bisherige Regelung ein guter Kompromiss. Auf eine übergeordnete Regelung des Bundes will Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) nun nicht länger warten. Es gehe nicht darum, Kitesurfen pauschal zu verbieten. Vielmehr brauche es einen Kompromiss. "Ein kluger, freiwilliger Interessenausgleich, bei dem man Zonen mit Augenmaß festlegt, in denen das Kiten möglich ist, ohne die Schutzziele des Nationalparks Wattenmeer zu gefährden", sagt Lies. Der Minister will dazu an diesem Donnerstag mit Wassersportverbänden und Kitesurfern das Gespräch suchen.
Welche Regelungen gelten in Schleswig-Holstein?
In Schleswig-Holstein haben Land, Gemeinden, Naturschützer, Touristiker und Wassersportler 2017 einen solchen Kompromiss bereits ausgehandelt. Es wurde in einem "schwierigen Prozess" eine Kulisse von 22 Gebieten im Wattenmeer gefunden, in denen das Kitesurfen erlaubt sein soll, wie die stellvertretende Leiterin der Nationalparkverwaltung Schleswig-Holstein, Kirsten Boley-Fleet sagte. Noch sind die Regelungen freiwillig, sie sollen aber als Grundlagen für die novellierte Befahrensordnung dienen. Für die Ostsee gibt es bereits seit 2016 eine eigene Befahrensordnung.
Funktioniert die bisher freiwillige Regelung in Schleswig-Holstein?
Die schleswig-holsteinische FDP-Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen sagt, der Großteil der Kitesurfer komme aus dem Norden und sei mit einem Bewusstsein dafür aufgewachsen, wie sensibel das Ökosystem Wattenmeer ist. "Das beweist auch die freiwillige Vereinbarung, die die Surfer mit der Landesregierung eingegangen sind. Meiner Ansicht nach funktioniert das sehr gut", sagt Jensen.
Ein Sprecher des Schleswig-Holsteinischen Umweltministeriums sagt, die Vereinbarungen mit den Wassersportverbänden haben zu einer Sensibilisierung der Verbände und der in ihnen organisierten Mitglieder geführt. Er räumte aber ein, dass vor allem die nichtorganisierten, individuellen Wassersportler über solche freiwilligen Vereinbarungen nicht erreicht werden können. "Hier ist eine vermehrte individuelle Ansprache vor Ort erforderlich."
Was unternehmen die Küstenländer noch für eine Neuregelung?
Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen legten bereits 2017 in einer gemeinsamen Initiative einen Entwurf für eine angepasste Befahrensordnung vor. Zuvor hatte es Gespräche mit Wassersport- und Naturschutzverbänden gegeben - aus Sicht der Länder wurden so tragfähige Kompromisse gefunden. Der gemeinsame Antrag der Küstenländer für die Novellierung liegt seitdem beim zuständigen Bundesverkehrsministerium. Niedersachsens Umweltminister Lies appellierte zuletzt nach dem OVG-Entscheid in einem Brief an die Bundesregierung, den Nationalpark Wattenmeer besser zu schützen und endlich eine geänderte Befahrensordnung auf den Weg zu bringen.
Wie geht es nun weiter?
Für eine neue Befahrensordnung liegt der Spielball bei der Bundesregierung. Auf Anfrage teilte das Bundesverkehrsministerium Anfang des Jahres mit, dass das Haus die niedersächsische OVG-Einschätzung teile und sich als regulierende Behörde zuständig sehe. Aktuell werde an einer Änderung der Befahrensordnung (NPNordSBefV) gearbeitet. "Die Länder- und Verbändeanhörung wird für die kommenden Monate angestrebt", teilte ein Sprecher damals mit. Bei der Neuregelung solle eine Lösung gefunden werden, die die Interessen von Naturschutz und Nutzern des Wattenmeers berücksichtige, hieß es. (dpa)