Essen. Nirgendwo sonst gibt es so viele Bauwerke des legendären Hyparschalen-Spezialisten Ulrich Müther wie auf Rügen. Es sind bedeutende Beispiele der DDR-Moderne.

Wer zum ersten Mal am Binzer Strand entlang spaziert, traut seinen Augen kaum. Plötzlich taucht etwas Weißes auf. Es steht auf einer Säule und sieht aus wie ein Ufo auf Urlaub. Seine ovalen Fensterfronten und dünnen Wände lassen beim Betrachter ein Gefühl der Leichtigkeit entstehen, das perfekt harmoniert mit der unendlichen Weite von Himmel und Meer. Das futuristische Stielauge wurde vom DDR-Architekten Ulrich Müther (1934-2007) als Rettungsturm erbaut. Heute wird es ebenso eifrig wie begeistert frequentiert von Hochzeitspaaren aus aller Welt als origineller Rahmen für die Trauung am schönsten Tag ihres Lebens.

Mutig. Mutiger. Müther. Der „Landbaumeister von Rügen“, wie er sich selbst nannte, war ein Visionär, für dessen wunderbar luftige und extravagante Werke es keinerlei Normen gab. Der Spezialist wurde berühmt durch seine filigranen Dächer aus Spritzbeton-Hyparschalen, die wie schwebende Segel oder schwingende Flügel große Flächen überspannten. Damit setzte er nicht nur bewusst krasse Kontraste zur DDR-Plattenbau-Architektur, seine doppelt gekrümmten Schalen sind wahre Perlen der Ingenieurskunst, architektonische Kunstwerke und bedeutende Beispiele der DDR-Moderne.

Gestrandetes Schiffswrack

In 36 Berufsjahren schuf Müther 74 Schalenbauten: Messehallen, Gaststätten, Orchesterpavillons, Bushaltestellen, Bob- und Rennschlittenbahnen, Velodrome in Stettin und Havanna, Planetarien in Libyen und Kuwait. Und sogar die kapitalistische BRD lieh sich den Könner aus – als „Lohn“ für seine Arbeit am Planetarium in Wolfsburg kehrte er 1983 mit 10 000 VW Golf in die DDR zurück. Noch heute stehen Müthers Arbeiten in Rostock, Altenberg, Oberhof, Helsinki oder Tripolis. Und natürlich auf der Insel Rügen! Mit sage und schreibe zwölf Werken sogar so viele wie nirgendwo sonst.

Neben dem E.T., der seinen Kopf aus den Binzer Dünen steckt, kann man hier also zum Beispiel die ebenfalls mit großem Aufwand restaurierte Kurmuschel in Sassnitz bestaunen – eine versteinerte Walschwanzflosse, die zwischen zwei bulläugigen Schiffsrümpfen auf-taucht. Im Ferienort Glowe ragt die dreieckige Gaststätte „Ostseeperle“ wie ein gestrandetes Schiffswrack Richtung Meer. Und das „Inselparadies“ in Baabe besticht wie einst mit herrlichem Panoramablick und dank sizilianischem Gastronom seit kurzem mit mehr als einem Hauch von Italien am Ostseestrand. Zweckmäßige Alltagsnutzung in utopischem Outfit – ganz so, wie Ulrich Müther es allezeit wollte.

>>> Info

Tourismuszentrale Rügen, Tel. 03838/80 77 80, www.ruegen.de/inselbaukunst