Essen. . Nirgendwo sonst auf der Insel Rügen gibt es so viele Bäderarchitektur-Prachtstücke wie im Ostseebad Binz. Im Mai wird das einen Monat lang gefeiert.

„Was dabei herauskommt, wenn Mann und Frau sich nicht einigen können, sehen Sie hier“, lenkt Günther Koberstein den Blick auf das Dach einer weißen Schönheit an der Binzer Strandpromenade. Dort oben nämlich räkelt sich eine nicht besonders liebreizende Sirene. Ihre Oberarme sind recht kräftig, ihre Züge seltsam maskulin. Die Erklärung: „Besitzer Meier hatte zunächst einen Poseidon mit Vollbart und Dreizack in Auftrag gegeben. Seine Frau hingegen ordnete beim Bildhauer eine Geschlechtsumwandlung an. Der Bart musste ab, ein Busen kam dran. Und so wurde aus Neptun schließlich eine Nixe.“

So geschehen im Jahre 1912, als aus dem winzigen Fischerdorf Binz in rasantem Tempo bereits das „Sorrent des Nordens“ geworden war. Mit Kurhaus und Seebrücke. Mit Herren- und Damenbad. Und einem Mondän-Flair, das die Prominenz aus Adel und Wirtschaft, Kunst und Kultur in vollen Zügen genießt: Im Kurhaussaal trifft man sich zu rauschenden Ballnächten, in der Kakadu-Bar zu legendären Partys. Architektonischer Ausdruck des Booms: Die Bäderarchitektur hält Einzug in großem Stil. An der Strandpromenade und im Ortskern entstehen weiß leuchtende Perlenketten von Villen, die auf den ersten Blick wie aus einem Guss wirken.

Die Villa Haiderose an der Binzer Promenade.
Die Villa Haiderose an der Binzer Promenade. © TMV/KIRCHGESSNER

Mix der Stile und Epochen

Doch weit gefehlt. Wie bei Diven nicht unüblich, hat jede ihren eigenen Charakter und Charme. Je nach Wünschen und Vorlieben des Bauherrn trägt die Lady mal Kleider aus Renaissance und Barock, mal aus Klassizismus und Gründerzeit, hin und wieder sogar ein Fachwerk-Korsett. Sie schmückt sich antik mit Tempelportalen und Säulen, mag aber auch dreieckige Giebel und auffällige Erker. Ihre Fensteraugen können exotisch gotisch sein, aber auch modern jugendstilistisch. Als Hingucker-Vorbauten liebt sie Holzloggien mit filigranen Schnitz- oder Metallarbeiten und auf dem Kopf kecke Spitzhüte aus Türmchen oder Dachreitern. Sie kommt daher in alpenländischer Tracht, in nordischem Outfit und sogar in russischem Pelz. Kurzum eine ganz und gar irre Show-Truppe, die da unter dem Namen Bäderarchitektur aufläuft. „Das ist eben keine eigenständige Kunst- oder Stilgattung“, stellt auch Gästeführer Koberstein nachdrücklich klar. „Gerade im Mix der Stile und Epochen liegt ihr spezifischer Reiz.“

Herausragende Beispiele der Binzer Bäderarchitektur sind heute bei individuellen und geführten Spaziergängen durch den Ort zu bewundern. Die meisten Bädervillen und historischen Logierhäuser wurden nach 1990 aufwändig restauriert und zeigen sich heute bildschön wie einst zu Kaisers Zeiten. Zum Beispiel die „Villa Salve“ von 1889. Ein traditionsreiches Haus, im dem schon Helmut Kohl, Angela Merkel oder das norwegische Kronprinzenpaar stilvoll residierten. Das Hotel im italienischen Neorenaissance-Stil mit Aphrodite am Dachfirst und Löwenskulpturen am Eingangsrondell blickt zurück auf eine bewegende Geschichte, etwa als Tagungsort einer Freimaurer-Loge, als Kindersanatorium und Kindergarten.

Die malerische „Villa Haiderose“ an der Binzer Promenade wiederum ist ein Jugendstilbau, der heute als Fünf-Sterne-Appartement-Haus Gäste empfängt. Die „Haiderose“ besticht mit üppigen Holzschnitzereien an den Veranden und einem schmiedeeisernen Jugendstil-Balkon, der noch original erhalten ist. Wie es zur eigenwilligen Namensgebung kam, liegt bis heute im Dunkeln. Sicher ist nur, dass sich ein Förster aus Ostpreußen 1896 das Haus direkt ans Strandufer bauen ließ.

Glanz und Rausch

Platzhirsch unter all den Binzer Bäderarchitektur-Ikonen aber ist zweifellos das Kurhaus, eines der meistfotografierten Häuser in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist wie kein anderes mit der Geschichte des Ostseebades verwoben. In den Mauern des Prachtbaus mit seinen zwei Fronttürmen, die sowohl vom Strand als auch von der Seeseite als markante Landmarken weithin sichtbar sind, geht man auf Zeitreise zurück ins Kaiserreich. Spürt Glanz und Rausch der goldenen 20er Jahre. Atmet Tradition und Flair in jedem Winkel des weitläufigen Ensembles. Heute ist es als Travel Charme Kurhaus Binz immer noch Wahrzeichen und Blickfang an Promenade und Seebrücke.

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Monat der Bäderarchitektur: Der gesamte Mai 2019 steht in Binz im Zeichen der Bäderarchitektur. Mit Anbaden, Konzerten, Vorträgen, Vernissagen, Foto-Spaziergängen, Führungen, Ausstellungen. Unter dem Motto „Hereinspaziert in die Villen“ gibt es geführte Touren hinter verschiedene Fassaden, das krönende Finale findet am 31. Mai mit einer fulminanten Licht-, Ton- und Pyroshow an und auf der Seebrücke statt.
Das Programm gibt es auch unter: www.binzer-bucht.de

Kontakt: Informationen zu Unterkünften und Angeboten bei der Kurverwaltung Binz: Tel. 038393/14 81 48, www.binzer-bucht.de Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, Tel. 0381/4 03 05 00, www.auf-nach-mv.de

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Die Krone von Rügen

Das Jagdschloss Granitz ist ein Juwel auf Deutschlands größter Insel. Und garantiert ihr Höhe-Punkt.

Legendär: Über die Wendeltreppe geht es hinauf auf den Turm. Insgesamt
154 gusseiserne Stufen – ein schwindelerregender Aufstieg.
Legendär: Über die Wendeltreppe geht es hinauf auf den Turm. Insgesamt 154 gusseiserne Stufen – ein schwindelerregender Aufstieg. © TMV/EISENACK

Höher geht’s nimmer, zumindest nicht auf Rügen. Wer den Tempelberg erklimmt, steht 106 Meter über dem nahen Meer – für eine Ostseeinsel ist das gigantisch. Und er steht vor einem Juwel, das im wahrsten Wortsinn der Höhepunkt auf Deutschlands größter Insel ist: dem imposanten Jagdschloss Granitz. Inmitten des gleichnamigen Naturschutzgebietes und umgeben von urigen Buchenwäldern, krönt das Märchenschloss den Höhenrücken zwischen den Ostseebädern Binz und Sellin. Und krönt damit gewissermaßen auch ganz Rügen.

Das weithin sichtbare Wahrzeichen mit seiner Fassade in orange-rosa Pastell ist ziemlich genau 170 Jahre alt. Fürst Wilhelm Malte I. zu Putbus ließ es Mitte des 19. Jahrhunderts als Jagdsitz errichten, denn die waldreiche Granitz war immer auch enorm reich an Wild. Inspiriert wurde er dabei von seinem Freund, dem preußischen Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm IV. Dieser steuerte die Skizze eines romantisch inspirierten Waldschlosses mit kühnem Mittelturm bei – und genau so ließ Fürst Malte dann auch bauen.

Apropos Turm: Er reckt sich 38 Meter gen Himmel, womit der Besucher oben 144 Meter über dem Meeresspiegel steht. Und wie schon zu Maltes Zeiten einen fantastischen Panoramablick genießt – über alle Baumwipfel hinweg liegt ihm die komplette Ostsee- und Boddenlandschaft von Südostrügen zu Füßen. Vor dem exklusiven Blick liegt allerdings noch der legendäre und schwindelerregende Aufstieg über die selbstragende Wendeltreppe. Insgesamt 154 gusseiserne Stufen, die durch Blüten und Ranken durchbrochen sind.

Die exponierte Lage hat übrigens ihren Preis. Durch die Granitz führen keine Straßen, wer zum schönsten Jagdschloss Deutschlands will, muss ein paar Kilometer durch den herrlichen Buchenwald laufen oder radeln. Doch es gibt auch bequeme Alternativen: Pferdekutsche. Jagdschloss-Express. Oder der „Rasende Roland“, Rügens nostalgische Schmalspurbahn, die auf ihrem Weg zu den Ostseebädern mit Volldampf durch die Granitz schnauft.

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Mondscheinwanderung: Immer bei Vollmond findet zwischen April und Oktober diese sehr beliebte Wanderung statt. Sie führt vom Haus des Gastes im Ostseebad Binz zum Jagdschloss – inklusive exklusive Turmbesteigung für die Wandergruppe.

Schlossfest: Ende Juli findet rund um das Jagschloss das jährliche Schlossfest statt. Ein Mittelalterspektakel mit Handwerk, Spielleuten und Gaukelei.

Weitere Informationen unter: www.jagdschlossgranitz.de und www.binzer-bucht.de