Tuktoyaktuk. Wo bitteschön ist Inuvik? Am Ende der Welt. Zumindest am bisherigen Endpunkt des Dempster Highway in Kanada. Seit kurzem geht eine neue Straße aber noch ein Stück weiter, bis nach Tuktoyaktuk an der Beaufortsee. Urlauber erwartet hier der ultimative Roadtrip.
"This is it! Noch weiter nach Norden kannst du auf dem kanadischen Festland nicht fahren!" Merven Gruben wendet seinen Truck und nickt zum Flake Point hinüber.
"Dort werden wir das Schild Arctic Ocean aufstellen! Und dort kommt hoffentlich der Trailerpark hin!" Die braune Landzunge liegt am nördlichen Ortsrand von Tuktoyaktuk. Es ist einsam und kalt hier, auch wenn es die Sonne hin und wieder durch die Wolkendecke schafft. Zwei, drei Picknickbänke stehen herum, ein Wohnmobil aus British Columbia und ein vor sich hin rostender Grill.
Gruben ist als Bauunternehmer am Bau der Straße von Inuvik nach Tuk beteiligt. Der Kanadier lebt seit seiner Geburt in Tuk und ist mehr als 20 Jahren Bürgermeister der 900-Seelen-Gemeinde. Es fehle an professionell geführten Unterkünften, Restaurants und buchbaren Aktivitäten. Die neue Verbindung macht Gruben Hoffnung: "Die Touristen werden kommen. Tuktoyaktuk ist doch die Endstation des größten Roadtripabenteuers überhaupt!"
Roadtrip ins große Unbekannte
Der Inuvik-Tuktoyaktuk-Highway, kurz ITH, erfüllt das Klischee von Abenteuer. Die erste Probe aufs Exempel kommt bereits in Eagle Plains . Der Truck Stop liegt am Dempster Highway, im Great Alone des Yukon Territoriums. Nach Dawson City im Süden sind es 400 Kilometer, nach Inuvik in den Northwest Territories 300. Dazwischen ist nichts als subarktisches Kanada mit den wuchtigen Tombstone und Ogilvy Mountains und meilenbreiten Tälern, aus denen hin und wieder die Staubfahne eines 40-Tonners emporsteigt.
Unterwegs auf Kanadas Inuvik-Tuktoyaktuk-Highway
Eagle Plains ist eine der wenigen Inseln in dieser Leere. Mürrische Trucker, die erst bei Geschichten von Grizzlybären und scharfen Hunden gesprächig werden, legen hier an, und Roadtripper. Mit der Fähre geht es nach Inuvik. Von dort ist der ITH zunächst die reinste Spazierfahrt. Seine Kiesdecke ist sogar noch besser als die des Dempster. Doch dann ist plötzlich Schluss. Zwei Planierraupen blockieren die Fahrbahn. Die Straßendecke werde verdichtet, ruft der Fahrer durchs Seitenfenster, letzte Nacht habe es wieder geregnet. Jetzt sei der Belag butterweich. Man könne aber rechts vorbei fahren.
Fahren und staunen: Der Weg ist das Ziel
Danach nimmt das Ende-der-Welt-Gefühl minütlich zu. Nichts in der spärlich bewachsenen Tundra rührt sich, und das bis zum Horizont. Tuktoyaktuk heißt auf Inuvialuktun in etwa "Sieht aus wie ein Karibu", doch an diesem Tag machen sich die kanadischen Rentiere rar. Mit 60, 70 km/h geht es über die Baumgrenze. Natürlich passiert auch hier nichts. Angehalten wird einfach so, ohne rechts heranzufahren oder gar in den Rückspiegel zu gucken.
Um den insgesamt 130 km langen ITH zu stabilisieren, wurde ein bis zu zwei Meter dickes Bett aus Schotter als Isolierkörper angelegt. So kam mit 2,2 Mio. Dollar pro Kilometer, bezahlt von Ottawa und Yellowknife, eine der teuersten Straßen Kanadas zustande. An einigen Stellen stehen Pullout-Schilder, doch Rastplätze gibt es noch nicht. Plötzlich wird die Einsamkeit unterbrochen, zwei Motorradfahrer stehen mitten auf der Straße. Die beiden sind aus Florida. Einer hat ein Teil vom Vorderrad verloren. Besorgt wirken sie nicht, im Gegenteil. Lieber schwärmen sie von Tuktoyaktuk.
Pingos am Horizont
Weiter geht es in die makellos platte Ebene der Tuk Plains kurz vor Tuktoyaktuk. Das Auge klammert sich an kleine, kuppelförmige Erhebungen, sogenannte Pingos. Bis zu 30 Meter hoch können sie werden. Ihre Entstehung verdanken sie den extremen Klimaschwankungen, bei denen das Erdreich zerreißen kann und Wasser versickert. Die dabei in den Hohlräumen zurückbleibende Feuchtigkeit lässt in der Folgezeit kontinuierlich wachsende Eislinsen entstehen, die den gefrorenen Boden der Tundra hochdrücken. Wo der ITH auf Meereshöhe verläuft, wird deutlich, welche Herausforderungen die Straßenbauer meistern müssen: An solchen Stellen regulieren Abflusskanäle das Wasser, so gut es geht.
Dann taucht Tuktoyaktuk auf. Im Dunst der Eismeerküste scheint der Ort über dem Meer zu schweben. Die Inuvialuit-Gemeinde besticht durch ihre bunten, auf Stelzen stehenden Häuser. Tuks größte Attraktion ist der 49 Meter hohe Ibyuk Pingo, der in Sichtweite liegt. Andere Sehenswürdigkeiten sind der aufgedockte Schoner Our Lady of Lourdes, der einst die Missionsstationen weiter draußen versorgte, und der Nachbau eines traditionellen Grassodenhauses. Im Gemeindezentrum Kitti Hall gibt es ein kleines Museum. Im Büro der RCMP, der kanadischen Bundespolizei, kann man Souvenir-T-Shirts kaufen.
Touristen werden kommen
Merven Gruben will seine Gemeinde schon heute auf mehr Touristen vorbereiten. Deshalb organisiert die Stadtverwaltung Tourismusworkshops, in denen es vor allem um die Vermittlung von Werten wie Beständigkeit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit gehe, sagt er. Bruce Noksana ist da schon einen Schritt weiter. Der stämmige Bauarbeiter besitzt ein Hundegespann. Er möchte Gästen die Pingos zeigen, sie aufs Eismeer mit hinausnehmen und unterwegs mit Tee, Bannock und Maktaaq, dem traditionellen Vitaminriegel aus getrocknetem Walfett, bewirten. Alle nötigen Anträge hat er schon eingereicht, jetzt wartet er nur noch auf grünes Licht. "Mal sehen, wie es läuft."
Der Rückweg nach Inuvik wird beschwerlich. Die Mitternachtssonne wirft überlange Schatten. Die schon auf der Hinfahrt problematisch gewesenen Stellen sind jetzt arg zerfahren, tiefe Spurrillen lassen den Camper hin und her schlingern. Ein Schneesturm hat nördlich vom Polarkreis 30 Zentimeter Schnee abgeladen und den Dempster Highway in eine Schlammpiste verwandelt. Insgesamt sitzen 30 Motorradfahrer und mehrere Wohnmobilkapitäne in Eagle Plains fest. Ein paar sagen, dass ihnen ein Foto am Polarkreis als Trostpreis reicht. Der Rest dagegen ist wild entschlossen und will weiter. Tuk ist der große Preis. (dpa)