Santa Cruz de Tenerife. Wer auf Teneriffa die Nacht zum Tage macht, muss kein Partyurlauber sein. Der Himmel über der Insel gilt als einer der besten für Sternbeobachter.
Die Sterne lassen sich natürlich mit dem bloßen Auge beobachten. Oder durch ein handelsübliches Fernglas. Doch die Himmelsbeobachtung auf Teneriffa ist auf diese Weise nur bedingt spannend. Besser sind Blicke durch ein leistungsstarkes Nacht- und Sonnenteleskop.
Letzteres hat Guide Jesús Mesa Rodríguez, 39, auf der Sternwarte aufgebaut. Es ist früher Abend, Wind fegt über die Höhen. In Sicht liegt der Vulkan Teide, 3718 Meter hoch, Spaniens höchster Berg. Rundum im Observatorium wirken die leuchthellen Kuppelbauten und Türme wie ein Open-Air-Skulpturenpark, in dem sich Stararchitekten ausgetobt haben. Die Sonne sei eigentlich weiß, sagt Rodríguez. Durch die Filter des Teleskops in Nahaufnahme erscheint sie als feuerroter Ball.
Sterne statt Party
Ein paar Meter weiter bereiten Freizeitastronomen gerade ihre Ausrüstung vor. Teleskope, Laptops, Kabel, Kameras, Stative samt Gegengewichten. Ein Grüppchen Engländer der Basingstoke Astronomical Society Expedition Group wird die Nacht zum Tag machen und bis in den Morgen wach bleiben. Eine Woche Teneriffa ausschließlich, um Sterne zu sehen. Ohne Party, ohne Drinks. "Alkohol und Nachtbeobachtung sind kein guter Mix", sagt Bob Trevan, 61, Computeringenieur. Er atmet schwer, die Höhe von 2400 Metern macht ihm zu schaffen.
Teneriffa gilt als ein weltweiter Topspot für Astro-Tourismus. "Das hier ist zusammen mit La Palma einer der drei weltbesten Plätze für die Sternbeobachtung, neben Hawaii und der Atacamawüste in Chile", erklärt Natascia Baldassarri, 44, eine Kollegin von Rodríguez. Die italienische Astronomin schlüsselt die Gründe für die Besonderheit Teneriffas auf. Die isolierte Insellage im Atlantik. Die großen Höhen. Die geringe Lichtverschmutzung, auch durch das häufige Wolkenmeer nach Norden hin, das Strahlung und Feuchtigkeit abhält. Ganz oben 300 Tage freie Sicht im Jahr. Das Luftschutzgesetz.
Im Observatorium
Astro-Tourismus: Sternbeobachter auf Teneriffa
Rodríguez ist ein sogenannter Starlight Guide. Er führt in den Bau eines Nachtteleskops, ein weißes Kuppelkonstrukt. Drinnen herrscht ein Dauersurrton. Der Experte erklärt die Mechanismen, doch die Sicht ab hier ins Universum bleibt Profiforschern vorbehalten. Schade.
Die Zeit für Amateure kommt später wieder, außerhalb des Observatoriums im Nationalpark El Teide, wenn die Sonne versunken ist. "Im Himmel schauen wir immer in die Vergangenheit", sagt Baldassarri beim Teleskopblick auf den Kugelsternhaufen Messier 13. Was wie ein Baumwollball aussieht, ist bis zur Erde 25.000 Lichtjahre unterwegs.
Im Vergleich dazu scheinen die Planeten zum Greifen nah. Der rötliche Mars. Jupiter, von dem sich manchmal vier Monde symmetrisch abspreizen. Saturn, dessen Ringe wegen atmosphärischer Turbulenzen vor dem Auge leicht zittern und einen Wow-Effekt auslösen. Weit weg bleibt das alles trotzdem, ebenso wie der Polarstern und die Sternbilder, die Baldassarri mit einem Laserpointer am Firmament nachzeichnet: Großer Wagen, Schütze, Schwan, Herkules.
Vom Büro aus den Himmel beobachten
Einer, der sich auskennt wie kaum ein Zweiter zwischen Erde und Himmel über Teneriffa, ist Miquel Serra-Riquart, 52, promovierter Astrophysiker und Leiter des Observatoriums. Die meiste Zeit arbeitet er in den geografischen Niederungen der Insel in La Laguna, vom Sitz des Astrophysischen Instituts der Kanaren aus.
Das Bild vom Sternengucker, der nachts leibhaftig vor Instrumenten oder im Kontrollraum vor Bildschirmen sitzt, sich gelegentlich einen Kaffee aus der Küche holt und mit Kollegen im Aufenthaltsraum plaudert - das ist seit einigen Jahren Geschichte. Der Grund sei die zunehmende Automatisierung. Mittlerweile lasse sich über das Internet alles bequem vom Büro oder daheim aus verfolgen.
Ab den 1960er Jahren profilierte sich Teneriffa allmählich als Hotspot der professionellen Astronomie. Astrophysikerin Antonia María Varela Pérez, 53, arbeitet ebenfalls am Institut in La Laguna. Sie erinnert sich, dass sie als Mädchen vom Balkon ihres küstennahen Elternhauses in der Inselhauptstadt Santa Cruz einen Sternenhimmel wie aus dem Bilderbuch sah. Das sei heute unmöglich, wegen der Lichtverschmutzung - der sie den Kampf angesagt hat.
Besondere Stimmung an den Ausläufern des Teide
Auf Teneriffa gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, aber keine Garantie für Traumblicke himmelwärts. Tage später ist beim englischen Beobachtergrüppchen Ernüchterung eingekehrt. Sie werten zwar zufrieden die Fotoausbeute der letzten Nacht aus, samt Trifid- und Lagunennebel, doch nun hängt Staub aus der Sahara in der Luft. Der zunehmende Mond verhindert deutliche Blicke auf die Milchstraße.
Und doch fühlt man sich in der Finsternis abseits der Straße in der schroffen Trockenlandschaft an den Ausläufern des Teide von einer besonderen Stimmung erfasst. Der Blick durchs Teleskop zeigt den Mond, wie ihn die meisten nie gesehen haben dürften: graubleich, wie Zement, kraterdurchsetzt. Stille Faszination.
Ansonsten gilt: Der Himmel lebt. Und wie! Die schwachen Lichter von Satelliten sind ohne Hilfsmittel erkennbar. Plötzlich taucht, markant leuchtend, die ISS auf, die bemannte Raumstation, die ebenso schnell verschwindet. Ihr Höllentempo lässt sich vage erahnen, knapp 30.000 km/h. Langsam verabschiedet sich Venus hinter dem Rücken des Teide, der einem übermächtigen Scherenschnitt gleicht. Dann huscht eine Sternschnuppe über den Himmel. Zu schnell, um sich etwas zu wünschen. (dpa)