Frankfurt/Main. Vor der offiziellen Eröffnung am Wochenende wird immer noch gewerkelt, doch Frankfurts neue Altstadt wird schon von Besuchern überrannt.
Touristenführer versuchen am Hühnermarkt mit Fähnchen, ihre Gruppen zusammenzuhalten. Zugleich zieht eine Schulklasse durch die Gassen und sorgt mit Fanfarenstößen aus Trompeten für Begleitmusik: Schon vormittags um 10.00 Uhr ist in der erneuerten Frankfurter Altstadt fast so viel los wie am Kolosseum in Rom.
7000 Besucher am Tag
Rund 7000 Besucher täglich hat die Stadt nach dem Abbau der Bauzäune im Mai gezählt. Auf engstem Raum machen zwischen Dom und Römer 15 rekonstruierte und 20 historisch anmutende Häuser die Rückkehr in die vergangenen Jahrhunderte möglich - als Kontrast zur kühlen Skyline-Architektur mit den Banken soll es allen in der Stadt wieder ein bisschen wärmer ums Herz werden.
Wenn am Wochenende (28.-30. September) Hunderttausende von Menschen offiziell die "Eröffnung" der jahrelang umstrittenen Altstadt feiern, sollten eigentlich auch die 20 Läden auf dem nur rund sieben Hektar großen Areal fertig sein. Doch bisher sind erst wenige davon bezogen.
Baulic he Verzögerungen
Auch Steffen Fries muss sich noch bis Ende November gedulden, bis er im "Roten Haus" seine Wurstwaren und Grüne Soße verkaufen kann. Noch sind dort die Wände nackt, überall liegen Rohre herum. Der Frankfurter Metzgermeister hat die Replika des im 14. Jahrhundert errichteten Fachwerkhauses, das entgegen seines Namens immer weiß verputzt war, für rund eineinhalb Millionen Euro gekauft.
In der vierten Generation führt der 52-Jährige eine Metzgerei, die derzeit in der Frankfurter Kleinmarkthalle ihren Stand hat. Mit der Eröffnung seines kleinen Geschäfts im "Roten Haus", dessen Außenfassade original aufgebaut wurde, mischt der Geschäftsmann in der Altstadt künftig mit.
Kosten: 200 Millionen Euro
Die Verzögerungen am Bau und der Ärger mit den Handwerkern lassen ihn kalt. Er lobt die erstklassige Qualität der Bauarbeiten. "Das ist eine echte Leistung", sagt er zur Altstadt, deren sechsjähriger Bau die Stadt fast 200 Millionen Euro gekostet hat. Ein Teil fließt durch Verkäufe der Häuser und rund 70 Wohnungen wieder zurück in die Kassen des Kämmerers.
Wenige Meter weiter wird in einem auf Barock getrimmten Neubau in einer Bar schon vor der Mittagszeit Wein ausgeschenkt. Die stylish-modern eingerichtete Vinothek ist trotz gehobener Preise gut frequentiert. Sie gehört dem umtriebigen Rheingauer Winzer Christian Ress (Weingut Balthasar Ress), der auch einen Weinberg auf Sylt sein eigen nennt. "Wir sind total glücklich", sagt Weinberaterin Michèle Bertisch hinter dem Tresen zum Zuspruch.
Neue Frankfurter Altstadt wird eröffnet
Inhabergeführte Geschäfte
Die Dom-Römer-GmbH, die im Auftrag der Stadt das kontroverse Projekt baute, hat sich bei der Auswahl der Läden durchaus etwas überlegt. Den Vorzug sollten inhabergeführte Geschäfte vor allem aus der Region erhalten - Ramschläden für Touristen sollte es auf keinen Fall geben. Eingezogen sind letztlich bisher aber doch viele Läden, die dem Tourismuszuarbeiten.
So hat das baden-württembergische Unternehmen Steiff eine neue Filiale mit seinen Kuscheltieren - in Fernost oder den USA heiß begehrt - in der Altstadt eröffnet. Eine Töpferei aus dem Vogelsberg bietet handgefertigte Miniatur-Fachwerkhäuser aus der Altstadt an - sowie andere historische Markenzeichen wie den Römer oder die Dresdner Frauenkirche. "Es läuft sehr gut", freut sich Verkäuferin Valerie von Kloß, die über die Besucher aus der ganzen Welt - von Australien bis Island - fasziniert ist.
Traditionsbewusstsein
Dom-Römer-Geschäftsführer Michael Guntersdorf sagt, alle Geschäfte und Gastronomen seien angehalten, Logos oder Leuchtreklame für die Geschäfte dezent zu halten. Bisher funktioniere die Absprache ganz gut.
Beim Barbier am Rande der Altstadt brummt das Geschäft auch ohne Schild am Eingang. Dennis Alt kann sich über Kundschaft nicht beklagen, wie er in seiner traditionsbewusst eingerichteten Stube sagt. Er beschränkt sich auch aufs Rasieren und Frisieren von Männern. "Früher haben die Barbiere den Leuten noch die Zähne gezogen", flachst er.
Jahrhundertprojekt
Für Verzögerungen beim Ausbau der Läden macht Dom-Römer-Geschäftsführer Guntersdorf auch die komplexe Gebäudetechnik in den relativ kleinen Häusern verantwortlich, die so manchen Planer überfordert habe. Immerhin sind die meisten Eigentümer inzwischen eingezogen, viele Wohnungen müssen aber noch vermietet werden.
Für den schon seit längerem explodierenden Frankfurt-Tourismus ist die Altstadt schon jetzt so etwas wie eine Goldmine. "Für die nächsten Jahre sind wir komplett ausgebucht", sagt Guntersdorf mit Blick auf die Nachfrage vor allem aus China zur Altstadt. Er glaubt aber, dass sich die Besucherströme einspielen werden. An Drehkreuze, die den Zugang regeln, sei nicht gedacht, witzelt er. Am Abend werde es in den Gassen dann ohnehin ruhig.
"Disneyland" am Main
Dennoch müssen die Bewohner der Altstadt einiges an Trubel aushalten: Dafür wurden hinter den im Originalstil gebauten Fenstern der Fachwerkhäuser zusätzliche Dreifach-Verglasungen angebracht. "Da hört man nichts", sagt der Metzgermeister, der die Wohnungen in seinem Haus oberhalb des Ladens alle vermieten wird. "Ein bisschen Exhibitionismus gehört dazu", meint Guntersdorf zum Wohngefühl in der "neuen" Altstadt.
Mit dem Spott der Kritiker, die vom "Disneyland" am Main sprechen, muss Frankfurt weiter leben. Die Stadtoberen sind jedenfalls stolz auf ihr "Jahrhundertprojekt". Bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1944 hatte Frankfurt eines der größten Fachwerkviertel in Deutschland - im Dom wurden jahrhundertelang die römisch-deutschen Könige gewählt und gekrönt.
Auch für die Bevölkerung war dies stets ein Riesenfest, weil auf dem Römerberg ein Ochse gebraten wurde. Jetzt können Besucher die rund 200 Meter auf dem Krönungsweg entlangschlendern - und sich bald zwischendrin in der Metzgerei von Fries mit einer heißen Fleischwurst stärken. (dpa)