Essen. . Kopenhagen, Stockholm, Oslo, Göteborg und Malmö: Auf einer Interrailreise durch Skandinavien kann man vieles sehen und erleben. Eine Reportage.

Die Hauptstraße auf dem Weg zum Bochumer Hauptbahnhof ist leer. Es ist drei Uhr morgens, eine kühle Brise liegt in der dunklen Nachtluft. Gelegentlich fährt ein Auto vorbei. Ansonsten sind nur unsere leisen Schritte zu hören. Wie schnell die Zeit vergangen ist, seitdem Maike und ich unsere Interrailtickets gebucht haben – und jetzt steht es da: Unser neues Abenteuer. Interrailreise durch Skandinavien. 15 Tage, fünf Städte, viele Orte und Momente, die uns in Erinnerung bleiben werden. Zwei Schwestern unterwegs.

Christiania: Eine Stadt in Kopenhagen

Es fühlt sich an wie eine Reise in eine andere Welt, wenn man durch Christiania läuft. Hier wirkt alles entschleunigt, friedlicher. Die belebten Einkaufsstraßen Kopenhagens und Touristenaufläufe sind weit weg. Auch wenn es hierhin ebenso Touristen verschlägt, die ununterbrochen Fotos machen, sind sie dennoch nicht so hektisch und zahlreich in Gruppen unterwegs wie sonst üblich. Hier ist alles etwas anders. Autos gibt es nicht. Die wären auch nicht erwünscht. Sie sind verboten. Christiania ist eine Freistadt. Eine Stadt in der Stadt. Mitten im Stadtviertel Christianshavn. Seit 1971 befindet sich hier auf 34 Hektar eines ehemaligen Militärgeländes eine autonome Gemeinde – eine alternative Gemeinschaft, die vom Staat geduldet wird. Sie bildet einen Kontrast zur militärischen Geschichte, denn sie mag es friedlich. Diebstahl, Waffen, harte Drogen, gefährliche Messer – alles verboten. Die freie Kommune verwaltet sich dabei selbst, unabhängig von den staatlichen Behörden Dänemarks. Eine Vollversammlung regelt die wichtigsten Anliegen der Bewohner.

Maike und ich laufen über die gewundenen Wege. Kopenhagen ist die erste Station unserer Skandinavienreise. Wir reisen mit dem Zug in fünf Städte der Region und übernachten dabei in Hostels und Airbnb-Wohnungen. Das Reisen mit dem Interrailticket ist unkompliziert und bequem. In den 15 Tagen, die wir unterwegs sind, können wir an fünf Tagen Züge und Busse benutzten. Kopenhagen mit dem spannenden Ort Christiania ist schon mal ein guter Anfang.

Kopenhagens Hippiestadt

Kein Wunder, dass Christiania oft als „Hippiestadt“ bezeichnet wird. Auch ich fühle mich wie auf einem Hippiemarkt oder dem Jazzfestival in meiner Heimatstadt Moers. Menschen mit Rastafrisur, Marktstände mit Filzkleidung und bunten Hosen, Kleidern, Armbändern, Röcken. Auf dem kleinen Marktplatz ist alles in geballter Form zu finden. Ein Falafelstand und Sitzbänke laden zum Verweilen ein. Es gibt Kaffee und Limo. Am Wegrand und um den Platz herum sind überall Bäume verwurzelt. Es ist grün und bunt. An Gebäuden sind Graffitis in allen Farben zu finden: blau, rot, grün, gelb. An einer Wand ragt ein großer Baum empor, gesprayt mit neongrüner Farbe. Nackte Elfen sitzen in seinen Ästen oder Fliegen an ihm vorbei. Ein Drache schaut links neben dem Baumstamm hervor, er hat sein Maul leicht geöffnet, es sieht aus wie ein leichtes Lächeln. Im Hintergrund sind Berge zu sehen, die Gipfel sind verschneit. Es ist ein Kunstwerk und zeigt die Liebe des Künstlers zum Detail. Auch in Christiania gibt es viel Grün. Von Baum zu Baum hängen die Hinduistischen Fahnen. In bunten Farben getaucht flattern sie im leichten Lüftchen. Der Ort hat seinen eigenen Geruch. Es riecht. Nach Räucherstäbchen. Zwischendurch nach gerauchten Joints. Gerüche, die viele mit Hippies verbinden. Vereinzelt sind etwas heruntergekommene und alte Häuser zu sehen, doch durch die Graffitis sehen sie wieder schöner aus, freundlicher, bunter. Sie werden zu neuem Leben erweckt.

Im Zentrum Christianias ist der so genannte Green Light District, auch Pusher Street genannt. Hier ist das Fotografieren streng verboten. „Ihr glaubt aber nicht, wie viele Menschen versuchen dieses Verbotsschild zu fotografieren und dabei böse Blicke der Einwohner bekommen“, hat uns unser Stadtführer James vorher erzählt. Der Drogenhandel ist hier offensichtlich - nicht nur durch den Geruch. Das hat in der Vergangenheit schon zu viel Aufruhr und Tumulte geführt. Es gab eine Zeit, in der die Polizei regelmäßig vorbeischauen musste. Das hat sich in den letzten Jahren allerdings geändert. Heute scheint es friedlicher zu sein. So wie es auch sein sollte. Christiania wirkt ruhig und gelassen. Man würde nicht denken, dass es sich wirklich um eine Freistadt handelt, sondern dass es einfach ein Ort ist, an dem immer ein Markt aufgebaut ist und der zur Hippie- und Kunstszene gehört. Ein Schild verabschiedet die Besucher und belehrt sie eines Besseren: „Sie betreten nun die EU“. Die Aufschrift macht darauf aufmerksam: Christiania ist ein eigener Staat.

Die Hostelküche: Interessante Begegnungen auf Interrailreise

Die Hostelküche ist voll. Fast jeder Herd ist besetzt. Hier wird Gemüse geschnitten und Hähnchen in der Pfanne gebraten. Auch Kurioses bekommt man zu Gesicht. An einem Herd brät ein Asiate Pommes in einer Pfanne. Verhungern werden er und seine Freunde bei der großen Menge jedenfalls nicht. Auch der Speiseraum mit den kleinen runden Tischen ist voll. Wir setzen uns hin und essen unsere selbstgemachte Couscouspfanne. Währenddessen schauen wir uns im Raum um und beobachten die Anderen. Auf der rechten Seite hängt an der gelb gestrichenen Wand ein großer Fernseher. Er ist ausgeschaltet. Um ihn herum zieren schwarz gerahmte Schilder die Wand. „Good Morning. Let the Stress begin“, „My House was clean last week…sorry you missed it“, „Grandma’s kitchen. Tasters welcome…everything made with love and an extra spoon of sugar“. An letzterem Schild ist ein Löffel befestigt und kleine Herzen zieren die geschwungene Schrift. Hier im Hostel treffen so viele Nationen und Altersgruppen aufeinander. Es sind nicht nur junge Leute wie wir. Die spanische Familie am Tisch gegenüber ist beispielweise zu fünft unterwegs, Eltern mit ihren drei Kindern im Teenageralter. Eine gute Alternative zu einem gewöhnlichen Hotel, schließlich kommt man hier viel mehr mit Anderen in Kontakt, kann selbst kochen und es ist günstiger.

Am Tisch links neben uns zeigt ein Fotograf einem eben kennengelernten neuen „Freund“ seine Fotos und versucht ihm die Bedeutung von Schärfe und Tiefe zu erklären. „Bei diesem Bild finde ich die Details besonders schön“, erklärt er stolz und zeigt auf eine kleine Statue auf einem Brunnen. An dem anderen Nachbartisch sitzt ein junger Mann an seinem Laptop. Groß, blond, helle Hautfarbe. Er sieht aus wie ein typischer Skandinavier. Er schaut zu uns rüber und lächelt. „Wo kommst du her?“, frage ich. Er fasst sich an den Hals und tippt etwas auf seinen Laptop, den er mir kurz darauf zeigt. „Ich kann für eine Woche nicht sprechen“, steht dort. So krank sieht er eigentlich nicht aus, denke ich und frage: „Hat es religiöse Gründe?“ Ich muss an die Mönche oder andere Personen denken, die für eine Woche nicht sprechen, um besser zu sich und ihren Glauben zu finden. Er schüttelt den Kopf und krächzt mit leiser Stimme: „Ich habe eine Entzündung im Hals“. „Gute Besserung“, wünsche ich ihm. Dann fragt er uns über sein Word-Dokument, wo wir herkommen und wir erzählen unsere Standardgeschichte, die wir bisher schon einige Male erzählen mussten: „Wir machen eine Interrailreise durch Skandinavien“. Er nickt und lächelt, natürlich möchte er wie die anderen auch wissen, in welche Städte wir so reisen. Wir unterhalten uns eine Weile mit ihm und erfahren, dass er zwischendurch in Los Angeles lebt und dort mit der Polizei als eine Art psychologischer Betreuer zusammenarbeitet und Menschen unterstützt, die Suizid begehen wollen. Es ist erstaunlich, was für Menschen und Geschichten man in einem Hostel so begegnet. Alle kommen woanders her und haben verschiedene Ziele. Jeder von ihnen hat seine eigene, spannende Geschichte. Man muss sie nur entdecken und ansprechen. Und schon entstehen die tollsten Gespräche. In einer Hostelküche oder in einem Gemeinschaftsraum. Auf Reisen gibt es doch die schönsten Begegnungen.

Stockholm: Die Vergangenheit in Södermalm 

„Ich bin Peter, euer Guide für die nächsten zwei Stunden und ich werde euch Södermalm zeigen, ein besonderes Viertel, das Brooklyn Stockholms.“ Mit einem Ordner in der Hand und einem Lächeln im Gesicht beginnt Peter die Free Tour. Södermalm ist über eine Brücke von der Gamla Stan aus erreichbar und liegt somit auch etwas abseits von den Touristenattraktionen wie Schloss und Hafen. Die Free Tour ist eine von zwei Anbietern, die Gruppenspaziergänge durch die Stadt anbietet und dabei wie bei einer Reiseführung Fakten und Hintergrundwissen mitteilt. Seit 2010 führen die „Guides“ mehrmals am Tag entweder durch die Innenstadt oder Södermalm. Es gibt sogar täglich eine Tour auf Spanisch. Bezahlt werden die Guides am Ende individuell mit Trinkgeld. Unsere Gruppe mit ungefähr 20 Personen setzt sich in Bewegung. Es ist interessant zu sehen, wie viele Nationen hier aufeinandertreffen. Da ist das australische Pärchen um die 60 herum, die russische Gruppe im mittleren Alter und das junge Pärchen aus den Niederlanden. Auch drei deutsche Mädels, die wir in unserem Hostel kennengelernt haben, sind dabei. Es geht zu Beginn der Tour eine steile Treppe hoch, denn Södermalm hat viele Hügel, von denen aus man eine gute Aussicht über die Stadt und die Flüsse hat. Nachdem es den ganzen Morgen geregnet hat, klärt sich der Himmel langsam auf. Der Geruch von Regen liegt noch in der Luft und der Asphalt ist teilweise nass und rutschig. Man muss aufpassen, dass man auf den Treppenstufen nicht wegrutscht. Hier oben winden sich die kleinen Gassen nach links und rechts. An einigen Stellen sind sie so schmal, dass nur ein Auto durchfahren kann. Die Häuser sind ebenfalls kleiner und älter. Während Peter uns Geschichten aus dem Mittelalter erzählt, kann man sich sehr gut vorstellen, wie das alles hier damals ausgesehen hat. Die kleinen, schmalen Gassen erinnern tatsächlich an das Mittelalter und jeder Stein, jedes Haus, jede Gasse erzählt durch Risse und weitere Macken seine eigene Geschichte. „Die Hexenverfolgung Schwedens hat in Södermalm angefangen und war hier deshalb sehr verbreitet“, berichtet Peter. „Teilweise ging es sogar so weit, dass Kinder ihre eigenen Eltern der Hexerei angeklagt haben oder einfach nur Gerüchte über Hexen in ihrer Nachbarschaft in die Welt gesetzt haben, um Aufmerksamkeit zu bekommen.“ Ein Junge behauptete beispielweise, seine Mutter würde jeden Abend auf dem Besen fliegen. Damit hatte der Junge ihr Todesurteil ausgesprochen. Außerdem gab es eine Frau, die hieß „Noseless“, weil sie keine Nase hatte. Sie wurde wegen ihrer Nase als Hexe beschimpft – und starb schließlich auf dem Scheiterhaufen.

Durch die Straßen Södermalms

In den Gassen Södermalms verbirgt sich die dunkle Vergangenheit Stockholms.
In den Gassen Södermalms verbirgt sich die dunkle Vergangenheit Stockholms. © Isabel Grabow

Die düstere Vergangenheit Södermalms ist damit noch nicht zu Ende. Es gab auch einen berühmten Exorzisten, der hier lebte und in ganz Stockholm praktizierte. „Zu diesem kamen viele, um von ihm Hilfe bei ihren eigenen Kindern, Männern oder anderen Familienmitgliedern zu bekommen. Am Ende wurde er selbst von seinem eigenen Sohn hingerichtet. Diese Straße dort wurde nach ihm benannt, denn dort wohnte er“, Peter zeigt in eine schmale Straße, die mit Häusern aus hellbraunem Backstein eigentlich recht freundlich aussieht. Es ist schon ironisch, dass genau an dem Ort, an dem früher der Exorzist praktizierte und wohnte heute ein Kindergarten steht, der nach ihm benannt wurde. Peter und unsere Gruppe nehmen es mit Humor. Es ist interessant, was einzelne Straßen und Häuser alles erzählen. Ihre Vergangenheit scheint auf einmal so präsent und die schönen, freundlichen Bauten bekommen teilweise ein bedrohliches Gesicht. Unsere Truppe bewegt sich weiter. Wir halten an einem Friedhof vor einer Kirche und an der Hauptstraße von Södermalm, wo sich die Geschäfte, Cafés und Touristen häufen. Hier und da öffnet Peter seinen Ordner, den er immer stolz unter seinem Arm trägt, und zeigt uns Fotos wie das einer typischen Fika: Kaffee und Gebäck. Während er das macht grinst er und fügt einen Kommentar hinzu: „Wenn man jemanden kennenlernen möchte, kann man in Schweden einfach jemanden zur Fika einladen.“ Er zwinkert kurz und wechselt dann das Thema. Unsere letzte Station ist ein Brunnen mit der Statue des Gottes Thor. „Los, wir machen jetzt alle ein Foto vor diesem Brunnen. Für Facebook“, kündigt Peter an. Es kommt noch besser. „Und dabei macht ihr alle eine Pose wie einer der Marvel-Figuren. Zum Beispiel seid ihr Hulk, dann macht ihr so“, Peter plustert sich auf und winkelt seine Arme an. Es folgen weitere Posen von den anderen Figuren. Wir sind nicht die einzigen, die den Vorschlag seltsam finden. Nur das australische Pärchen und die russische Gruppe setzen sich vergnügt als eine der Figuren in Szene, wir anderen machen nur gute Miene zum nervigen Spiel.

Mit dem Interrailticket in die nächste Stadt

Die grüne Landschaft zieht vorüber. Wiesen, Wälder mit hohen Nadelbäumen und zwischendrin kleine Häuser. Gelegentlich taucht ein See unter dem grünen Teppich hervor. Mal klein, mal groß. Friedlich liegt er dort. Unscheinbar. In diese schöne Landschaft hinein fahren wir. Unser Zug ist modern. Die Tische an unseren Vordersitzen haben wir heruntergeklappt. Trinken, Essen und Bücher darauf platziert. Wir sind bestens gerüstet für die längere Fahrt. Während ich so aus dem Fenster schaue, denke ich, wie schön es doch ist durch so eine Landschaft zu fahren und was es dadurch immer wieder zu entdecken gibt. Ein einzelnes Haus in der Einsamkeit, eine Blockhütte, ein Boot. Vereinzelt Bäume, die sich im Wind hin und her bewegen. Man muss nur genau hinschauen und hat das schönste Unterhaltungsprogramm überhaupt. Das habe ich bei meinem Aufenthalt in Indien gelernt. Während ich dort fünf Stunden durch die Wälder fuhr, an Abhängen vorbei und über hügelige, unebene Straßen, habe ich nie ein Buch zur Hand genommen, nie die Kopfhörer in die Ohren getan. Denn das Beste war die Landschaft um mich herum und beim genauen Betrachten dieser geht die Zeit viel schneller um als man denkt. Wer seine Neugier bewahrt und immer wieder von der Natur begeistert ist, dem wird nie langweilig.

So ist es auch hier in Skandinavien. Ich liebe diese Landschaft und bereue es, dass wir uns nur Städte ansehen werden. Eins steht jetzt schon fest: Beim nächsten Mal werde ich die Natur noch mehr erkunden! Der Zug hält an einem einsamen Bahnhof. Keiner steigt aus, keiner steigt ein. Es ist ein ungeplanter Halt. Maike und ich schauen uns an. Doch bevor wir unsere Überlegungen äußern können, kommt eine Durchsage: „Liebe Fahrgäste, wir müssen leider einmal kurz halten, da ein anderer Zug Vorfahrt hat.“ So etwas würde bei der Deutschen Bahn nie passieren. Dort bekommt man, wenn man Glück hat, meist erst nach fünf Minuten eine Information. Und schon geht die Fahrt weiter. Ich beobachte ein wenig die beiden Jungen, die vor uns mit ihrem Vater in einem Vierersitz reisen. Die kleinen spielen mit ihren Autos und Tierfiguren, lachen und reden aufgeregt miteinander. Auf Schwedisch. Kurze Zeit später ertönt erneut eine Lautsprecherdurchsage: „Liebe Fahrgäste, in kurzer Zeit fahren wir über die Grenze von Schweden und Norwegen.“ Maike und ich lächeln uns an. Nach einigen Minuten: „Liebe Fahrgäste, willkommen in Norwegen.“ Wie schön und einfach es doch ist in Europa mit einem Zug über die Grenzen zu fahren. Und wie praktisch das Reisen mit einem Interrailticket ist. Es bietet einem die Möglichkeit in 30 Ländern innerhalb Europas zu Reisen. Man kann seine Route dabei so wählen, wie man möchte. Es kommt lediglich auf die Art des Passes an, den man vorher wählt. Fährt man einen Monat lang durch Teile Europas oder wie wir 15 Tage – völlig egal. Der so genannte Global Pass verbindet die schönsten Städte und Regionen Europas miteinander. Für unseren Pass haben wir mit einem Frühbucherrabatt jeweils 179 Euro bezahlt. Ein gutes Angebot, wenn man bedenkt wie teuer sonst eine einzelne Zugfahrt ist und so haben wir die Möglichkeiten gleich fünf Orte zu erkunden, die alle mit den Zügen gut erreicht werden können und so miteinander vernetzt sind. Wir kommen unserem nächsten Ziel Oslo immer näher und bewegen uns weiter in der schönen Landschaft voran.

Oslos Fjord erkunden 

Die S/S Helena bewegt sich mit brummendem Motorgeräusch über den Oslo Fjord. Das Wasser wird von dem Boot aufgewühlt und wirft Wellen. Am hellblauen Himmel erstrahlt die Sonne. Es könnte warm sein. Doch hin und wieder nimmt die Helena an Tempo zu und es wird windiger, frischer. 1947 wurde die Helena gebaut. 1988 wurde sie dann renoviert und restauriert. Wir befinden uns, obwohl Ende August ist, bereits in der Herbstsaison des Oslo Fjord Sightseeing. Heute fährt die Helena dreimal am Tag: 10:30 Uhr, 13:00 Uhr und 15:30 Uhr. Im Winter können Touristen nur am Wochenende eine Fjordtour erleben.

Auf Oslos Fjord hat man eine herrliche Aussicht.
Auf Oslos Fjord hat man eine herrliche Aussicht. © Isabel Grabow

Nachdem die Helena den Hafen und die 2008 eröffnete neue, moderne Oper, auf deren Dach die Touristen spazieren gehen können, hinter sich gelassen hat, ist der Blick auf den Fjord und seine Schönheit frei. Wellenartig schlängelt er sich durch die immergrüne Landschaft. Die gelegentlichen Lautsprecherdurchsagen, die etwas zur Geschichte und weitere Hintergrundinformationen preisgeben, sind durch den Wind und die Gespräche der Touristen teilweise nicht zu verstehen. Der Weg führt vorbei an kleinen Inseln. Hier und dort sitzen Gruppen am Wasser und schauen den vorbeifahrenden Booten zu. Auf der linken Seite reihen sich nun viele kleine Häuschen zusammen. Von weitem sehen sie wie Spielzeughäuser aus. „Jedes dieser Bootshäuser gehört zu einem der größeren Häuser weiter oben auf der Insel“, sagt die Lautsprecherstimme. Malerisch und ruhig stehen sie dort am Wasser, jeweils mit einem kleinen Steg. Den Hügel hinauf sind die dazugehörigen Häuser zu sehen. Groß, schön und – typisch für Skandinavien – sehr bunt. „Früher wurde in den Bootshäusern heimlich Alkohol getrunken und verkauft, was zu der damaligen Zeit streng verboten war.“

Ein kleines Motorboot fährt vorüber. Eine Frau und zwei Männer winken. Wie gerne wäre ich jetzt lieber bei ihnen, auf so einem kleinen Boot und würde nicht im Strom der Touristen untergehen. Es scheint ja doch alles immer wieder eine Massenabfertigung zu sein. Etwas Typisches, was alle machen, um die Besonderheit Oslos zu bestaunen. Doch die Landschaft rund um die Stadt lässt die Modernität der Innenstadt, Shoppingmalls und Museen kurzzeitig vergessen. Das Boot auf dem Wasser und der Wind in den Haaren geben einem das Gefühl von Freiheit. Es spiegelt das wieder, was Reisen bedeutet: Den Horizont erweitern, das machen, was man gerade möchte.

Weitblick über Göteborg

Bereits der Ausblick auf Göteborg zeigt, wie schön die Stadt ist.
Bereits der Ausblick auf Göteborg zeigt, wie schön die Stadt ist. © Isabel Grabow

Wer eine schöne Aussicht haben möchte, der muss auch mal einen steilen und anstrengenden Weg nach oben wagen. Wir gehen gemütlich den kleinen Berg in Göteborgs Skansen hoch. Es kommt uns ein Pärchen mit einem Kinderwagen entgegen, das nun einen einfacheren Weg hat als zuvor, auch wenn sie aufpassen müssen nicht die Kontrolle über den Kinderwagen zu verlieren. Bei der nächsten Ecke machen wir kurz halt. Ein Jogger rennt den Berg herunter, in seiner Hand eine kleine Wasserflasche. Sobald er weg ist, gehen wir weiter und erreichen schließlich den Aussichtspunkt. Wir sind erhoben über den roten Dächern der Stadt, die von hier wie Spielzeughäuschen aussehen. Hier oben ist alles ruhig. So dass man seinen Gedanken zuhören kann, gelegentlich kommen Touristen vorbei. Aber es sind bei weitem nicht so viele wie in Stockholm oder Kopenhagen. Auch wenn alle Städte durch ihre Architektur miteinander verbunden sind, ist Göteborg wohl eher ein Geheimtipp. Aber ein sehr schöner. Wie kommt es nur, dass, egal wo man ist, alle immer zur Aussichtsplattform wollen? Weiter oben einen Blick auf die Stadt erhaschen, obwohl man die Stadt von Nahem erkunden kann. Vielleicht, weil man so einen guten Überblick haben kann. Neue Gebäude entdecken, die einem vorher nicht aufgefallen sind, oder ihre schönen Dächer betrachten. Oder einfach die Summe aus allem. Seht her: Das ist die Stadt, die vor dir liegt, du musst sie nur erkunden, ergreifen, begreifen. Vielleicht ist es aber auch ein Innehalten. Voller Freude und Erwartung vor dem, was vor einem liegt, und dem was hinter einem liegt. Ein Innehalten vor der Achtung der Stadt. Ihrer Schönheit, aber auch ihrer hässlichen Seiten, die man von oben nur erahnen kann. Wären da nur nicht immer die vielen Touristen die diesen ruhigen Moment hektisch werden lassen. Doch hier in Göteborg ist es wirklich anders. Ruhiger, friedvoller. Hier kann man länger innehalten und sich die schönen Häuser ansehen, die Ähnlichkeiten zu der architektonischen Bauweise und Fassaden Paris und Amsterdams kann man von hier oben nur erahnen. Wir sitzen noch lange auf der Bank und lassen unsere Gedanken fließen, während der Jogger immer wieder vorbeirennt. Der Schweiß auf seinem grünen T-Shirt wird größer, das Wasser in seiner Flasche leerer.

Am Strand von Malmö

In Malmö kann man auch den Strand und weites Ausblick genießen.
In Malmö kann man auch den Strand und weites Ausblick genießen. © Isabel Grabow

Das kühle Wasser fließt in Wellen über meine Füße. Ich spüre den Sand unter meinen Sohlen. Vor mir liegt die See unter blauem Himmel ohne Wolken. Hier am Strand von Malmö wirkt es wie in einem „richtigen“ Sommerurlaub. Rechts spielen Männer, Frauen und Kinder mit ihren Hunden im Wasser. Sie rennen rein und wieder heraus. Ein noch sehr kleiner brauner Hund wird gerade an das Wasser gewöhnt. Immer weiter wirft der Junge in der schwarzen Badehose den Stock hinein, damit sein Hund sich mehr traut – bisher ohne großen Erfolg. Hinter seinem Rücken erstreckt sich die Strandpromenade Malmös. Neben mehreren Gebäuden ragt der Turning Torso in Kurven in den Himmel, der berühmteste Wolkenkratzer der Stadt. Er wirkt irgendwie deplatziert hier in der Nähe des Strandes. Viele Touristen laufen gerne zu ihm und bewundern seine besondere Architektur. In 54 Stockwerken und 190 Metern Höhe wird der menschliche Torso dargestellt. Natürlich ist er beeindruckend, auf seine Art und Weise, aber die anderen, älteren Häuser der Stadt, wie auch in den übrigen Städten Skandinaviens, gefallen mir einfach besser. Sie haben nicht so etwas Eingebildetes, Modernes an sich, sondern strahlen eine historische, schöne Ruhe aus.

Auf der linken Seite geht ein Steg fast 200 Meter in die See, sein Ende bildet die Sauna von der aus die Besucher – insbesondere im Winter – auch im Wasser schwimmen und sich abkühlen können. Kühl ist das Wasser allemal. Die Malmöer haben da andere Ansichten und gehen sogar schwimmen, wenn auch nicht so lange. Weiter hinten sehe ich die Öresundbrücke, die nach Kopenhagen führt. Lang erstreckt sie sich und verbindet diese beiden schönen Städte und Länder miteinander. Hier am Strand ist es ruhig, wir sind schließlich fern von der großen Einkaufsstraße und den Shoppingcentern in der Innenstadt, in denen sich Menschen zu Scharen zusammenfinden, um neue Kleidung, Drogerieartikel und Dekoration zu erkaufen. Der Strand ist eine kleine Auszeit, eine Ruhezone und auch für uns eine schöne Endstation der Reise. Meer, See und Wasser hatten für mich schon immer etwas an sich. Das Wasser kann ich kleinen Wellen an den Strand plätschern und seine eigene Musik komponieren. Es bildet gemeinsam mit dem Himmel einen gewissen Horizont. Es ist etwas, das mich zur Ruhe bringt und mich nachdenklich macht. So geht es Maike und mir jetzt auch. Wir lassen all die Erlebnisse und Städte noch einmal Revue passieren und stellen fest: Die Zeit war einmalig und schön.

Der Bus fährt über die Öresundbrücke durch die Nacht. Lichter anderer Autos ziehen an uns vorbei. Da unsere Interrailtickets nun nicht mehr gültig sind, fahren wir mit dem Flixbus zurück nach Deutschland. In der Nacht. Denn so hat unsere Reise auch angefangen. Wir sind müde, aber glücklich und verabschieden uns innerlich von Skandinavien. Es ist nur ein Abschied auf Zeit.