Tulum. Methangas sorgt in Höhlen für Artenvielfalt: Mikroben ernähren sich von dem Gas und bilden dann wiederum die Lebensgrundlage für Krustentiere.

Jedes Jahr kommen Zehntausende Urlauber nach Tulum an der mexikanischen Karibikküste, um im türkisfarbenen Meer zu baden, die Maya-Ruinen direkt am Strand zu besuchen oder bei gegrilltem Fisch und kühlem Bier in dem einstigen Hippieort zu entspannen. Die eigentliche Attraktion allerdings liegt im Verborgenen. Unter dem Marschland südlich von Tulum erstreckt sich Ox Bel Ha (Drei-Wasser-Pfad) - das mit rund 270 Kilometern längste Unterwasserhöhlensystem der Welt.

Es ist eine faszinierende Unterwasserwelt: Kilometerlang reichen die Schächte in das Hinterland, Stalagmiten wachsen in die Höhe, mächtige Felsvorsprünge ragen in die Kanäle hinein. Das weit verästelte Netz wurde 1996 entdeckt und ist über etwa 140 sogenannten Cenotes mit der Oberfläche verbunden.

Doch nicht nur für Taucher ist Ox Bel Ha ein spannender Abenteuerspielplatz, auch Wissenschaftlern bietet das Höhlensystem ein interessantes Forschungsfeld. Ein Team um den Biologen David Brankovits entdeckte dort kürzlich, dass Methan eines der wichtigsten Nahrungsquellen für Bakterien und Mikroben in den Höhlen darstellt und damit eine wesentliche Grundlage für die gesamte Nahrungskette in der Unterwasserwelt bildet.

Kaum pflanzliches Material entdeckt

Das Methan entsteht an der Erdoberfläche bei der Verrottung abgestorbener Pflanzen. Dann sinkt es durch den Boden und die Kalksteinschicht bis in die unterirdischen Höhlen herab. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in dem wissenschaftlichen Fachmagazin "Nature Communications".

"Methan ist der Schlüssel - die Organismen in den Höhlen müssen sich von Methan-Gas ernähren. Das hat uns überrascht", sagt Brankovits. Der Ungar forscht an der Texas A&M Universität in Galveston für seine Doktorarbeit. Bislang waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass die Lebewesen sich von Pflanzenteilen ernähren, die in die Höhlen gespült werden. Allerdings entdeckten die Forscher bei ihren Tauchgängen in den Unterwasserhöhlen kaum pflanzliches Material.

"In den Höhlen leben Organismen ohne Sonnenlicht und alle Nahrungsquellen liegen nur in gelöster Form vor. Würde es keine Mikroben geben, die Methan und andere aufgelöste Energiequellen nutzen, könnten diese Tiere nicht überleben", sagt Brankovits. Die Höhlen sind vor allem von Krustentieren besiedelt. Die Studie zeigt, dass sich beispielsweise ein Krabbenart zu 21 Prozent von Methan ernährt.

Erkenntnisse über den Einfluss von Umweltfaktoren

Die Cenotes, wie die Erdlöcher auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán genannt werden, und die darunterliegenden Höhlensysteme bergen so manchen wissenschaftlichen Schatz. Das Arbeiten unter Wasser erfordert allerdings besondere Fähigkeiten. Im Team um Brankovits waren speziell ausgebildete Taucher, die sich Techniken aus der Tiefseeforschung bedienten. Auch das mexikanische Institut für Anthropologie und Geschichte (INAH) leistet sich eine ganze Einheit von Unterwasser-Archäologen, die in den Cenotes tauchen können.

Sie entdeckten vor einigen Jahren in einer Höhle das rund 12.000 Jahre alte Skelett eines Mädchens, das wichtige Hinweise auf die frühe Besiedelung Amerikas lieferte. Der Fund von "Naia" stützte die Theorie, dass der Doppelkontinent von einer einzelnen Gruppe aus dem Norden Asiens besiedelt wurde.

Brankovits will seine Forschung nun in ähnlichen Höhlensystemen auf den Bahamas und in der Dominikanischen Republik fortsetzen. "Dort unten gibt es noch mehr gelöste organische Materialien wie Säuren und Alkohole. Das müssen wir nun noch detaillierter erforschen", sagt der Biologe. "Die Ergebnisse könnten überraschend sein."

Professor Tom Iliffe von der Texas A&M Universität erhofft sich von der Forschungsarbeit auch Erkenntnisse über den Einfluss von Umweltfaktoren. "Das Modell der grundsätzlichen Funktionsweise der Ökosysteme ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Küsten-Ökologie und bildet die Grundlage, um herauszufinden, wie steigende Meeresspiegel, Tourismus und andere Stressfaktoren die Lebensfähigkeit dieser licht- und nährstoffarmen Systeme beeinflussen", sagt der Meeresbiologe. (dpa)