Svolvær. In Norwegen überlegt man, in der Urlaubsregion Lofoten neue Ölfördergebiete zu erschließen. Die Fischer vor Ort fürchten um ihre Fanggebiete.
Per-Roger Vitken löst das dicke Tau, das die "Tommy Junior" am Pier gehalten hat, und wirft es mit großem Schwung an Bord des Fischkutters. "Wir können", ruft der 57-Jährige seinem Kollegen Hans-Michal Arntsen zu, der hinter dem Steuerrad sitzt. Langsam manövriert der das Boot aus dem Hafen des kleinen Örtchens Napp. Ihr Ziel sind die Fanggebiete in zwei Stunden Entfernung.
25 Prozent der Menschen, die auf der Inselgruppe der Lofoten im Norden Norwegens wohnen, leben vom Fischfang, denn hier ist das Meer eine wahre Goldgrube. "Schellfisch, Kabeljau, Hering - Lofoten ist ein Laichgebiet für viele Fischarten", erklärt Vitken. "Sie kommen hierher, um zu essen und ihre Eier zu legen, bevor sie wieder in die norwegische und in die Barentssee ausschwärmen."
Fischer sehen Zukunft gefährdet
Die Gewässer vor Lofoten, Vesterålen und Senja seien also so etwas wie die Kinderstube der Fische. Und ausgerechnet hier möchten die großen Parteien im Parlament nach Öl suchen lassen. Ein Vorhaben, das vor allem die Lokalbevölkerung auf die Barrikaden treibt.
"Ich bin in einer Fischerfamilie aufgewachsen und zum ersten Mal mit meinem Vater rausgefahren, als ich zwölf Jahre alt war", erzählt Vitken. "Für mich war das immer ein Beruf mit Zukunft." Doch die sieht er nun gefährdet. Denn die Folgen einer Ölsuche sind nicht ganz klar. "Was machen wir, wenn die Fische nicht mehr kommen?" Auch der Tourismus, der andere wichtige Wirtschaftsfaktor der Region, könnte darunter leiden.
"Um die Ölindustrie aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, dass wir in Zukunft neue Gebiete erschließen und da ist diese Umgebung hier die vielversprechendste", meint Jonny Finstad, Bezirkspolitiker der konservativen Partei Høyre. Seine Partei, die in Oslo mit in der Regierung sitzt, würde die Region gern für eine "konsekvensutredning" öffnen. Das bedeutet, aufgrund bestehender Kenntnisse wird abgewogen, ob eine Förderung von Öl in der Region umweltverträglich wäre und sich lohnen würde.
Die Lofoten in Norwegen
Öl hat Norwegen reich gemacht
Die drei größten Parteien - Høyre, die Sozialdemokraten und die Rechtspopulisten - sind dafür. Doch für eine Mehrheit müssten sie blockübergreifend dafür stimmen. Das könnte die weitere Zusammenarbeit mit den kleinen Parteien, auf die sie angewiesen sind, schwierig machen. Das Thema ist zum Zündstoff bei den laufenden Regierungsverhandlungen geworden.
Finstad hofft trotzdem auf ein Ja aus Oslo. "Wenn wir keine neuen Gebiete erschließen, wird die Ölproduktion dramatisch zurückgehen", meint er. Und das werde zu einem Rückgang der Einkommen in Norwegen und zu einer Senkung des Wohlstandsniveaus führen. Auch König Harald V. hält die wirtschaftlich goldenen Zeiten für Vergangenheit, wie er vor gut einer Woche im Parlament warnte: "Die letzten zehn Jahre waren eine goldene Periode. Wichtige wirtschaftliche Trends liefen zu unseren Gunsten. Jetzt kehren sich die Trends um."
Das Öl hat Norwegen reich gemacht und ist ein Grund, warum das Land im Norden bei vielen internationalen Rankings immer ganz oben mitmischt. Die Ressourcen gehören dem Volk und die Gewinne wurden auch über einen mittlerweile billionenschweren Staatsfonds klug investiert: in Bildung, in Gesundheit, in Infrastruktur. Den Norwegern geht es überdurchschnittlich gut.
"Das wichtigste Gebiet für die norwegische Fischerei"
Entlang der gesamten Nordseeküste und in der Barentssee wird Öl gefördert. Die Region um Lofoten wurde bisher ausgespart - weil sie verletzlich ist. "Das ist das wichtigste Gebiet für die norwegische Fischerei", sagt Wenche Cumming von der Bürgerinitiative "Ölfreies Lofoten" in Svolvær. "70 Prozent der Fische, die entlang der norwegischen Küste gefangen werden, waren im Laufe ihres Lebens mindestens einmal in diesem Gebiet." Daher sei das Risiko, dass Öl austrete, zu groß. "Wir können innerhalb kurzer Zeit viel verlieren."
Doch nicht nur mögliche Öllecks machen ihr Sorgen. "Was die Fischer am meisten fürchten, sind die seismischen Untersuchungen. Da werden Druckwellen in den Meeresboden geschossen, um das Öl zu lokalisieren." Dieses Geräusch verschrecke Fische und Wale.
Frode Vikebø vom Meeresforschungsinstitut in Bergen teilt die Befürchtungen. Frühere Untersuchungen hätten gezeigt, dass seismische Schallwellen Auswirkungen auf die Fangrate haben, sagt der Wissenschaftler. Man fürchte, dass Fische negativ auf diese Wellen reagieren. "Das kann Auswirkungen auf das Überleben von Eiern und Larven haben. Vor diesem Hintergrund empfiehlt das Meeresforschungsinstitut heute, innerhalb von 20 nautischen Meilen von wichtigen Laichgebieten keine seismischen Untersuchungen vorzunehmen", so Vikebø.
Bewohner von Lofoten sehen einzigartige Natur bedroht
Kjell Giæver vom Lobbyverband Petroarctic in Bodø, der eng mit den Ölgesellschaften und den regionalen Behörden und Unternehmen zusammenarbeitet, hat für die Sorgen Verständnis. "Wir dürfen keine Kompromisse eingehen. Wenn das Risiko zu groß sein sollte, dürfen wir das nicht machen." Trotzdem meint er, dass Norwegen weiter auf die Ölindustrie setzen sollte. "Öl und Gas wird über Hunderte Jahre hinaus ein wichtiger Teil des Energiemixes und des Produktionsmixes sein. Auch wenn man diskutieren kann, ob das viel oder wenig Öl sein soll, Norwegen wird auch in Zukunft eine Rolle dabei spielen."
Fast die gesamte Produktion werde nach Europa exportiert und gerade deshalb falle Norwegen die Rolle zu, den grünen Wandel in anderen Ländern voranzutreiben. Von allen ölfördernden Ländern habe Norwegen die höchsten Sicherheitsstandards, meint Giæver. "Warum sollen ausgerechnet wir als erstes den Hahn zudrehen? Wir müssen der Welt zeigen, wie man sowas mit so einem möglichst geringen Risiko macht." Norwegen investiere einen großen Teil der Gewinne aus dem Ölgeschäft in die Entwicklung von Technologie zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes. "Das kann man nicht machen, wenn man kein Geld hat."
Die Bewohner von Lofoten sehen das ganz große Bild nicht. Sie fürchten, dass ihre einzigartige Natur wirtschaftlichen Interessen geopfert werde. Für Aktivistin Wenche Cumming ist klar, dass ein Ja zur Evaluierung große Proteste provozieren würde. "Ich glaube, dass dann viele im Fjord und an Land Blockaden errichten, um das zu stoppen." (dpa)