Rom. Wie konnte ein schwaches Beben auf Ischia so viel Schaden anrichten? Ist das ein Vorbote für Schlimmeres? Viele fürchten um den Tourismus.

Sie graben wieder. Feuerwehrmänner mit Handschuhen wühlen in Trümmern. Dieses Mal suchen sie nach drei verschütteten Kindern. Sie liegen unter einem eingestürzten Dach, vermutlich haben sie Schutz unter einem Bett gefunden. Mitten in der Nacht ziehen sie ein sieben Monate altes Baby aus einem zerstörten Haus. Es schreit. Aufatmen. Es folgen seine beiden Brüder. Von einem "Wunder" ist die Rede. Baby Pasquale und seine Brüder Mattias und Ciro haben Glück gehabt.

Aber dass ein vergleichsweise schwaches Erdbeben auf der Urlaubsinsel Ischia so viel Schaden anrichten konnte, dass Häuser einstürzten und zwei Menschen starben, zeugt nach Ansicht vieler Menschen in Italien von der Unfähigkeit, sich der Tatsache zu stellen, dass man in einem hoch erdbebengefährdeten Land lebt.

Am Montagabend um kurz vor 21.00 Uhr traf es die Insel Ischia im Golf von Neapel. Glasklares Meer, schöne Strände: Hier macht auch Kanzlerin Angela Merkel immer an Ostern Urlaub. Im Sommer kommen Zehntausende Touristen zu den 65.000 Einwohnern hinzu. Nun sind Brocken, Trümmer, Staub und Risse in Häusern zu sehen. Und das, obwohl das Beben "nur" eine Stärke von 4,0 hatte.

Bauauflagen möglicherweise missachtet

"Es ist erschreckend, dass Menschen bei einem Beben dieser Stärke sterben", sagte Francesco Peduto, Präsident des Nationalen Geologenrates. "Es macht einen ratlos, wie das Schäden und Opfer in unserem Land hinterlassen kann." Italien sei extrem verwundbar, aber es werde nicht genug Erdbeben-Vorsorge betrieben. Es gebe viel "Geschwätz", aber wenig konkrete Taten.

Erdbeben erschüttert italienische Insel

Ein Erdbeben hat die italienische Urlaubsinsel Ischia erschüttert. Der Erdstoß der Stärke 4,0 hat die Insel vor Neapel am Montagabend getroffen. Menschen sind ums Leben gekommen und wurden verletzt.
Ein Erdbeben hat die italienische Urlaubsinsel Ischia erschüttert. Der Erdstoß der Stärke 4,0 hat die Insel vor Neapel am Montagabend getroffen. Menschen sind ums Leben gekommen und wurden verletzt. © REUTERS | CIRO DE LUCA
Der Erdstoß traf die Mittelmeerinsel vor Neapel um 21 Uhr.
Der Erdstoß traf die Mittelmeerinsel vor Neapel um 21 Uhr. © REUTERS | CIRO DE LUCA
Besonders betroffen waren die Orte Casamicciola und Lacco Ameno.
Besonders betroffen waren die Orte Casamicciola und Lacco Ameno. © dpa | Serenella Mattera
Menschen verließen ihre Häuser. Bewohner erzählten, sie würden die Nacht im Freien verbringen. Für sie wurde im Ort ein Fußballstadion geöffnet.
Menschen verließen ihre Häuser. Bewohner erzählten, sie würden die Nacht im Freien verbringen. Für sie wurde im Ort ein Fußballstadion geöffnet. © dpa | Serenella Mattera
Touristen und Bewohner seien in Panik nach draußen gelaufen, berichteten italienische Medien. Ein Krankenhaus auf der Insel wurde evakuiert.
Touristen und Bewohner seien in Panik nach draußen gelaufen, berichteten italienische Medien. Ein Krankenhaus auf der Insel wurde evakuiert. © REUTERS | CIRO DE LUCA
„Es hat alles angefangen zu wackeln, alles ist heruntergefallen (...). Häuser sind eingestürzt. Es gibt Vermisste, ein Chaos“, erzählte eine Augenzeugin laut Nachrichtenagentur Ansa. „Es ist das Schlimmste, was mir je passiert ist.“
„Es hat alles angefangen zu wackeln, alles ist heruntergefallen (...). Häuser sind eingestürzt. Es gibt Vermisste, ein Chaos“, erzählte eine Augenzeugin laut Nachrichtenagentur Ansa. „Es ist das Schlimmste, was mir je passiert ist.“ © REUTERS | CIRO DE LUCA
Viele Gebäude sind eingestürzt und beschädigt worden.
Viele Gebäude sind eingestürzt und beschädigt worden. © REUTERS | CIRO DE LUCA
Die Insel vulkanischen Ursprungs ist vor allem im Sommer sehr beliebt bei Urlaubern. Bundeskanzlerin Angela Merkel macht dort regelmäßig Osterurlaub.
Die Insel vulkanischen Ursprungs ist vor allem im Sommer sehr beliebt bei Urlaubern. Bundeskanzlerin Angela Merkel macht dort regelmäßig Osterurlaub. © REUTERS | STRINGER
Die Insel liegt in der Nähe der Phlegräischen Felder, die zu den weltweit wenigen Dutzend sogenannten Supervulkanen zählen. Im Jahr 1883 kamen bei einem Beben auf Ischia rund 2300 Menschen ums Leben.
Die Insel liegt in der Nähe der Phlegräischen Felder, die zu den weltweit wenigen Dutzend sogenannten Supervulkanen zählen. Im Jahr 1883 kamen bei einem Beben auf Ischia rund 2300 Menschen ums Leben. © REUTERS | STRINGER
Menschen verließen im Hafen von Pozzuoli bei Neapel (Italien) ein Schiff, mit dem sie von der Insel Ischia gekommen sind.
Menschen verließen im Hafen von Pozzuoli bei Neapel (Italien) ein Schiff, mit dem sie von der Insel Ischia gekommen sind. © dpa | Cesare Abate
Italien wird immer wieder von teils verheerenden Erdbeben heimgesucht. Vor fast genau einem Jahr, am 24. August 2016, erschütterte ein schweres Beben die mittelitalienische Region um die Stadt Amatrice. 299 Menschen starben.
Italien wird immer wieder von teils verheerenden Erdbeben heimgesucht. Vor fast genau einem Jahr, am 24. August 2016, erschütterte ein schweres Beben die mittelitalienische Region um die Stadt Amatrice. 299 Menschen starben. © dpa | Cesare Abate
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Das betrifft Schulen, in denen Kinder lernen sollen, was bei einem Erdbeben zu tun ist. Und das betrifft die Bauweise. Auf der Ferieninsel Ischia könnten auch Bauauflagen missachtet worden sein, legte der Präsident der Vereinigung italienischer Geomorphologen, Gilberto Pambianchi, nahe. In Italien lebten mehr als 21 Millionen Menschen in erdbebengefährdeten Regionen.

Besonders schmerzhaft ist das neue Unglück, weil diesen Donnerstag vor einem Jahr der Jahrestag des verheerenden Bebens von Amatrice ist. Am 24. August 2016 starben in der mittelitalienischen Bergregion 299 Menschen, die Ortschaften liegen immer noch in Trümmern. Auch damals wurde viel über alte und schlecht gebaute Häuser diskutiert. Immer noch wird darüber geredet, wie man das endlich ändern könnte. Auch beim Wiederaufbau gibt es dramatische Verzögerungen.

Supervulkan brodelt im Erdinneren

"Schlechte Bauweise kann ein Grund sein, aber nicht der einzige", sagte der Seismologe Frederik Tilmann vom Geoforschungszentrum GFZ in Potsdam zu dem jetzigen Beben. "Uns hat das Ausmaß der Schäden auch überrascht, wir haben noch keine vernünftige Antwort." Ein Grund sei, dass das Zentrum des Erdstoßes nicht sehr tief lag.

Ischia ist seit jeher ein gefährdeter Ort. 1883 tötete ein Erdbeben um den auch jetzt betroffenen Ort Casamicciola rund 2300 Menschen. Die Vulkaninsel liegt ganz in der Nähe der Phlegräischen Felder. Dort brodelt im Erdinneren einer der wenigen "Supervulkane" der Welt. Im Gegensatz zu dem immer noch aktiven Vesuv, der 79 nach Christus die Gegend in Schutt und Asche legte, sorgen sich Geologen um dieses Pulverfass unter der Erde weit mehr.

Dass das jetzige Beben mit dem "Supervulkan" zu tun habe, hält Seismologe Tilmann allerdings für weniger wahrscheinlich. Man könne auch nicht sagen, ob dies ein Vorbote für ein schlimmeres Beben sein könnte. "Es wäre jetzt auch kein Grund, eine Reise nach Neapel zu stornieren."

Viele Urlauber fahren zurück ans Festland

Um ausbleibende Touristen sorgt man sich jetzt aber auf Ischia, mitten in der Urlaubssaison. Viele Urlauber nutzten noch in der Nacht das Angebot, mit Fähren ans Festland zu fahren. "Einige Touristen haben die Insel in Panik verlassen, aber die Lage ist unter Kontrolle, und es ist nicht so schlimm", sagte der Bürgermeister der Gemeinde Lacco Ameno, Giacomo Pascale. "Die Insel ist nicht verwüstet."

Auch im Merkel-Hotel in der südlichen Gemeinde Sant Angelo haben sie nichts vom Beben gespürt. "Hier ist rein gar nichts kaputt", heißt es an der Rezeption des Hotels Miramare. "Man kann uns also jederzeit besuchen kommen." (dpa)