Straßburg. Im Juli erklärte die Unesco Straßburgs Neustadt zum Weltkulturerbe. Nun wartet das Viertel nach langem Schattendasein auf Touristen.
Jahrzehnte lang war die Straßburger Neustadt zu einem Schattendasein verdammt. "Dieser Stadtteil bedeutete für die Straßburger Bürger lange Zeit eine fluchbeladene Geschichte", sagt Bürgermeister Roland Ries. Das Viertel habe für die "schlechte Erinnerung an die deutsche Besetzung" gestanden. Jetzt aber soll sich alles zum Bessern wenden. "Endlich!" freute sich Ries, als die Unesco im Juli in Krakau entschied, Straßburgs Neustadt zum Weltkulturerbe zu erklären.
Die Neueinschreibung Straßburgs auf die Kulturerbe-Liste, erweitert um die Neustadt, hat nicht nur die Aussöhnung mit der Vergangenheit und die Anerkennung einer deutsch-französisch-elsässischen Identität zum Ziel. Bürgermeister Ries hofft, dass nun Touristen wiederkommen, die Münster, Altstadt oder Weihnachtsmarkt bereits besucht haben und die Neustadt mit ihren Prachtvillen entdecken wollen. Der Besuch soll auch zum längeren Bleiben einladen.
Die alten Gebäude sind bestens erhalten
Das deutsche Viertel wurde zwischen 1871 und 1918 erbaut, als Straßburg die Hauptstadt des deutschen Reichslandes Elsass-Lothringen war. Die alten Gebäude sind in Straßburg bestens erhalten, während sie in vielen deutschen Städten von den Bomben der Alliierten im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden.
Die Kriterien der Unesco verlangen einen "außergewöhnlichen universellen Wert", erklärt Dominique Cassaz, in Straßburg verantwortlich für die Unesco-Kandidatur: "Wir haben den Akzent auf den Einfluss der französischen und der germanischen Kultur gesetzt, die dieses besondere Ergebnis in Straßburg brachten, weder ganz germanisch noch ganz französisch."
Vorreiter einer europäischen Identität
Der gegenseitige Einfluss fand bereits im Mittelalter statt und ist auch in der Altstadt auf der "Grande-Île" zu sehen. Straßburg sieht sich deshalb als Vorreiter einer europäischen Identität, nicht erst, seit 1998 der gewaltige 60 Meter hohe Glaspalast des EU-Parlaments im sogenannten Europaviertel gebaut wurde. "Wir sind ein Labor für das Europa der Bürger", behauptet Bürgermeister Ries.
Das Denkmal für die Kriegsopfer auf dem Platz der Republik zeigt eine zwei Söhne beweinende Mutter, von denen einer nach Deutschland, der andere nach Frankreich schaut. Die Elsässer starben auf beiden Seiten. Der Vater von Bürgermeister Roland Ries war ein "Malgré Nous" (übersetzt: gegen unseren Willen): Der französische Militär wurde 1940 von den deutschen Besatzern in die deutsche Armee eingegliedert und wurde in deutscher Uniform zum Kriegsende in den Ardennen verletzt.
Goethe, Schiller, Lessing
Die "Place de la République" mit dem schön angelegten Park inmitten des Platzes war einst der Kaiserplatz. Der ehemalige Kaiserpalast, der für Kaiser Wilhelm den Zweiten gebaut und von ihm eingeweiht wurde, heißt heute "Palais du Rhin". Über dem Eingang des "Rheinpalastes" grüßt nach wie vor der Reichsadler, im Innern zieren Germania-Gemälde die herrschaftliche Treppe. Die Fassade der Bibliothek schmücken die Köpfe von berühmten deutschen Dichtern und Denkern: Goethe, Schiller, Lessing.
Auch die Universität sollte als seinerzeit größte des deutschen Reiches eine Vitrine sein mit von der italienischen Renaissance inspirierten Gebäuden für Physik, Chemie und Botanik. Die Villen in der "Rue de la Paix" (Ex-Kaiserstraße) haben nach deutscher Art einen Vorgarten mit schönen Pflanzen, auch die Avenue ist von Bäumen gesäumt. Gezeichnet wurde die "neue Stadt" vom Straßburger Architekten Jean-Geoffroy Conrath und seinem Berliner Kollegen Johann-Carl Ott.
Es war der Wille der französischen Regierung nach dem Ersten Weltkrieg, die Spuren der Besatzer zu verwischen. Als Straßburg in den 1980er Jahren bei der Unesco eine erste Kandidatur als Weltkulturerbe abgab, dachte jeder nur an die Altstadt, das "Grande Île" genannte Zentrum der Stadt mit dem berühmten gotischen Münster, den mittelalterlichen Fachwerkhäusern und den Gebäuden aus der Renaissance. Mit der erneuten Kandidatur wurde das Weltkulturerbe nach der Entscheidung der Unesco auch auf die Neustadt ausgeweitet, die jetzt auch auf deutsche Besucher wartet. (dpa)