Hanoi. . Mehr als 40 Jahre nach Kriegsende verdient so mancher Vietnamese seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Abdrucken alter Propaganda-Plakate.
Pham Thi Minh Thinh ist im Krieg aufgewachsen: Die 52-jährige Vietnamesin kann sich noch gut daran erinnern, wie sie sich als Kind in den Erdbunkern Hanois vor den Bomben der US-amerikanischen Streitkräfte versteckte. "Es war eine sehr schmerzvolle Zeit, weil die Bomben beinahe meine ganze Familie getötet haben", sagt sie. Ein Luftangriff hatte das Haus der Familie zerstört, während sie sich im Bunker versteckt hatten.
Thinh wurde 1965 geboren, kurz nach dem Eintritt der USA in den Vietnamkrieg. Heute lebt sie vom Verkauf alter Propaganda-Plakate der nordvietnamesischen Kommunisten - die dem Krieg 1975 mit der Eroberung Saigons (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) ein Ende setzten.
Auch so mancher Amerikaner greift zu.
Die Poster kosten umgerechnet zwischen 4 und 19 Euro, je nach Größe und Motiv. Eines zeigt etwa einen Vietcong-Kämpfer, der für die kommunistische Guerilla-Bewegung in Südvietnam bewaffneten Widerstand leistete. Auf einem anderen Plakat ist der frühere US-Präsident Richard Nixon abgebildet - als japanisches Film-Monster Godzilla.
Thinhs Kunden sind nicht etwa die Anhänger der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV), die seit mehr als 40 Jahren an der Macht ist. Der kleine Verkaufsstand in Hanois Altstadt, zwischen Street-Food-Ständen und Backpacker-Hostels gelegen, zieht vor allem Touristen aus dem Westen an. Menschen, die von der geheimnisvollen Symbolik der Bilder fasziniert sind.
Ihre amerikanischen Kunden seien leicht distanziert, wenn sie ein Plakat kauften, sagt Thinh. Der lange zurückliegende Konflikt sei für sie inzwischen aber Vergangenheit. Sie selbst hege keinen Groll gegen das Land, das ihre Heimat bombardiert hat.
Anti-Amerikanismus ist nicht aktuell
Patrick Horn ist der Enkel eines US-Kriegveteranen, der in Vietnam gekämpft hat. Er finde es interessant, durch die Plakate etwas über die US-Geschichte aus der Perspektive Vietnams zu erfahren. Die offenkundig anti-amerikanische Propaganda störe ihn nicht, sagt der 25 Jahre alte Tourist über die Poster, die gefangen genommene US-Piloten oder zerstörte Langstreckenbomber der US-Luftwaffe zeigen.
Anti-Amerikanismus ist heute auch der KPV fremd. Der damalige US-Präsident Barack Obama wurde bei seinem Vietnam-Besuch 2016 von der Parteiführung herzlich willkommen geheißen. Die Länder haben 1995 diplomatische Beziehungen aufgenommen. Für junge Vietnamesen sind die USA das gelobte Land, Zehntausende studieren dort. US-Firmen haben in Vietnam Milliarden investiert. Häufig schmücken US-Flaggen Straßen in Hanoi oder werden als Accessoires verkauft.
Poster als Wirtschaftsfaktor
Unweit von Thinhs Laden verkauft auch Le Thi Kim Lien alte Propaganda-Poster. Bevor sie ihren Laden eröffnete, hatte die 24-Jährige kaum Interesse an der Geschichte ihres Heimatlandes - obwohl ihr Vater und ihre Großväter im Krieg gegen die Amerikaner gekämpft haben. „Eigentlich wollen nur ältere Menschen ihre Erinnerung an die Vergangenheit aufrechterhalten“, sagt Lien über ihre Kunden. Ein Großteil der jüngeren Vietnamesen wisse nichts über die Kriegspropaganda.
Amerikanische Touristen seien vom Design der farbenfrohen Plakate angezogen, erzählt Lien. Einige von ihnen kauften die Poster als Geschenk für Familienmitglieder, die in Vietnam gekämpft hätten. Seit sie den Laden habe, interessiere sie sich selbst mehr und mehr für die Zeichnungen, die der Staat damals bei jungen Künstlern in Auftrag gegeben hatte. Am besten gefielen ihr die Plakate, die die Wiedervereinigung des Nordens mit Südvietnam 1975 feierten.
Thinhs Favoriten sind jene Poster, die den Frieden nach Kriegsende darstellen: „Frieden - Ich mag wirklich jedes Poster über den Frieden.“ (dpa)