Wo sich Fuchs und Bär guten Tag sagen: Auf Schneeschuhen durch das Bieszcady-Gebirge
Pfefferspray steht auf der Ausrüstungsliste. „Im Winter schlafen die Bären in den Waldkarpaten nie richtig. Außerdem hilft es gegen wildernde Hunde“, erklärt Mike Dittrich. Seit acht Jahren bietet er geführte Natur- und Aktivreisen in kleinen Gruppen nach Polen an.Das Bieszczady-Gebirge hat der sportliche Vierzigjährige als Herbst- und Wintervariante im Programm.
„Beim ersten Schritt ist man noch Anfänger, beim zehnten schon Profi“, ermutigt Mike die siebenköpfige Schneeschuhmannschaft. Er selbst ist noch immer am liebsten auf seinen „Biberschwänzen“ unterwegs, den klassischen Schneeschuhen aus Eschenholz, bespannt mit Rohhaut.
Anfänger sind am besten mit den heutigen High-Tech-Schuhen aus Flugzeugaluminium und Kunststoff bedient, die nichts mehr mit den alten Pelztierjägerlatschen gemein haben. An die neue Fortbewegungsart hat man sich schnell gewöhnt. Nur das Wenden im Halbkreis erweist sich als gewöhnungsbedürftig. Im Gänsemarsch verschwindet die Gruppe im Bergwald.
Im Dezember hört man ihr heulen.
Schon am zweiten Tag stapft Mike mit uns über den Höhenzug Otrt, höchster Punkt ist hier der Gipfel des Trohaniec mit 939 Metern. Später sitzen alle glücklich in der neu erbauten Soziologenhütte, nach dem eisigen Wind draußen ist die als V.I.P.-Sofa gekennzeichnete Holzbank vor dem Kamin der angenehmste Platz.
Im Jahr 2003 war die alte Soziologenhütte (Chata socjologów) niedergebrannt. Krakauer Studenten haben das populäre Haus in den Bergen mit Spendengeldern wieder errichtet, noch immer wird Stück für Stück an ihr gebaut.
Die Kratzspuren an der Kirche in Smolnik sind noch zu erkennen: Um an den Honig eines wilden Bienenstockes zu gelangen, zerlegte ein Bär Teile der Südwand des griechisch-katholischen Gotteshauses. In den Bieszczady und dessen Vorland stehen noch viele Holzkirchen, oft letzte Zeugen verschwundener Dörfer russischsprachiger Volksgruppen.
Von 1944 bis 1947 kämpfte die ukrainische Untergrundarmee UPA hier gegen den Anschluss an Polen. Die polnische Regierung erledigte das Problem radikal. Die Bevölkerung wurde umgesiedelt, die Dörfer ausradiert. Die Bieszczady gelten seither als abgelegen, wild und menschenleer.
Ein Klischee, denn vom Frühjahr bis zum Herbst kommen seit Jahren immer mehr Touristen in die Berge. Allein im Winter bleibt es ruhig, weil Abfahrtspisten und Loipen weitgehend fehlen.
Ein Wolf! Die Abdrücke der Pfoten im Schnee am Ufer der Wetlina ähneln denen eines Schäferhundes, sind aber so groß wie eine Männerhand. Wolfstypisch ist eine gerade Spur, wenn sie nicht jagen. Schäferhunde hinterlassen einen Zick-Zack-Kurs.
Das Beste wird in der Küche gezaubert.
Ein vorbeugender Griff in die Hosentasche bestätigt: Das Pfefferspray wäre sofort verfügbar. Aber die Angst ist unbegründet: Wölfe sind klug, vorsichtig und sehr menschenscheu. Sie können einen Hirsch auf zwei Kilometer riechen und den Tritt ihrer Läufe auf zehn Kilometer hören.
Barbara und Janusz Szkotak leben seit über 20 Jahren in den Bergen. „In dieser Zeit habe ich nur einen Wolf zu Gesicht bekommen“, beruhigt Barbara. „Mein Mann sieht sie bei seiner Arbeit als Förster häufiger. Und im Dezember ist ihr Heulen zu hören“.
Der kleine Ort Muczne liegt zehn Kilometer abseits der Hauptstraße. Hier haben Barbara und Janusz vor vier Jahren die Villa Arnika eröffnet. Von außen gefällt die Pension mit Schindeldach und hölzernen Arkadengängen. Drinnen ist der Platz vor dem Kamin mit zwei Sesseln auf Wildschweinfellen heiß begehrt.
Das Beste aber zaubert Barbara in der Küche: Wildbretpasteten, hausgemachte Piroggen, raffinierte Suppen, Salate und köstliche Placki - eine süße Eigenkreation aus weißem Käse, Kartoffelmehl und Eiern mit Rosinen, in der Pfanne gebacken.
Lage:Die Bieszczady sind eine Mittelgebirgslandschaft in Südostpolen und den angrenzenden Gebieten in der Slowakei und der Ukraine. Im engeren Sinne sind sie Teil der zu Polen und der Slowakei gehörenden Ostbeskiden, die auch als Waldkarpaten bezeichnet werden.
Anreise:Mit dem Auto: Von den Grenzübergangen Forst-Olszyna (A 15) oder Ludwigsdorf bei Görlitz (A 4) weiter Richtung Wroclaw und Kraków sowie auf der E 40 über Tarnów und Rzeszów, von hier nach Sanok und Ustrzyki Dolne in die Orte der Bieszczady. Mit der Bahn: Über Berlin und Frankfurt (Oder) bzw. Dresden und Görlitz/Zgorzelec nach Wroclaw. Ab hier Nachtzug nach Rzeszów oder Przemysl, aus beiden Städten verkehren Linienbusse nach Ustrzyki Dolne mit Anschluss nach Ustrzyki Górne.
Einreise: Anfang 2008 tritt Polen dem Schengener Abkommen bei. Dadurch sind seit dem 21. Dezember die Personenkontrollen an der Grenze zu Deutschland entfallen. An den Flughäfen bleiben Personenkontrollen bis zum 29. März 2008 bestehen.
Kontakt: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Marburger Straße 1, 10789 Berlin, 030/21 00 920, Fax 030/21 00 92 14, www.polen-info.de.
Tiefhängende Wolken, Nebel, Schnee und die dunklen Stämme der Buchen und Weißtannen - die Landschaft reduziert sich wie in einem Schwarzweißfilm. Nur Wegmarkierungen und Schneeschuhläufer setzen farbige Akzente. Kleine Waldlichtungen mit Wacholderbüschen erscheinen wie von Menschen angelegt, kunstvoll mit Raureifnadeln angeputzt.
Später entdeckt Mike eine Bärenfährte quer über den Schneeschuhpfad. Die Spur ist etwa zwei Tage alt, niemand ist beunruhigt.
Hinter dem letzten Dorf Tarnawa Nizna liegt Polens südöstlichster Zipfel. Eine schmale Straße führt am Flüsschen San noch weiter nach Süden. Am ukrainischen Ufer stehen blau-gelbe Grenzpfähle und einige Wachtürme, weiter landeinwärts ist ein hoher Grenzzaun zu sehen. Von hier gleichen die Bieszczady mit ihren baumlosen und blendend weißen Gipfelpartien einem Stückchen Alaska.
Zwei Füchse kreuzen noch unseren Weg und ein Rudel Rotwild. Die Wölfe waren nur zu fühlen, gezeigt haben sie sich nicht. Aber heulen hören wir sie schließlich am Abend vor dem Kamin doch noch - wenn auch nur als Klingelton von Mikes Handy.