Punta Arenas. Das Kreuzfahrt-Schiff „Stella Australis“ fährt fünf Tage durch Patagonien. Es geht durch faszinierende Fjorde bis hin zum Kap Hoorn.
Am Morgen des dritten Tages stehen wir in orangeroten Schwimmwesten an der Reling der „Stella Australis“ und können unser Glück nicht fassen. Vor uns funkelt in hellstem Sonnenschein ein Gletscherpanorama von überirdischer Schönheit. Eisklumpen schwimmen verstreut auf dem Meer. Gleich werden wir ins Schlauchboot steigen und gegenüber dem mächtigen Pia-Gletscher landen.
Schroffe Bergspitzen ragen aus seiner Mitte in die Höhe. Unter der Steilwand hat sich ein See gebildet, der im Winter gefroren ist. Sprachlos lauschen wir den geologischen Erklärungen unseres Expeditionsführers Francisco Cardenes. Er schlägt vor, dass wir unsere Begeisterung mit einem gemeinsamen Schrei ausdrücken. Und der Gletscher reagiert! Mit lautem Krachen löst sich ein Stück der Eiswand und fällt klatschend in den See. Ein Zufall, und dennoch magisch.
Expedition durch die Fjorde Feuerlands
Im Süden Patagoniens waren wir im Hafenstädtchen Punta Arenas an Bord der „Stella Australis“ zu einer fünftägigen Expedition durch die Fjorde Feuerlands bis zum Kap Hoorn und Ushuaia aufgebrochen – eine der einsamsten und rauesten Gegenden der Erde. Das Kreuzfahrtschiff mit 200 Passagieren und 62 Mann Besatzung wurde von der chilenischen Reederei Cruceros Australis für Fahrten durch enge Kanäle und für extreme Wetterbedingungen konzipiert. Ein komfortables Wohlfühlschiff ohne Wellnessoasen, Pools und Luxus-Boutiquen, aber mit Panoramafenstern in allen Kabinen. Aus 17 Nationen kommen diesmal die Gäste, darunter 30 Deutsche.
Der erste Ausflug geht in die Ainsworth-Bucht mit dem Marinelli-Gletscher, der sich weit zurückgezogen hat. Per Schlauchboot erreichen wir den subarktischen magellanschen Urwald, wo noch vor 100 Jahren die Eisdecke eines der größten Gletscher der Darwin-Kordillere endete. Um 14 Kilometer ist er abgeschmolzen. Moose, Flechten und Pilze haben sich auf ihm angesiedelt, und im heutigen Alberto de Agostini Nationalpark entstand ein Südbuchenwald. Nie wurde hier Holz geschlagen. An stacheligen Calafate-Büschen hängen rote Beeren. Daraus wird Marmelade und Saft zum Frühstück gemacht.
Auf der ganzen Strecke bis zum Kap Hoorn gibt es keine Dörfer. Nur Gletscher, urwüchsige Natur und eisigen Strand. Deshalb sind die Magellan-Pinguine auf den Tucker-Inseln, zu denen wir mit dem Schlauchboot hinausfahren, kein bisschen scheu. Sie watscheln in Gruppen leicht schräge gegen den Wind umher. Manchmal flattern sie mit den Flossen oder drehen sich wie aufgezogene Kreisel. Ihre Stimmen klingen wie das Plärren von Affen. Bald werden sie fort sein wie die Kormorane, die in den Nischen mächtiger Felsen hausen.
1520 stießen erste Europäer ans südliche Ende der Welt vor
Nachts wird es stürmisch, als das Schiff durch enge Kanäle zum Pazifik steuert. Es scheppert so heftig in der Kajüte, dass ich erwache. Wie auf mächtigen Wogen schwanke ich im Bett hin und her. Stockfinster ist das Panoramafenster, tief unten wirbelt schäumende Gischt. Die Nacht endet mit einem glamourösen Sonnenaufgang. Später gleitet das Schiff an der majestätischen Allee der Gletscher entlang, einer der Höhepunkte der Kreuzfahrt.
Die mächtigen Eisriesen tragen Namen der europäischen Länder, aus denen die Eroberer Feuerlands kamen: Espania, Francia, Italia, Holanda, Alemania. Tausende Jahre haben auf dem entlegenen Archipel Menschen gelebt. Als erste Europäer 1520 bis ans südliche Ende der Welt vorstießen, trafen sie auf nackte Eingeborene. Unter den mehr als 100.000 Ureinwohnern gab es diverse Volksgruppen. Sie wurden nahezu komplett ausgerottet, durch Epidemien, die die Eroberer einschleppten, durch brutale Missionierung. Von den Ureinwohnern überlebten nur zwölf Kawesqar-Indianer und eine einzige Frau der Yamana-Seenomaden, auch Yaghan genannt.
Mythisches Kap Hoorn
In der schönen Wulaia-Bucht auf der Insel Navarino befand sich eine der größten Siedlungen der Yaghan. Hier traf der junge Charles Darwin 1833 auf seiner Weltreise an Bord des Forschungsschiffes „HMS Beagle“ auf Kanuten, die an den Küsten Feuerlands nackt auf Robbenjagd gingen, während die Frauen im eisigen Wasser nach Muscheln und Krebsen tauchten. Kleidung hatten sie nicht. Gegen die Kälte schützten sie sich mit dem Öl der Robben, das sie mit Gräsern und Klee mischten.
Auf der letzten Etappe der Expedition zum umtosten, mythischen Kap Hoorn, wo Atlantik und Pazifik aufeinanderstoßen, entscheidet Kapitän Jaime Hurra erst kurz vorher, ob wir aussteigen dürfen. Vor der Südspitze des Kontinents sanken mindestens 800 Schiffe, bis der Panamakanal 1914 die lebensgefährliche Passage ablöste. „Nicht nur die Stärke, auch die Richtung des Windes ist ausschlaggebend“, sagt der Kapitän. Zwölf bis 14 Leute schickt er mit Booten hinaus, um die Bedingungen zu checken, dazu fünf Männer in Tauchanzügen ins Wasser am Fuße des Felsens.
Zum Erstaunen der Reisenden ist das Kap bewohnt
Manch einer bleibt seekrank auf dem Schiff zurück, als die Schlauchboote in wogender See auf das Kap zusteuern. Eine Mutprobe, aus dem Boot auf die untere Stufe einer steilen Holztreppe zu klettern, die mit 160 Stufen am fast senkrechten Felsabbruch hinaufführt. Zu unserem Erstaunen ist das Kap bewohnt. Manuel Canepa, Offizier der chilenischen Marine, lebt hier für ein Jahr mit seiner Familie in einem Häuschen nebst Leuchtturm. Der 40-Jährige ist zuständig für die Kontrolle des Schiffsverkehrs und für meteorologische Tätigkeiten. Alle zwei Monate bringt ein Versorgungsschiff Lebensmittel. Nur im Notfall darf die Familie die Insel verlassen. Wenn der Sturm in Hurrikanstärke über die Insel fegt, verkriechen sie sich im Haus.
Ganz oben auf der 424 Meter hohen Kuppe des Basaltfelsens ragt die aus Stahlplatten montierte Skulptur des chilenischen Bildhauers José Balcells in den Himmel. In Gedenken an die gestorbenen Seemänner war in der Mitte die Silhouette eines fliegenden Albatros zu erkennen – jenes Sturmvogels, in dem die Seelen der Seeleute dem Mythos nach weiterleben. Im November 2014 riss ein Orkan die eine Hälfte des Albatros-Denkmals mit sich. Uns bleibt ein Gefühl des Stolzes, sich getraut zu haben, per Schlauchboot am Kap Hoorn anzulegen und hinaufzusteigen zu diesem wildesten Ort am Ende der Welt.
Tipps & Informationen
Anreise z. B. Direktflug ab Frankfurt mit Latam Airlines Group nach Santiago de Chile. Weiter geht es mit Lan bis Punta Arenas. www.latamairlinesgroup.net
Kreuzfahrten Die „Stella Australis“ fährt bis April 2017 mehrmals wöchentlich ab Punta Arenas nach Kap Hoorn. Die fünftägige Expeditions-Kreuzfahrt kostet ab 1800 US-Dollar p. P./Doppelkabine ( www.australis.com). Kreuzfahrten nach Kap Hoorn bieten auch andere Veranstalter an, z. B. Gebeco (www.gebeco.de), Dertour (www.dertour.de) oder Diamir Reisen (www.diamir.de).
Auskunft www.chile.travel
(Die Reise wurde unterstützt von LATAM Airlines Group, Turismo Chile und Cruceros Australis.)