Binz. Im Seebad Binz sticht ein Prachtbau besonders hervor: Das Kurhaus an der Seebrücke. Das historische Ensemble wird derzeit von Grund auf erneuert.
Wir sind das meistfotografierte Haus in Mecklenburg-Vorpommern.“ Thomas Tonndorf ist sich da absolut sicher. Täglich sieht er Heerscharen von Urlaubern vorbeiflanieren und die Kameras zücken. „Selbst nachts stehen manche mit Stativen und Riesenrohren auf der Seebrücke für den ultimativen Schuss.“ Abertausende Fotos landen anschließend in den sozialen Medien im Internet, „und auch unsere Gäste versorgen uns ausgesprochen reichhaltig mit Bildmaterial“, schmunzelt der Direktor des Travel Charme Kurhauses Binz.
Ein Schmuckstück ist es auch in der Tat – diese Ikone der Bäderarchitektur, die wie kein anderes Haus in Binz mit der Geschichte des Ostseebades verwoben ist. Innerhalb der Mauern des Prachtbaus mit seinen zwei Fronttürmen, die sowohl vom Strand als auch von der Seeseite als markante Landmarken weithin sichtbar sind, geht man auf Zeitreise zurück ins Kaiserreich. Spürt Glanz und Rausch der goldenen 20er Jahre. Atmet Tradition und Flair in jedem Winkel des weitläufigen Ensembles.
Rauschende Ballnächte in den 20ern
Ende des 19. Jahrhunderts erlebt das winzige Fischerdorf Binz einen rasanten Aufschwung. Berliner Bankiers investieren in den Ausbau eines Seebades und lassen ein Kurhaus errichten, das im Juli 1890 eröffnet – Kaiserin Auguste Viktoria gehört zu den ersten Gästen. 1906 brennt der Fachwerkbau ab; ein neues Flaggschiff – diesmal aus Stein – muss her und öffnet bereits 1908 mit allem Pomp. Zugleich werden im „Sorrent des Nordens“ immer mehr Sommervillen mit reich verzierten Balkonen, Veranden, Erkern und Türmchen an der Strandpromenade hochgezogen – die Bäderarchitektur hält Einzug in großem Stil und macht Binz berühmt.
In den 20er Jahren strömt Prominenz aus Adel und Wirtschaft, Kunst und Kultur in den boomenden Badeort und genießt in vollen Zügen das Leben am Meer. Man trifft sich zu rauschenden Ballnächten im Kurhaussaal, im Varieté und Kasino, auf der Terrasse, „dem Balkon von Binz“, und in der sagenhaften Kakadu-Bar.
Spagat zwischen nostalgisch und topmodern
Den zweiten Weltkrieg – die Insel Rügen wird kampflos an die Sowjetarmee übergeben und kommt mit einem blauen Auge davon – übersteht das Kurhaus unbeschädigt und dient fortan als Erholungsheim. Die Chance, die Traditionen des alten Seebades neu zu beleben, wird nach der Wende konsequent genutzt: Die Travel Charme Gruppe lässt das Haus 2001 in neuer, alter Schönheit aufleben. Nun ist die Grande Dame der Binzer Bäderarchitektur wieder der Blickfang auf der Promenade und feierte 2008 stolz und schön ihren 100. Geburtstag.
Doch wie das so ist mit den Jahren – das Alter hinterlässt Spuren. Da tut Auffrischung not, doch mit simpler Renovierung sollte es hier nicht getan sein. Eine harmonische Brücke zu schlagen zwischen den großen Traditionen des Hauses und einem neuen Designerlebnis, einen Spagat zu wagen zwischen nostalgisch und topmodern – nicht mehr und nicht weniger war und ist das ehrgeizige Ziel für den aktuellen und größten Facelift des Kurhauses in seiner Geschichte. Und was soll man sagen: Das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen.
Irre Leuchten und schillernde Vorhänge
Wer das mondäne Haus heute betritt, wird überrascht: durch lichtdurchflutete Empfangs-, Gesellschafts- und Restauranträume, in denen die Farbe Weiß dominiert. Durch eine kunstvoll reduzierte Eleganz wie etwa bei den Kronleuchtern aus Murano-Glas, denen nichts Schweres oder Schwülstiges anhaftet. Oder durch ein einheitliches Licht- und Vorhangkonzept, womit das Kurhaus überall offen und transparent wirkt.
Veränderungen, die nicht nur die Gäste begeistern. Veranstaltungsleiterin Christine Ascher schwärmt so sehr von „ihrem“ Trauzimmer, dass sie selbst gern dort heiraten würde. Sie liebt die dezente Eleganz in Weiß und Creme, die jedes Brautpaar mit Blick auf die Ostsee auch optisch in den siebten Himmel hebt. Marketing Managerin Claudia Haase ist hin und weg von der neuen Kakadu-Lounge – der Publikumsmagnet punktet mit viel Leder und Holz, mit irren Leuchten, die an Vogelkäfige erinnern und schillernden Vorhängen aus spiegelndem Metall. Wagenmeister René Minuth, der vor 44 Jahren seine Lehre im Kurhaus begann, kann sich keinen schöneren Arbeitsplatz vorstellen als das neu gestylte Atrium mit den Palmen und Ohrensesseln. Und Thomas Tonndorf etwa findet die Podeste im Restaurant ganz großartig, mit denen auch Gäste in zweiter Reihe bei Frühstück und Dinner stets den Blick auf die Ostsee und die Seebrücke haben.
Außenfassade wird auch bald erneuert
Ein Knüller im gesamten Haus sind die großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien aus alten Zeiten. Ob in Atrium oder Zimmerfluren – Stunden könnte man hier verbringen mit Impressionen von einstigem Sommerspaß und in Gesellschaft hübscher Frauen, die kokett mit der Kamera flirten, in züchtigen Kostümen dem sittsamen Bade frönen oder auch kecke Choreografien am Strand hinlegen. Und wem das eine oder andere Motiv besonders gut gefällt, der kann es über den Hotelservice sogar kaufen.
Zeit zum Verschnaufen bleibt dem Kurhaus allerdings kaum. Nach dem touristisch gewohnt heißen Sommer steht ab Herbst schon die nächste Etappe der millionenschweren Schönheitskur auf dem Plan. Dann werden die restlichen Zimmer und Suiten auf- und umgemöbelt, und auch die besonders sensible Außenfassade kommt dran. Auf dass auch in den nächsten 100 Jahren das Kurhaus bleibt, was es seit jeher ist: Wahrzeichen und Hotel Nummer eins in Binz auf der Insel Rügen.