Jerusalem. Ein Besuch in Israel lässt uralte Geschichte wieder lebendig werden. Für den Reisenden gibt es eine neue Perspektive auf die Gegenwart.
Vor Jahren war Jakob, der Sohn des Isaak und Enkel Abrahams, vor seinem Bruder Esau geflohen, den er – mit einem Teller Linsen – um Erstgeburtsrecht und -segen betrogen hatte. Nun auf dem Heimweg, ängstlich, aber in der Hoffnung, sich versöhnen zu können, überrascht ihn am Fluss Jabbok ein unbekannter Mann. Eine Nacht lang ringt er mit ihm, bis zur Morgenröte. Jakob will den Fremden nicht ziehen lassen ohne dessen Segen, wohl ahnend, dass der Mann nicht von dieser Welt ist. Und der Fremde sagt: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel. Denn du hast mit Gott und Menschen gerungen.“
Israel. Es ist das erste Mal, dass dieser Name in der Bibel auftaucht, im 1. Buch Mose. Der „mit Gott“ oder „für Gott streitet“. Oder schlicht: Gottesstreiter. Nachdem Gott durch Isaaks Vater Abraham einen Bund mit seinem Volk eingegangen war, hatte dieses Volk nun auch einen Namen. Und die bewegte Geschichte Israels dauert an – bis zum heutigen Staat. Gelobtes, heiliges Land, das drei monotheistische Religionen beheimatet. Es wird weiter gestritten: vielleicht für Gott, vielleicht mit Gott. Vor allem aber um Gott und die Frage, wer ihn denn nun besser verstanden hat: das Judentum, das Christentum oder der Islam. Trotz gemeinsamer Geschichte haben die Religionen ihre ganz eigenen Antworten entwickelt. Antworten, die noch heute den Alltag in Israel auch fernab von Religion bestimmen.
Manch einer ist am Ziel einer langen spirituellen Reise
Und so ist Israel, die Heimat der Geschichten der jüdischen Thora, des Alten und Neuen Testaments der Bibel, wohl eines der spannendsten Länder, die man bereisen kann. Wer durch das Land reist, reist nicht zurück in die Geschichte – er wird Teil derselben. Gerade in Jerusalem. Spiritueller Mittelpunkt für Milliarden Menschen, und noch dazu ein ganz großer Zankapfel. Die Stadt ist wesentlicher Teil des Nahostkonflikts, hier geht es um Religion: Jerusalem ist die Stadt Davids und Zen-trum des Landes, das Gott den Juden einst gegeben hat, so die Bibel. Die Stadt, in der Jesus gekreuzigt und auferstanden und Mohammed auf seine Himmelsreise gegangen sein soll. Jerusalem ist Juden, Christen und Moslems heilig, fordert deswegen viel Toleranz ein.
Bei manch einem ruft die Stadt mit ihren heiligen Stätten psychotische Störungen hervor. Beim „Jerusalem-Syndrom“ handelt es sich zwar nicht um eine anerkannte Diagnose, Fälle, in denen Besucher sich plötzlich für biblische Personen halten, sind aber schon seit dem Mittelalter überliefert. Natürlich vermag ein gesunder Menschenverstand dies nicht nachzuvollziehen. Doch wer sich vom Toten Meer kommend Jerusalem nähert, den Checkpoint passiert und in den Har-HaTzofim-Tunnel einfährt, muss sich auf etwas gefasst machen – und am Tunnelausgang nach links schauen. Dann liegt einem Jerusalem zu Füßen: Der erste Blick auf die Altstadt mit der Grabeskirche und dem Tempelberg mit der goldenen Kuppel des Felsendoms, dieser Blick wird sich tief einbrennen.
Manch einer ist dann am Ziel einer langen Reise. Eine Reise spiritueller Natur, aber auch ganz buchstäblich. Ihr Anfang lag in Galiläa, dort, wo man auf jüdisch-christliche Spuren einschwenkt. Es ist hügeliges Land, grün und fruchtbar. Galiläa ist das Wirkungsgebiet von Jesus Christus: Am See Genezareth, in Kapernaum, hat er seine ersten Jünger gefunden und Wunder vollbracht, so berichtet es die Bibel. Hier kann man „ihm“ also nachfolgen, durch eine Region streifen, die sich seit 2000 Jahren kaum verändert hat. Sogar entsprechende Wanderwege wurden angelegt, für den Aktivurlaub für Körper und Seele. Die Geschichten der Bibel werden lebendig, so berichten Pilger immer wieder.
Wilfried Schroth hat seinen Lebensmittelpunkt nach Israel verlegt, er hilft, das alte Magdala (in der Nähe des heutigen Migdal) freizulegen. Erst vor wenigen Jahren hat man einen echten Sensationsfund gemacht. Ein Hotel hatte man bauen wollen, in Israel läuft allerdings jedes Bauvorhaben Gefahr, von archäologischen Funden gestoppt zu werden. Also habe man dafür gebetet, nichts zu finden, „wenigstens war es etwas Wichtiges“, lacht Schroth. Entdeckt wurde unter anderem eine Synagoge aus dem ersten Jahrhundert vor Christus. Für Wilfried Schroth ist es keine Frage, dass man hier wirklich auf Jesus Spuren wandelt – er verweist auf die antike Handelsroute Via Maris, die einst Ägypten mit Mesopotamien verband und auch am See Genezareth vorbeiführte: „Er musste auf seinem Weg von Nazareth nach Kapernaum in Magdala vorbeikommen, und wo sonst sollte er Maria von Magdala kennengelernt haben?“ Eine rhetorische Frage, versteht sich.
An einem Originalschauplatz der Bibel zu stehen, ist bewegend
In den Hügeln am Nordwestufer des Sees hat Jesus, so das Neue Testament, die Bergpredigt gehalten und die 5000 gespeist. An einem Originalschauplatz zu stehen, seine Füße dorthin zu setzen, wo auch Jesus einmal stand, sei „anrührend“, eine „Hilfestellung für alle Gläubigen“ – und ein „Geschenk“, sagt Pater Matthias, der sich zusammen mit seinen Brüdern des Benediktinerordens um die Bedürfnisse der Pilger kümmert, die zur Brotvermehrungskirche strömen. Ein Stein unter dem Altar wird als die Stelle verehrt, auf die Jesus vor dem Wunder der Speisung der 5000 die Brote und Fische gelegt haben soll. Ihn zu berühren und zu verehren, das geht nur unter Aufsicht der Benediktiner, „weil noch immer Menschen mit Hammer und Meißel anrücken, um ein Stück mitzunehmen und sich der heilenden Wirkung zu versichern“, erzählt Pater Matthias fast ein bisschen verwundert.
Am „Berg der Seligpreisungen“, dem Ort der Bergpredigt, verrichtet ein Franziskanerorden den Dienst an Kirche und Menschen – und der ist manchmal schon fast banal. Es gilt auch, für Ruhe zu sorgen im Zeitalter von Smartphones und Selfies, um der Andacht wenigstens eine kleine Chance zu geben. „Viele Menschen verlassen weinend diesen Ort, bedanken sich, sagen, sie spüren eine Veränderung“, berichten die Franziskanerinnen. Diese Faszination, die von den Ufern des Sees Genezareth ausgeht, und die Reaktion der Menschen darauf, begegnen einem auch an der Taufstelle von Jesus im heutigen Westjordanland. Wie soll es da erst in Jerusalem werden?
Es wird ganz besonders. Der erste Blick auf die Altstadt, auf den Tempelberg mit der goldenen Kuppel des Felsendoms, hat sich eingebrannt. Durch das Damaskus-Tor geht es hinein in die Altstadt: Ein Gang durch das hektische Treiben des muslimischen Viertels führt einen irgendwann auf die Via Dolorosa, die den Kreuzweg Jesu nachzeichnet. Sie wiederum führt zur Grabeskirche, zur heiligsten Stätte des Christentums. Hier soll er sein, der Golgota-Felsen, Ort der Kreuzigung und Grablegung Jesu. Und dies ist durch die Wissenschaft durchaus anerkannt, sprechen für diese Annahme doch neben einer langen sowie überlieferten Verehrungstradition auch archäologische Hinweise. Die Franziskanerinnen kommen einem wieder in Erinnerung und ihre Dankbarkeit, am Berg der Seligpreisungen arbeiten zu können. Hier in der Grabeskirche hätten sie noch mehr zu tun, die Heerscharen von Touristen und Pilgern zu organisieren, die am Grab Jesu beten, den Golgota-Felsen berühren wollen. Niederknien, in Tränen ausbrechen – oder Selfies machen.
Heute dürfen Juden und Christen den Tempelberg betreten
Christliche Pilger sind am Ziel ihrer Reise und damit dem fortwährend schwelenden Konflikt ganz nah. Wenige Schritte sind es von der Grabeskirche bis auf den Tempelberg, der unter muslimischer Verwaltung der Waqf, ein Institut islamischen Rechts, steht, obwohl seit 1967 auch Ostjerusalem von Israel kontrolliert wird. Hier ist, so glauben es die Muslime, Mohammed zu seiner Himmelsreise angetreten, hier stehen Felsendom und Al-Aksa-Moschee. Juden identifizieren den Tempelberg als den Ort, aus dessen Erde Gott Adam schuf und wo Abraham seinen Sohn Isaak Gott zu Ehren opfern wollte. Hier baute König Salomo den ersten Tempel und verwandelte Herodes den zweiten in einen Prachtbau. Geschichten des Alten Testaments. Heute dürfen Juden und Christen den Tempelberg betreten. Dass niemand auf dem Tempelberg provoziert, dafür muss manchmal Polizei sorgen.
Den Juden ist die westliche Stützmauer des Tempelberges geblieben, die einst dem zweiten Tempel Stabilität verlieh. An der Klagemauer beten sie, es herrschen Glaube, Andacht und gute Laune. Zettel mit Gebeten und Wünschen verschwinden in den Mauerritzen. Israel. Viele Tausend Jahre alt ist die Geschichte von Jakob und seinem Kampf am Fluss Jabbok mit Gott, der ihm im Morgengrauen den Namen „Israel“ gab, „Gottesstreiter.“ Die Geschichte und die Geschichten sind lebendig im Heiligen Land der nunmehr drei großen Religionen, in dem sich die Menschen streiten um die richtigen Antworten, und doch – und dies wird in diesen Tagen immer wichtiger zu betonen – miteinander leben. In Jerusalem und am See Genezareth. In Haifa im Norden, wo man es vielleicht ein wenig leichter hat, weil drei entscheidende Touristen nie da gewesen seien, wie uns Zehava Koronyo vom Arabisch-Jüdischen Kulturzentrum in Haifa erklärt: Moses, Jesus und Mohammed.
In Jerusalem geht eine faszinierende Reise zu Ende. Ein letzter Blick über die Stadt, diesmal vom Ölberg. Was Israel und Jerusalem einem bedeuten, muss jeder selbst herausfinden. Irgendetwas wird es aber sein.
Tipps & Informationen
Anreise: Mit Germania ab Hamburg nonstop nach Tel Aviv oder mit Air Berlin ab Düsseldorf.
Sicherheit: Israel ist Reiseland, es gibt laut Auswärtigem Amt keine Hinweise, dass ausländische Besucher Ziel von Gewalt sind. Zu erhöhter Vorsicht wird in Jerusalem jedoch geraten.
Pauschal: Studiosus z. B. bietet acht Tage „Israel – Heiliges Land“ ab 1645 Euro p. P. an, das Bayerische Pilgerbüro „Israel und Palästina“ ab 1998 Euro.
Auskunft: www.goisrael.com
(Die Reise wurde unterstützt vom israelischen Fremdenverkehrsamt Go Israel.)