Ramsau. Abseits des “Event-Zirkus'“ der bayerischen Alpen lockt Ramsau Urlauber mit Entschleunigung. Der kleine Ort ist Deutschlands erstes Bergsteigerdorf.
Wer sich dem Watzmann nähert, hat zwei Möglichkeiten: entweder über Schönau am Königssee und über das gleichnamige Gewässer hinüber. Oder via Ramsau, einem 1750-Seelen-Ort im Nordwesten des Bergmassivs. Der Kontrast könnte kaum größer sein. In Schönau empfängt den Reisenden ein Spalier an Souvenirständen, auf dem vorgelagerten Parkplatz spucken Reisebusse Stunde um Stunde einen neuen Schwall Touristen aus.
Im wenige Kilometer entfernten Ramsau herrscht dagegen dörfliche Ruhe, geranienberankte Balkone reihen sich aneinander. Wie in den meisten bayerischen Alpendörfern sind die Übernachtungszahlen hier zwar ordentlich, über das Stammpublikum hinaus ist der Ort aber wenig bekannt. Das ändert sich gerade: Ramsau ist Deutschlands erstes Bergsteigerdorf. Auf Berge steigen kann man von hier aus vorzüglich, doch warum braucht es dafür einen eigenen Namen?
"Im Grunde genommen ist das nichts Neues für uns", sagt Tourismusleiter Fritz Rasp. Die Ramsau war schon immer Ausgangspunkt für Bergtouren aller Art. "Es gibt Leute, die schon 70, 80 Mal in Ramsau waren", berichtet Rasp. Große Liftanlagen oder künstliche Beschneiung im Winter gibt es hier allerdings nicht.
Bergsteigerdörfer sind kein touristisches Projekt
Dass die Ramsauer nun offiziell in einem Bergsteigerdorf leben, liegt am Alpenverein. 2005 startete der Österreichische Alpenverein (ÖAV) das Regionalentwicklungsprojekt "Bergsteigerdorf". "Wir gelten sonst eher als Verhinderer", erklärt Christina Schwann aus der Abteilung für Naturschutz und Raumplanung, die zum Beispiel für Skigebietserweiterungen zuständig ist. Als Kontrastprogramm entstand bei ihnen die Idee, kleine, ursprüngliche Alpendörfer zu schützen, die bisher vom massenhaften Wintertourismus verschont geblieben sind.
Inzwischen tragen 20 Siedlungen den Titel. "Es war uns wichtig, dass die Orte verteilt sind über ganz Österreich", sagt Schwann. Mit dabei sind auch Dörfer, die im Schatten der großen Touristenziele liegen: zum Beispiel Vent im Ötztal, ein 150-Einwohner-Örtchen, das nicht einmal 20 Kilometer von der Ski-Hochburg Sölden entfernt ist.
2014 wurde auch der Deutsche Alpenverein (DAV) auf das Projekt aufmerksam. "Die Grundintention ist, Gemeinden zu finden, die als Gegenbeispiel zum allgemeinen Trend der Erschließung und zum intensiven Tourismus dienen", erklärt Tobias Hipp vom DAV. Wie sein österreichischer Partner sieht der DAV die Bergsteigerdörfer nicht als touristisches Projekt, sondern eher als Unterstützung für Gemeinden mit besonderem Profil: für sanften, nachhaltigen Tourismus, gegen Massentourismus.
Entschleunigung ohne Event-Zirkus
Ausschlusskriterium für die Ernennung zum Bergsteigerdorf ist zum Beispiel die Einwohnerzahl. In der Gemeinde dürfen nicht mehr als 2500 Menschen leben. Die Lage am Berg ist ebenfalls wichtig. Schnellstraßen, große Betriebe oder Liftanlagen dürfen nicht in der Nähe liegen. An die Zahl der Bergsteigerdörfer in Österreich wird Deutschland deshalb wohl nicht herankommen. Es gibt zwar einige neue Bewerber im bayerischen Alpenraum, berichtet Hipp. Doch insgesamt ist das Gebiet schon zu stark erschlossen.
Dass Ramsau die Kriterien erfüllt hat, liegt nicht nur an der passenden Landschaft. Der Ort hat unter anderem auch ein CO2-neutrales Hotel, in dem regionale Speisen wie das schwarze Alpenschwein oder das Steinschaf serviert werden.
"Wir wollen nicht den Event-Zirkus", sagt Tourismuschef Rasp. Entschleunigung sei viel wichtiger. Das gelte auch für die Zukunft: Die Gemeinden müssen eine Deklaration unterschreiben, dass große Bauprojekte wie Hotels, Liftanlagen oder Schnellstraßen auch in Zukunft unterbleiben. Dieses Zurück-zur-Natur-Gefühl ist bei Touristen gefragt, glaubt Hipp. "Die Tendenz hin zu mehr Naturerlebnis ist wieder verstärkt da." Die steigenden Übernachtungszahlen in den österreichischen Bergsteigerdörfern geben ihm vorerst recht. (dpa)