Dublin. In der Hitliste der spektakulärsten Landschaften rangiert die Atlantikküste Irlands mit ihren dramatischen Klippen ganz weit oben.

Der Schnappschuss ist irre. Auf turmhohen schroffen Klippen hockt ein weißer Leuchtturm. Frontal peitscht der Atlantik seine Wellen gegen die Felsen, wo sie explodieren und zu Gischtsträußen zerplatzen. Noch krasser aber geht die Post im Hintergrund ab. Dort schleudert das wütende Meer seine Wogen so hoch über die Felsen hinaus, dass ein Monster aus weißem Schaum den Leuchtturm förmlich zu fressen scheint. Ein infernalisches Wind-Wasser-Wetter-Szenario, das man gar zu gern selbst mal erleben würde.

Fotos wie dieses jedenfalls spuken im Kopf, als wir unsere Wild Atlantic Coast Tour an Irlands womöglich spektakulärstem, ganz sicher aber populärstem Stück Küste beginnen – den ­berühmten Cliffs of Moher. Wo, wenn nicht hier, sollte das Meer stürmischer über die Küste herfallen als an diesen Mega-Klippen, die dramatisch steil 200 Meter lotrecht abstürzen. Doch Pustekuchen. Zwar pfeift der Wind schön scharf über den Klippenkamm, doch er kommt von Osten und somit übers Land. Tief drunten im Windschatten bleibt davon nicht mal mehr ein laues Lüftchen.

Felsenfront ist überwältigend

Macht aber nichts! Zu überwältigend ist diese acht Kilometer lange Felsenfront, als dass man lange Trübsal blasen möchte. Und ohne vernebelnde Gischt ist die Aussicht zudem schlicht phänomenal. Für manchen offenbar leider auch eine unwiderstehliche Einladung zum finalen Sprung in die Tiefe, woran eine Gedenktafel gleich zu Beginn des Klippenpfades erinnert.

Der einst ziemlich abenteuerliche Weg ist heute gut ausgebaut und gesichert – und das muss er auch sein, denn an manchen Tagen ist hier die Hölle los. Erstaunlicherweise tut das dem Vergnügen kaum Abbruch, denn schon ein paar Hundert Meter hinter dem avantgardistischen Besucherzentrum verteilen und verlaufen sich die Menschenmassen. Bald schon spaziert man relativ allein am Abgrund entlang und genießt das Panorama.

Anderthalb Autostunden weiter südlich kann von Trubel keine Rede sein. Nur eine Handvoll Leute hat sich eingefunden am Loop Head, dem äußersten Zipfel einer schmalen Halbinsel an der Mündung des Shannon. Auch hier krachen häufig gewaltige Wogen gegen die nackten Granitklippen. Spritzt die Gischt haushoch in die Luft. Fängt die Sonne den fliegenden Wasserstaub ein und malt Regenbögen an den Himmel. Heute allerdings nicht. Eine hauchzarte Brise streichelt Haut und Gemüt. Die Luft ist klar und das Wetter wie gemacht für einen langen Spaziergang.

Statt brüllendem Löwen gibt der Atlantik das schnurrende Miezekätzchen – ganz süß, ganz brav, ganz sanft. Ein Leuchtturm von 1690 als Ferienhaus

Auch am Loop Head verblüffen erstaunliche Naturwunder wie der Diarmuid and Gráinne’s Rock, ein majestätischer Brandungspfeilerfels, auf den sich einst mit kühnem Sprung ein Liebespaar gerettet haben soll auf der Flucht vor eifersüchtigen Ex-Partnern. Da schmeichelt ein Teppich aus weichem grünem Gras den Augen und den Füßen, die bis zu den Knöcheln in diesem herrlichen Flokati versinken. Und es kann der Leuchtturm erklommen werden, der seit 1690 seine Lichtsignale aufs Meer sendet. Im Leuchtturmwärterhaus aus dem 19. Jahrhundert darf man für ein paar Tage als Feriengast wohnen – mit freundlicher Genehmigung des Irish Landmark Trust.

Von besonderer Magie ist auch das Wasser am Loop Head, speziell für Meeresangler, Kanuten und Fans von Coasteering – das ist eine aufregende Mischung aus Klettern, Springen und Kraxeln auf Klippen, in Höhlen und durch Gezeitentümpel. Nicht zu vergessen die Taucher – Jacques Cousteau höchstpersönlich erklärte diese Gegend dereinst zum besten Unterwasserrevier in Europa.

Dritte Station: die Halbinsel Dingle – von National Geographic mal bezeichnet als „der schönste Platz auf der Welt“. Schon das Städtchen Dingle ist eine Augenweide und sicherlich einer von Irlands charmantesten Orten. ­Farbenfroh und lebhaft, mit einer Restaurant- und Kneipendichte, die selbst für irische Verhältnisse ihresgleichen sucht. Viele Besucher kommen wegen der Musik in den Pubs, viele wegen der ausgefallenen Mode- und Schmuck­geschäfte, Galerien und Kunsthandwerklädchen. Die meisten aber kommen wegen Fungie, dem berühmten Delfin, der seit 35 Jahren unverdrossen seine Kreise in der Bucht von Dingle zieht und mittlerweile sogar ein eigenes Twitter-Konto für seine Fans hat.

Am Slea Head erreicht das Spektakel seinen Höhepunkt

Die Liebhaber des wilden Atlantiks haben westlich von Dingle wieder ihren Spaß. Hier beginnt ein atemberaubend schöner Küstenstrich mit steilen Klippen und kleinen Buchten. An ­jeder Ecke möchte man halten, bevor am Slea Head das Spektakel seinen Höhepunkt erreicht. Zum einen, weil die Klippen nirgends steiler und bedrohlicher, düsterer und zackiger aus dem Meer ragen. Zum zweiten, weil tief unten der schönste Strand der Gegend liegt – ein goldener Streifen mit schwarzen Felsen, an die unablässig der Ozean donnert. Doch auch wenn er sich wie heute nur zärtlich plätschernd nähert, hat der Strand keine Chance: Alle paar Stunden frisst ihn die Flut, komplett.

Und dann wären da noch, ganz prominent im Meer vor Slea Head platziert, die sagenumwobenen Blasket Islands, die allein schon den Abstecher wert sind – aber das ist eine ganz eigene Geschichte. Was das Trio aus Blaskets, Sonne und Wolken an diesem Abend an Lichtshow abzieht, ist Spitzenklasse und lässt alles andere verblassen. Auch die Träume vom wilden Atlantik.

• Tipps & Information

Anreise: z. B. mit Aer Lingus nach Dublin; weiter im Mietwagen nach Doolin (Fahrzeit ca. 3,5 Stunden)

Unterkunft: In Doolin z. B. B&B Doolin, Seaview House, DZ/F ab 55 Euro p. P., www.seaview-doolin.ie; Loop Head Leuchtturmwärterhaus, drei Nächte ca. 437 Euro;
www. irishlandmark.com/property

Auskunft: www.entdeckeirland.de, www.loophead.ie,
www.dingle-peninsula.ie