Essen. Als Kultur- und Filmstadt spielt Wismar eine Dauerrolle in der touristischen Oberliga. Der benachbarte Klützer Winkel aber ist eher ein Geheimtipp.

Durch dieses Tor kam das Grauen in die Stadt.“ Ein Satz wie ein Hammerschlag, mit dem Astrid Peschke ihr Grüppchen effektvoll am Schlafittchen packt. Einen Moment noch lässt die Stadtführerin die Zuhörer zappeln, dann sprudelt sie los. Und spult die gruselige Story vom dämonischen Grafen Orlok ab, einem Vampir aus den Karpaten, der mit Sarg unterm Arm und Ratten im Schlepptau durchs nächtliche Wisborg wandelt und der Stadt eine tödliche Krankheit bringt: die Pest. 1921 gedreht, ging diese Adaption von Bram Stokers Dracula als Horror-Klassiker „Nosferatu“ in die Filmgeschichte ein. Zur Kulisse für das fiktive Wisborg erwählte Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau die Hansestadt Wismar, und noch heute lässt sich prima nachvollziehen, warum. Überragt von gleich drei „Roten Hünen“, wie die gigantischen Backsteinkirchen der Hansezeit genannt werden, fasziniert die Unesco-Welterbe-Altstadt wie einst zu Murnaus Zeiten – ein 76 Hektar großes Flächendenkmal mit 1500 Häusern verschiedener Stile und Epochen, von denen 400 nochmals Einzelschutz genießen.

Auf Nosferatus Spuren lande ich auch im romantischen Hof der Heiligen-Geist-Kirche, wo Film-Vampir plötzlich auf TV-Polizei trifft. Denn der Eingang zum Hof ist ZDF-Zuschauern bestens bekannt – als Entree zur Wache der Sonderkommission Wismar. Seit 2004 und inzwischen in der 13. Staffel lösen die Ermittler der „SOKO Wismar“ jede Woche einen frischen Fall von Mord und Totschlag, der den Krimifans Gänsehaut verschafft und der Stadt Tourismuswerbung.

Von Untoten zu Krimi-Toten

Die SOKO-Führung hat sich zum populärsten Stadtrundgang gemausert. Und so springt Frau Peschke mühelos von den Untaten des Untoten zu den Toten und Tatorten der Serie und erfreut mit allerlei Anekdoten und Episoden aus der SOKO-Historie: Wo wurde der Brautschleier zur Mordwaffe? Wo die Wasserleiche gefunden? Wo die Oma mit Pralinen vergiftet? Auch zu Nosferatu gab es übrigens schon einen Film, „ausgestrahlt als Folge 16 in Staffel 5 am 4. Februar 2009“, schießt Peschke wie mit der Pistole hervor.

Auch im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern – dem herausragenden musikalischen Ereignis im Bundesland – spielt Wismar stets eine zentrale Rolle. So wird am 17. Juni das Eröffnungskonzert des Festivalsommers in St. Georgen

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stattfinden, einem gotischen Gebirge, in das die Dresdner Frauenkirche glatt zweieinhalbmal hineinpassen würde. Umwerfend mit ihren famosen Decken- und Fensterglasmalereien ist auch die Heiligen-Geist-Kirche, in der sich Star-Geigerin Julia Fischer und Super-Cellist Daniel Müller-Schott am 22. Juli die Ehre geben werden. Für jeweils zwei Wochen im Juli und August werden außerdem „Faust“ und „Jedermann“ die Theater-Fans begeistern – auch sie treten in der gewaltigen Georgenkirche auf.

Der Klützer Winkel als Geheimtipp der Region

Eher noch als Geheimtipp auf der touristischen Landkarte hingegen gilt der Klützer Winkel westlich von Wismar. Von hier ist es zwar nur noch ein Katzensprung bis zum kilometerlangen Sandstrand im Ostseebad Boltenhagen, und dennoch wähne ich mich per Zeitsprung in jene ferne Epoche gebeamt, als Schlossbesitzer und Gutsherren in Mecklenburg noch ganz große Nummern waren. Für diesen Eindruck sorgen zuallererst der tiefe ländliche Frieden sowie das frisch restaurierte Schloss Bothmer – die größte barocke Schlossanlage in ganz Mecklenburg-Vorpommern. Mit prachtvollen Stuckdecken, reich geschmückten Kaminen und Intarsienkabinett, mit zwölf Hektar Landschaftsgarten, hauseigener Gracht und einer in Deutschland einmaligen Allee aus gespaltenen Lindenstämmen. Neben Schloss Bothmer – übrigens ebenfalls Bühne der Festspielkünstler – besticht als zweiter kultureller Leuchtturm der Gegend das Literaturhaus „Uwe Johnson“. Johnson, der zu den wichtigsten deutschen Schriftstellern der Nachkriegsliteratur zählt, machte das Städtchen Klütz zur Vorlage des Ortes „Jerichow“ in seinem Roman „Jahrestage“. Und Klütz hat es Johnson gedankt: Ein denkmalgeschützter Getreidespeicher wurde als Dichter- und Literaturhaus zur Gedenkstätte, zum Forum für Lesungen oder Ausstellungen und zur Kulisse für den „Klützer LiteraturSommer“.

P.S.: Wismar und der Klützer Winkel sind Mitglieder im Verband Mecklenburgische Ostseebäder (VMO), zu dem auch die Münsterstadt Bad Doberan und die Barlachstadt Güstrow gehören. Für den perfekten Strand- und Badeurlaub sorgen unter anderem die Ostseebäder Boltenhagen, Kühlungsborn, Rerik, Heiligendamm, Nienhagen und Graal-Müritz (von West nach Ost).