Essen. Suriname? Außer eingefleischten Fußballfans dürfte dieses Land kaum jemandem ein Begriff sein. Doch das kleine Land hat Urlaubern einiges zu bieten.

Viermal Indonesien und dreimal Afrika: So lautete das Ergebnis einer nicht repräsentativen Umfrage unter Freunden, wo denn auf dem Globus Suriname liege. Alle falsch! Nur die drei Fußballer unter den zehn Befragten wussten es: Suriname ist das kleinste unabhängige Land in Südamerika – und die Heimat von Ruud Gullit, Frank Rijkaard oder Clarence Seedorf, um nur drei zu nennen, die in den Niederlanden zu Weltklassespielern reiften.

Deutsche Namen in karibischer Umgebung

„Oh ja!“, sagt der Gärtner im „Bergendal Resort“ am Suriname River. „Mein Neffe kam früher einmal pro Jahr aus Paramaribo zu Besuch. Ich bin der Onkel von Clarence Seedorf!“ Der Gärtner heißt Karl, sieht mit seinen Rastalocken aber aus wie ein Karibe. Der Hindu Bysai, der am Straßenrand eiskalte Trinkkokosnüsse verkauft, sagt, seine Familie lebe schon seit Generationen in Suriname. Woher sie aus Indien kämen, wisse er nicht. Fu Lin hingegen ist einer der vielen Chinesen, die ein Lebensmittelgeschäft führen, und Wayan, wie in Indonesien traditionell die Erstgeborenen heißen, nimmt in seinem Warung die Bestellung für ein Nasi Goreng auf.

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In der Hauptstadt Paramaribo, wegen seiner Holzbauten Weltkulturerbe seit 2002, stehen Kirche, Moschee, Hindu-Tempel und Synagoge einträchtig nebeneinander. Die Straßennamen sind holländisch, das Leben ist karibisch-heiter und Südamerika scheint weit weg zu sein. Suriname vereint auf engem Raum und auf unaufgeregte, weil gewachsene Weise holländische und kreolische, westafrikanische und indische, aber auch indonesische und deutsche Einflüsse. So manche Plantage trägt noch heute deutsche Namen wie Altona, Berlijn, Frankfort oder Hannover. Gefahren wird allerdings links. Der erste Autobesitzer in Suriname hatte einen Chauffeur aus England und der entschied, gewohnheitsmäßig links zu fahren.

Westafrika im Kleinformat

„Instappen!“ – einsteigen – sagt Bootsführer Oswaldo. Er ist ein Maroon wie etwa ein Viertel der insgesamt 500.000 Einwohner. Sie sind die Nachkommen geflüchteter Sklaven. Und viele von ihnen leben am Brokopondo, ein Stausee, dreimal so groß wie der Bodensee, der aussieht wie nach einem Atomangriff. Apokalyptisch ragen Tausende von überschwemmten und abgestorbenen Bäumen aus dem Wasser und an einigen Stellen stemmt Oswaldo mit seinem zehn Meter langen und zwei Personen schmalen Boot die Baumstumpen bei Seite, wie Slalomläufer beim Skifahren die Stangen – einfach um durchzukommen in diesem toten Labyrinth.

Lebi Doti, eines der Dörfer am See, ist alles andere als ausgestorben. Im See waschen farbenfroh gekleidete Frauen die Wäsche und unterhalten sich lautstark. Die Männer gehen zum Fischen. Die Kinder schreien den Fremden zu. Lebi Doti ist eine hundertprozentige Maroon-Siedlung und Westafrika im Kleinformat. Abgesehen davon, dass es keine Hunde im Dorf gibt. „Hunde waren Sklavenjäger“, erklärt der Kapitän, der Dorfchef, und freut sich auf die Flasche Rum, die als Gastgeschenk übergeben wird. Der Lehrer der Schule kommt wochenweise aus der Hauptstadt. Diesel für den Generator fließt nur, wenn Wahlen sind. Und für kleinere Delikte ist der Kapitän auch Richter. Die Polizei käme frühestens nach zwei bis drei Tagen.

König Fußball regiert auch hier

85 Prozent des Landes sind fast unberührter und beinahe unbewohnter Regenwald. Weit mehr als 90 Prozent der Menschen leben entlang der Küstenregion im Norden oder entlang der acht Flüsse des Landes. „Instappen!“, sagt Oswaldo wieder. Der Oberlauf des Suriname River mit den hundert Arten von Grün im Regenwald, Dorfbesuche am Fluss und schöne Lodges warten. Ab jetzt gibt es keine Straße und kein Auto mehr. Der Fluss und das Boot sind die einzigen Fortbewegungsmittel. Mit Balzlauten lockt Oswaldo einen indigoblauen Schmetterling an und bietet ihm ein gebrochenes Blatt. Der Flattermann saugt und kann gar nicht genug davon bekommen. Oswaldo lacht und erklärt, warum der Schmetterling gekommen ist: „Sex, Drugs und Rock ‚n’ Roll! Ein männlicher Schmetterling lebt nur 18 Tage. In dieser Zeit trinkt er die 50-fache Menge Alkohol, die er eigentlich vertragen würde, tanzt froh gelaunt durch die Lüfte, bis er ein Weibchen findet, das mit ihm 48 Stunden ohne Unterbrechung Liebe macht.“

Die Bootstour am Fluss ist eine wunderschöne Regenwaldeinsteigertour mit schwarzen Granitfelsen und goldbraunen Sandbänken, mit Stromschnellen und gemütlichen Passagen sowie jenen gefühlten hundert Grüntönen des Regenwalds links und rechts vom Fluss, wo trotz aller Abgeschiedenheit der weltweite König namens Fußball regiert. „Wisst Ihr eigentlich, wen der Kapitän unserer Fußball-Nationalmannschaft als Weltfußballer des Jahres gewählt hat?“, fragt Oswaldo nach der Schmetterlingseinlage. „Er hat für Manuel Neuer gestimmt. Wir verstehen eben was vom Fußball, auch wenn nicht viele Leute in Europa wissen, wo Suriname eigentlich liegt ...“