Petit-Canal. Zu Besuch im französischen Überseedepartement mitten in der Karibik: Auf Guadeloupe florierte früher der Sklavenhandel.

Abgetretene Steinstufen führen hinauf zu einem Platz, auf dem heute die weiß getünchte Kirche von Petit-Canal thront. Hier wurden früher Sklaven für die Arbeit auf den Zuckerrohr- und Kaffeefeldern der weißen Plantagenbesitzer verkauft. „Les marches des esclaves“, die Stufen der Sklaven, wird die Treppe genannt. Man sagt, die Leibeigenen hätten die 49 Stufen erbaut. „Das beruht auf einer Legende, die Geschichte der Sklaverei basiert auf mündlichen Überlieferungen“, erklärt Marie Moutou.

Umrisse eines Schmetterlings

Marie ist Reiseführerin und wohnt in Petit-Canal, einer Kleinstadt im Norden von Grande-Terre, einer der beiden Hauptinseln von Guadeloupe. Sie bildet den östlichen Flügel des französischen Überseedepartements mitten in der Karibik, das zusammen mit Basse-Terre, dem westlichen Flügel, die Umrisse eines Schmetterlings darstellt. Beide werden nicht nur durch die Brücke Pont de la Gabarre verbunden, sondern auch durch die 2010 ins Leben gerufene Sklavenroute „Route de l’esclave“. Der Handel mit Sklaven aus Afrika erreichte vor allem unter den Franzosen, die 1635 Guadeloupe kolonialisierten, seinen Höhepunkt. Guadeloupe zählt heute gut 400 000 Einwohner, 90 Prozent sind Schwarze und Mulatten. Auch Marie stammt aus einer Sklavenfamilie.

Von der Kirche aus schweift der Blick geradeaus auf einen kleinen Hafen. Fischerboote schaukeln an den Stegen. Inmitten dieser Idylle aus Mangobäumen, roten Bougainvillea und dem glitzernden Meer fällt es schwer, sich vorzustellen, dass hier einer der bedeutendsten Umschlagplätze für Sklaven war.

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Am Fuß der „Marches des esclaves“ erhebt sich auf einem Steinsockel eine riesige „Ka“, eine Handtrommel, auf der die „Ewige Flamme“ für den unbekannten Sklaven brennt. Das Denkmal wurde 1994 anlässlich der 200. Jahresfeier zur Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien am 4. Februar 1794 errichtet. „Die Klänge und Rhythmen der Handtrommeln waren lange verrucht“, sagt Marie. Heute sei die Musik die Seele Guadeloupes und typischer Soundtrack der Insel, erzählt Marie. In Petit-Canal ist die Geschichte des Menschenhandels allgegenwärtig – auch wenn allmählich die Natur von ihr Besitz ergreift. Die nur wenige Meter weiter liegende Ruine ist das Überbleibsel eines Sklavengefängnisses. Die Gemäuer, um die sich die kräftigen Wurzeln einer uralten Würgefeige legen, stehen seit 1991 unter Denkmalschutz.

Die „Route de l’esclave“ führt auf der Nationalstraße N1 weiter nach Basse-Terre und über den nur 50 Meter breiten Meeresarm Rivière Salée. Das Ziel: Fort Louis Delgrès, im 17. Jahrhundert errichtet zur Verteidigung der Franzosen gegen die Engländer, die um den Besitz der Schmetterlingsinsel kämpften. Die Spuren der Sklaven führen weiter in Richtung Kaffeeplantage Habitation La Grivelière. Die Fahrt hoch auf 200 Meter ist ein kleines Abenteuer. Die Straße ist kurvenreich und schmal. Die Plantage wurde Ende des 17. Jahrhunderts gegründet. Heute steht das Ensemble aus rund einem Dutzend Häusern unter Denkmalschutz. „Der Name geht auf die Anfänge der Kolonialzeit zurück und steht für landwirtschaftliche Betriebe“, erklärt Noamie Talbot. Ihre Besitzer, in der Regel Weiße, seien „Habitant“ genannt worden.

An das Schicksal der rund 300 000 Sklaven, die bis Mai 1848 nach Guadeloupe gebracht wurden, erinnert in der Hauptstadt Pointe-à-Pitre das „MémorialACTe“. Das im Juli 2015 eröffnete Museum wurde dort errichtet, wo einst die größte Zuckerrohrfabrik der Insel stand – und einer der größten Sklavenbetriebe. Die schwarze Fassade soll an die Opfer erinnern. Die filigrane Netzstruktur, die den Bau bedeckt, stellt die Wurzeln des wilden Feigenbaums dar, eine typische Pflanze der Region. In Petit-Canal drängt eine ihrer besonders robusten Arten aus den Ruinen des ehemaligen Sklavengefängnisses hervor.