Tbilisi. Die Altstadt von Tbilisi ist halb verfallen. Doch am Ufer des Mtkwari hält in der georgischen Hauptstadt die Moderne Einzug. Eine Stadtrundfahrt.
"Ein Fahrrad möchten Sie sich ausleihen?“ Die Rezeptionistin antwortet in gutem Englisch, doch ihr Gesichtsausdruck ist so, als ob ich nach einem billigen Transvestitenpuff gefragt hätte. Ich sage, dass ich gerne mit dem Rad fremde Städte erkunde. Sie stutzt noch einen Moment, dann gibt sie eine Suchanfrage in Google auf. Und tatsächlich erscheint die Adresse eines Radverleihs in Tbilisi, einer Stadt von immerhin 1,5 Millionen Einwohnern. Sie ruft an. Es nimmt allerdings niemand ab.
„In Tbilisi fährt niemand Rad, hier fährt jeder mit dem Auto“, wird mir Teopa, die ich am nächsten Tag treffe, erklären. Und mit dem Bus oder, noch schlimmer, dem Marschrutki genannten Linientaxi, führen nur alte Opis. Tatsächlich sehe ich während meines gesamten Aufenthaltes in Tbilisi kein einziges Fahrrad. Nirgends. Vielleicht wäre ja eine historische Stadtführung zu Fuß eine Idee?
Ich versuche es auf dem Weg, der in Georgien wahrscheinlich am erfolgversprechendsten ist: ich spreche einfach eine Frau in einem Café an der Abkhazi Straße an. Und habe sofort Glück. Nino Pantsulaia ist ehemalige Stadtführerin und willigt ein, mir am nächsten Tag die Geheimnisse der Altstadt zu erklären.
Warum sehen die Häuser in weiten Teilen der Altstadt so aus, als ob sie jeden Moment zusammenbrechen? Die Leute in Tbilisi hätten kein Geld, entfährt es Nino. An Renovierungen sei nicht zu denken, die meisten Bewohner wären froh, wenn sie sich etwas zu essen kaufen könnten.
Imposante Bauten, funkelnde LEDs
Tbilisi, von Russen, die dieses Wort nicht aussprechen konnten, Tiflis getauft, erfuhr im Laufe seiner Geschichte viele Zerstörungen. Die Stadt, strategisch günstig zwischen Europa und Asien gelegen, war schon immer Treffpunkt von Händlern aus Paris, Konstantinopel, Kalkutta, Smirna und Buchara. 1795 wurde Tbilisi von den Truppen des Persers Aga Mohammed Khan vollständig zerstört. So zählen die ältesten Häuser der Stadt heute nicht mehr als 200 Jahre. Am Rustaweliprospekt reihen sich imposante Bauten wie die Akademie der schönen Künste, das Rustaweli-Theater, das Konservatorium und das Operntheater aneinander.
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Aus der Altstadt heraus, am Flussufer des Mtkwari, macht die Stadt auf einmal einen Sprung ins dritte Jahrtausend. Die „Peace Bridge“, die 2010 eröffnet wurde, funkelt nachts mit einer Orgie aus Zehntausenden von LEDs. An die Brücke schließt sich ein moderner Park an, der an das neue Stadttheater grenzt. In Auftrag gegeben hat das wurmartige Gebilde aus Glas und Stahl der vorherige Präsident Georgiens, Saakashvili, erfahre ich von Nino. Dem jetzigen Präsidenten gefällt es angeblich nicht, und so dämmert es ungenutzt vor sich hin.
Mit der neuen Gondelbahn fahre ich dann noch hinauf auf den Hausberg. Hier oben steht die „Mutter Georgien“, eine riesige Frauenfigur, die eine Schale Wein in der einen, ein Schwert in der anderen Hand hält. Wein, dessen Produktion unter sowjetischer Zeit in Georgien litt, ist jetzt wieder auf dem Vormarsch. Georgische Winzer produzieren kleine, aber feine Tropfen, die schon einige internationale Preise einheimsten. Schließlich hat Wein in Georgien einen Ruf: Es ist das Land, in dem der Weinanbau begann. Die Produktion unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von herkömmlichen Prozessen: Der Wein gärt in Tonkrügen, die in die Erde eingegraben sind, so dass nur die Öffnung herausschaut.
"Der Mann alleine bestimmt"
Ein Muss in Tbilisi ist auch die Besichtigung der Schwefelbäder, die am Gorgasali Platz sprudeln. Ihr Wasser ist zwischen 24 und 38 Grad warm. Von außen sieht man nur die runden Lichtkuppeln. Früher waren die Bäder reich mit Steinmetzarbeiten, Mosaiken und Marmor ausgestattet, heute bestimmt ein etwas trostloses Flair das Innere.
„open 24 hours“ steht auf einem Schild. Doch im Inneren riecht es so stark nach Schwefel, dass man schon ein dickes Fell haben muss, um sich richtig zu entspannen. Draußen treffe ich auf Teopa und ihre Freunde. Die junge Frau aus Tbilisi schlägt vor, den nahen Wasserfall anzuschauen. Der sei vor allem Ziel von Hochzeitspaaren, die sich davor ablichten ließen. Und tatsächlich treffen wir auf frisch getraute Eheleute, von denen die Frau fürs Foto so tut, als ob sie ihren Ehemann von der Klippe schubst. Teopa kommentiert: „Das ist nur ein Spiel. In Wirklichkeit ist es so, dass die Frau, wenn sie einmal verheiratet ist, null zu sagen hat. Der Mann allein bestimmt.“ Die Heirat, das wird schnell klar, ist für Teopa ein großes Thema. Das normale Heiratsalter liegt in Georgien zwischen 17 und 24 Jahren, da bleibt der 23-jährigen nicht mehr viel Zeit. „Man wohnt entweder mit den Eltern oder mit dem Ehemann“, sagt sie. Etwas anderes ist in der georgischen Gesellschaft nicht vorgesehen.