Essen. Eine Ordensschwester erzählt über den Bürgerkrieg in Suchitoto. Der Ort der malerisch in El Salvador im Regenwald liegt, hat eine lange Geschichte.
Noch immer stehen Schwester Peggy die Tränen in den Augen, wenn sie von den vergewaltigten Ehefrauen der Guerillakämpfer erzählt – auch wenn es schon so lange her ist, rund 30 Jahre.
„Wir sind zusammen vor den Soldaten weggelaufen und haben uns im Dschungel versteckt – damals habe ich wahre Solidarität, ja fast Zärtlichkeit unter den Frauen erfahren“, erzählt die katholische Nonne mit dem kurzen grauen Haarschopf und blickt traurig auf. Das Rattern und Knattern der Militärhubschrauber verfolge sie noch heute in ihren Alpträumen.
Ärzte riskieren ihr Leben
Mitte der 80er kommt die engagierte Amerikanerin des Ordens „Sister of Charity“ in die kleine Kolonialstadt Suchitoto im Norden El Salvadors, das Land steckt mitten in einem grausamen Bürgerkrieg. „Die Menschen lebten wie Sklaven auf den Haciendas der Plantagenbesitzer, sie waren arm und hungerten“, erklärt die Ordensschwester die Zustände vor Beginn der Kämpfe. Die Unterdrückten organisierten sich, „und das Militär ging mit Gewalt gegen politische Versammlungen vor“. Der Bürgerkrieg beginnt.
1987 kehren Tausende von Menschen aus den Flüchtlingscamps in Nicaragua zurück und versuchen, ihr Leben wieder aufzubauen. Mit Hilfe von Geistlichen beginnen sie, Zuckerrohr und Kaffee in der fruchtbaren, Vulkan- geprägten Landschaft anzubauen. Die unerschütterliche Schwester Peggy versteckt verzweifelte Frauen in ihrem Haus, unterstützt sie, wo es nur geht, aber fährt auch verwundete Guerillas zu Ärzten, die alle „ihr Leben mit der Behandlung der Regimegegner riskierten“.
Suchitoto ist der Ort, an dem die ersten Kämpfe des zwölf Jahre andauernden Bürgerkriegs ausgetragen werden. Nahe der heute malerischen Kleinstadt liegt rund um den Vulkan Guazapa – versteckt in den dichten Regenwäldern der Berge – die Hochburg der Revolutionsarmee. Das von der USA unterstützte Militär der Regierung verschanzt sich in Suchitoto. Blutige Kämpfe, auch in den umliegenden Siedlungen, sind die Folge. „Dörfer und Felder wurden niedergebrannt, Vieh getötet, Demonstranten verschwanden plötzlich und kehrten nie wieder zurück“, entsinnt sich die Ordensschwester.
Heutzutage erinnern in Suchitoto nur noch einige Einschusslöcher an karibikbunten Hausfassaden, deren Farbe langsam abbröckelt, und ein paar verstaubte Munitionskisten in dem unscheinbaren Museo de la Moneda an die Ausschreitungen von damals. Und doch ist der Gast schnell in die Zeit zurückversetzt, lauscht er Schwester Peggys‘ Erzählungen. Die weiß getünchte, spanische Iglesia Santa Lucia am Dorfplatz, die fast komplett zerstört worden wäre, ist neu aufgebaut, stattliche Herrenpaläste sind hübsch restauriert worden. Der nahe gelegene Lago Suchitlán und Wasserfälle wie der Salto El Cubo schimmern grünlich – und friedlich. Ein beliebtes Ziel für Bootsausflüge und Wanderungen. An Wochenenden sorgen gemütlich-nette Bars, Lokale und Galerien in den Gassen mit ihrem Kopfsteinpflaster für reichlich Gäste.
Backpacker sind auf der Durchreise
Viele kommen aus der nur eine Stunde entfernten Hauptstadt San Salvador, ein paar Backpacker streifen das Kolonialstädtchen auf ihrer Durchreise nach Honduras. An der Plaza Central wird bei Kunst- und Kulturfestivals lang gefeiert und viel getanzt. Gegenüber des Platzes mischt ein Bäcker fleißig Maismehlteig in seiner winzigen Ein-Zimmer-Mühle, seine Helfer zerkleinern Tomaten und Käse in einem rostigen Riesenmixer. Alles Zutaten für Pupusas, gegrillte Maistortillas mit Schweinespeckschwarte und Bohnenmus gefüllt – das Nationalgericht ist nicht nur für Salvadorianer eine wahre Delikatesse.
Das fast romantische Suchitoto von heute hat viel Charme. Es hat der Last der Vergangenheit standgehalten – oder ist sogar noch an ihr gewachsen. „Doch im Bewusstsein der Menschen ist der Bürgerkrieg längst nicht vergessen – auch weil viele Kämpfer und ihre Anhänger weiterhin wichtige Machtpositionen innehaben“, weiß Schwester Peggy.
Damit die jungen Bürger Suchitotos ihre Probleme nicht mit Gewalt lösen, hat sie vor zehn Jahren die „School of Art“ in einem alten Dominikanerkloster gegründet. Ein „heilender Ort“. Die Schüler – meist im Teenageralter – lernen Harfe, Klavier und Cello zu spielen. „Die Musik ist bei uns ein gutes Werkzeug, um Frieden zu schaffen. Die Kinder nehmen es dankbar an“, erläutert die Nonne aus New Jersey mit leuchtenden Augen. Und nebenbei erzählt sie Backpackern und Studenten, die im Kloster ein Zimmer mieten können, von ihren Erlebnissen während der Unruhen.
Indigo-Färberei für interessierte Urlauber
Auch Irma Guadrón ist von ganzem Herzen stolze Salvadorianerin. Vor acht Jahren gründete sie ihr eigenes kleines Unternehmen. Selbst ist die Frau – auch im sehr Macho- geprägten Zentralamerika, wo viele immer noch um ihre Rechte hart kämpfen müssen. Der 36-Jährigen gehört eine Indigo-Färberei, in der sie ebenso Workshops für interessierte Urlauber anbietet.
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In El Salvador haben selbst die Pflanzen mit den roten Blüten mit dem Bürgerkrieg zu tun: „Internationale Firmen gaben damals die Gelder, um nach dem Krieg neue Alternativen für ehemalige Soldaten und Guerillas zu schaffen”, sagt Irma. So entstanden in der Gegend neue Farmen, um die Indigopflanzen erneut zu kultivieren. Das kleine Land ist der Hauptproduzent des tiefblauen Naturfarbstoffes Indigo in Lateinamerika. Es gab bereits Anfang des 19. Jahrhunderts große Farmen. Die Kunden sind Jeansfabrikanten wie Levi’s. „Der Farbstoff färbt nur Naturfasern ein – Leder, Baumwolle und Seide”, erklärt die tatkräftige Schneiderin.
Viel zu tun hat die Unternehmerin in ihrem Outdoor-Atelier: Jeden Tag ackert sie zusammen mit zwei Schneiderinnen bis zu zwölf Stunden. „Meine vier Kinder gehen aber immer noch vor”, sagt sie lächelnd. „Doch wenn ich nicht arbeite, verdienen wir ja auch nichts – und ich muss die Schulgebühr für meine Mädels bezahlen.”
Mit ihrer starken Arbeitsmoral haben die Salvadorianer ihr Land damals schnell aus den Ruinen des Krieges wieder aufgebaut – und sich beinahe an die Spitze der zentralamerikanischen Volkswirtschaft gebracht. Die Geldsendungen der zweieinhalb Millionen Salvadorianer, die im Ausland leben, unterstützen das Land stark. „Trotzdem sind Armut und Arbeitslosigkeit weiterhin ein großes Problem“, weiß auch Schwester Peggy. Rund ein Drittel der Bevölkerung lebt, vor allem auf dem Land, unterhalb der Armutsgrenze. Für die beharrliche Nonne ein Grund mehr, gerade mit den Kindern – „unserer Zukunft“ – in ihrer Kunstschule zielstrebig zu arbeiten.