Essen. Der Kitzbüheler Alpen Trail wurde 2014 eröffnet und führt Urlauber durch die malerische Landschaft der Hohen Tauern. Mit dabei: Der Wilde Kaiser.
Regen. Mal schüttet es wie aus Kübeln, dann wieder fällt das Wasser in dichten Perlenschnüren. Aber es hilft nichts: Wir haben uns den KAT-Walk vorgenommen, jetzt müssen wir auch hinaus. Eröffnet wurde der Kitzbüheler Alpen Trail in Tirol erst im vergangenen Jahr, und in knackigem Austro-Englisch „KAT-Walk“ getauft. Nun, nach dem der Schnee geschmolzen ist, steht die erste richtige Saison bevor. Von Hopfgarten im Westen bis Fieberbrunn im Osten misst er 104 Kilometer Länge und umfasst 6400 Höhenmeter. Eingeteilt ist er in sechs Etappen von im Schnitt 17 Kilometern Länge. Er führt nie über 2000 Meter Höhe hinaus, ist aber kein Spaziergang, sondern erfordert etwas Kondition. Mit einer Ausnahme ist jedes Etappenziel mit Bus oder Bahn zu erreichen.
Hier in der Windau beginnt der zweite Abschnitt. Von dem aber ist heute nicht allzu viel zu erkennen. Auf Forstwegen und Stiegen geht es gemächlich bergauf, Kühe haben die Wiesenwege ausgetreten, die Schuhe schmatzen im Morast. Der kurze Abstecher zum Kreuz auf dem Lodron-Gipfel erübrigt sich: Die Kulisse aus Hohe Tauern und Wilder Kaiser bleibt hinter dem nassen Vorhang verborgen. Aber nach vier Stunden kommt die Untere Lärchenbergalm in Sicht.
Heute ist der Sepp garantiert zu Hause. Sepp Kahn ist 62, drahtig und verbringt die Sommermonate mit seinen zehn Kühen hier oben auf 1500 Metern. Jeden Tag erhitzt er überm offenen Feuer die Milch und schöpft den Käsebruch in die Formen. Im Keller reift ein würziger Tilsiter heran, von dem er jetzt ein paar Scheiben auf den Tisch stellt. Einen Obstler zum Auftauen schenkt er noch ein, dann geht es ans Erzählen. „Alm-Literat“ nennen sie ihn in Tirol. Nach dem Melken setzt er sich hin und schreibt Krimis und Theaterstücke. Man hört dem Mann mit dem weißen Rauschebart gern zu, wenn er eine seiner Geschichten vorträgt. Ob der KAT-Walk jetzt mehr Touristen bringe? Ihm ist es egal. „Wenn ich was zum Essen da habe, kriegen sie eine Jause. Aber die Arbeit geht vor.“
Jeder Abschnitt hatso seine Besonderheiten
Abends warten Drei- und Vier-Sterne-Hotels auf die Wanderer. Und die Steinpilz-Knödel und Bio-Hendln aus der Region sind kulinarische Betthupferl.
Jeder der sechs Abschnitte des Wegs hat seine Besonderheiten. Auf der ersten Etappe sind es die geduckten Bauernhäuser, auf der dritten dominieren Hochmoore und Almrosen. Kahl und karstig wirkt die Hochebene der letzten Strecke zwischen St. Johann und Fieberbrunn, führt sie doch als einzige über Kalkfels. Die vierte, heutige Etappe wiederum steht ganz im Zeichen des Sports. Sie beginnt mit einem steilen Anstieg durch alten Bergwald, im Nebel tauchen Schemen von Baumgreisen auf wie spillerige Riesen, eine schmutzige Dunstsuppe brodelt überm Tal. Doch dann kommt ER in Sicht: die Skifahrer-Legende. Der Hahnenkamm.
„Du stehst am Start, schaust runter und hast das Gefühl, ein Turmspringer zu sein“, steht wie ein Motto im Starthäuschen, und man kann Roland Thönis Gedanken beim Blick in die Tiefe nachvollziehen. Steil zieht sich der Weg entlang der Streif hinunter, jenem 3312 Meter langen Parcours, der gewellt ist wie der Kamm eines Gockels. 80.000 Zuschauer drängen sich hier jeden Januar, 85 Grad steil fällt die Piste an der „Mausefalle“ ab, die Besten der Welt brettern mit bis zu 140 km/h hinunter.
Die Felsnasen ragenvorwitzig übers Nichts
Kitzbühel begrüßt die Gäste mit Geschäften von Vuitton, Swarovski und Bogner. Doch das 10.000-Einwohner-Städtchen, das im Winter als Hochburg des Mondänen gilt, hält sich jetzt im Sommer bescheiden zurück. Füllige Rentnerpaare aus Birmingham bummeln durch die Fußgängerzone, Verliebte in Jeansjacken summen mit beim Platzkonzert, und ob danach im „Fünferl“ oder in der „Villa Licht“ noch irgendjemand auf den Tischen tanzt, kümmert die Wanderer nicht mehr allzu sehr.
Am nächsten Morgen schiebt der Wettergott eine echte Sonne zwischen die Nebelschlieren, pünktlich zum Aufbruch zur fünften Etappe. Wir nehmen die Seilbahn hoch zum Kitzbüheler Horn. Am steilen Hang entlang führt der über ein Jahrhundert alte Ludwig-Schreiber-Steig. Felsnasen ragen vorwitzig übers Nichts, steil fallen die Wände neben dem Weg ab, aber er ist immer noch breit und verlässlich genug. Zwei Löcher im Fels bilden den Übergang zur anderen Seite. Und da steigt er mächtig und erhaben hinter dem breiten Tal von St. Johann auf: seine Majestät, der Wilde Kaiser. Gezackt sägt sich seine Silhouette in den Himmel.
Beschwingt legen wir das letzte Wegstück hinunter nach St. Johann zurück. Und da der Bier-Huber so günstig am Weg liegt, erweisen wir auch ihm die Ehre und beschließen den Tag mit einem frischen Zwickel. Und seine Hoheit, der Wilde Kaiser, signalisiert allergnädigst Zustimmung: Enjoy it, lasst’s krachen! Ist ja ein Genusswanderweg, der KAT-Walk von Tirol.