Essen. Wer sich aus NRW zum Großglockner aufmacht, braucht Ausdauer. Neun Stunden dauert die Fahrt. Der Vorteil: hier gibt es Natur statt Massentourismus.
Auf den letzten Metern scheint die Erschöpfung doch noch zu siegen. Wer sich aus dem Ruhrgebiet zum Großglockner aufmacht, braucht Ausdauer. Zum etwas nördlich von ihm gelegenen, mondänen Kitzbühel sind es gerade einmal sieben Stunden. Um den höchsten Berg Österreichs zu sehen, bedarf es dagegen fast zwei weiterer Autostunden.
Am Ende wähnt sich der ermüdete Skitourist in einer Sackgasse. Just in dem Moment hat er das Ziel erreicht: Kals am Großglockner. Der verschlafene Ort ist tatsächlich die letzte Station im Tal. Hier endet die kleine Landstraße L26. Superlative sehen anders aus. Aber kurz bevor sich die Enttäuschung breit macht, entfaltet der mit 3798 Metern höchste Berg der Alpenrepublik seine volle Anziehungskraft. Sein spitzer Gipfel lässt erahnen, warum Generationen von Bergsteigern ihn bezwingen wollten und ihn zum Mythos werden ließen.
Ausbau des Skigebiets auf eigenen Deckel
Seine Geschichte als Skiort ist allerdings alles andere als ruhmreich. Zumindest bis in die jüngste Vergangenheit. Das Dach Österreichs gewann erst durch Martha Schultz und ihren Bruder Heinz an Bedeutung als alpiner Treffpunkt. Denn die Unternehmer-Familie aus Tirol wollte direkt am Großglockner eine weitläufige, aber trotzdem in die Natur eingebettete Hotelanlage errichten. Die feierte 2012 unter dem Namen „Gradonna Mountain Resort“ ihre Eröffnung und beherbergt bis zu 500 Gäste.
Nicht weniger als 48 Millionen Euro verschlang die Umsetzung des futuristisch wirkenden Komplexes. Um die Gäste tatsächlich für einen Aufenthalt zu begeistern, war abseits des üppigen Wellness-Angebots mit vier Pools und diversen Saunen ein zusammenhängendes Skigebiet erforderlich. Nur: Das gab es nicht. Daher hatte die Familie vier Jahre vor Einweihung des Hotels die Erneuerung und den Ausbau der Liftanlagen in Eigenregie und auf eigenen Deckel durchgeführt – und somit die bis dato getrennten Skiorte Kals und Matrei kurzerhand zusammengeführt. Die Skischaukel soll rund 35 Millionen Euro gekostet haben.
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Entstanden ist daraus das größte Skigebiet Osttirols. Von Anfang Dezember bis Mitte April stehen den Wintersportlern etwa 41 Kilometer präparierte Pisten mit drei Talabfahrten sowie drei Gondeln und fünf Sesselbahnen auf einer Höhe von bis zu 2600 Metern zur Verfügung. Allein drei Skischulen kümmern sich um Aus- und Weiterbildung von Anfängern und Fortgeschrittenen. Egal, welche Figur er auf Brettern abgibt – warten muss der Winterurlauber selten bis nie am Lift. Wem die Pisten-Vielfalt nicht reicht, kann weitere acht Skigebiete in Osttirol und Kärnten befahren, die sich zum so genannten Ski-Hit zusammengeschlossen haben. Die reizvolle, aber mit ihren einzelnen Parzellen zu kleine Region musste erst vom Unternehmergeist wach geküsst werden.
Kein Massentourismus erwünscht
Abzulesen ist diese Entwicklung an der Gemeinde Kals selbst. Wer jung war und was auf dem Kasten hatte, verließ das Tal, zog in Städte mit besserer Perspektive. Dieser Trend dürfte nun gestoppt sein. Martin Gratz kennt die Gründe. Der Musiker ist stellvertretender Bürgermeister des mittlerweile wieder 1300 Einwohner starken Ortes. Im Zuge des Zusammenschlusses der beiden Skiorte sind neue Arbeitsplätze entstanden, insbesondere im Tourismus. Wo in Kals früher Wohnraum leer stand, bieten jetzt Hoteliers, Gastronomen und Bergführer ihre Dienstleistungen an. „Wir sind froh, dass eine Tiroler Familie hier investiert hat und kein chinesisches Konsortium.“ Der Neubau des Kulturhauses wäre ansonsten kaum realisierbar gewesen. Jetzt reiht er sich harmonisch in das moderne Ensemble mit Gemeindeamt und Glocknerhaus ein.
Auf Massentourismus möchte Gratz bewusst nicht setzen. Den Verlockungen des schnellen Geldes widerstehen die Einwohner am Fuße des Großglockners. Auch wenn der legendäre Berg als Magnet für die Besucher aus aller Welt prädestiniert wäre. „Was wir schützen müssen, ist die Natur.“ Remmidemmi wird in diesem beschaulichen Flecken Osttirols weiterhin der Eintritt verwehrt.