Hagen. Nackte Brüste: Die Fernuniversität übt Zensur an einem Gemälde aus. Wie Hagener Künstler auf den Eingriff in das Kunstwerk reagieren.
Mit Sorge und Entsetzen reagieren Hagener Künstler auf den Eingriff in das Glasgemälde „Die Kaffeepflückerinnen“ (siehe Foto) von Hans Slavos durch die Fernuniversität Hagen. Die Hochschule verfremdet seit kurzem die nackten Brüste einer auf dem Gemälde dargestellten schwarzen Frau durch eine Milchglas-Scheibe, weil das Motiv rassistisch und sexistisch sei. Das Originalbild, so wie es der Künstler geschaffen und gewollt hat, ist nur noch aus einer bestimmten Perspektive zu betrachten.
„Die Künstlerinnen und Künstler des Hagenrings waren sehr erschrocken über die Aussagen einzelner Mitarbeiter der Fernuni zum Glasfenster der Kaffeepflückerin von Hans Slavos. Der Künstler war von 1945 bis 1967 Vorsitzender des Künstlerbundes“, so Karl-Josef Steden, der heutige Vorsitzende des renommierten Hagenrings, dem auch Christian Rohlfs und Emil Schumacher angehörten. Steden weiter: „Tenor in der Diskussion war: Hat die Gesellschaft aus der unrühmlichen Zeit der ,entarteten Kunst‘ (1937) nichts dazu gelernt? Nach Aussagen älterer Künstler wurden auch damals im Hagener Museum Bilder mit dem Gesicht zur Wand gehängt, wenn sie nicht gefielen. So haben wir es in einem Zitat in dem in Vorbereitung befindlichen Katalog zum 100-Jahr-Jubiläum des Hagenrings in 2024 vermerkt.“
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Bedrohte Kunst
Der Hagener Künstler Hans Slavos (1900-1969) ist heute noch mit mehreren Sgraffitos an Hausfassaden im Hagener Stadtraum präsent. Außerdem hat er wundervolle Glasmalereien für Kirchen in Hagen, Dortmund und Balve geschaffen, dazu weitere Genre-Gemälde aus Glas. Glaskunst ist eine besonders bedrohte Kunstgattungen. Denn wenn Gebäude umgenutzt oder abgerissen werden, fallen Glasfenster häufig dem Bagger zum Opfer.
„Die Kaffeepflückerinnen“ gehören zu einer Serie von Glasbildern, die Hans Slavos 1952 für das Lager und Verwaltungsgebäude der Süßwarenfirma Hussel in Hagen gestaltete. Die Firma Hussel war auch im Kaffeehandel aktiv. Die Glasgemälde zeigen Szenen des Erntens und Verladens der Kaffeebohnen. Das bekannte Hagener Künstlerehepaar Barbara Wolff und Karl-Friedrich Fritzsche hat die Fenster seinerzeit vor dem Vergessen gerettet. Durch Vermittlung des Hagener Heimatbundes kamen zwei von ihnen zur Fernuni.
Wundervolle Farben
Fritzsche: „Ich habe den Hussel-Leerstand entdeckt und war total begeistert, als ich diese großen Glasfenster erstmals gesehen habe. Meine Frau und ich hatten dann sieben Jahre lang in dem Gebäude unsere Malschule mit Atelier und Bildhauer-Werkstatt und haben mit den Fenstern gelebt. Hunderte von Menschen haben bei uns die Glasfenster gesehen und mit uns darüber gesprochen. Es war keiner dabei, der sich echauffiert hätte.“ Über den Sexismus- und Rassismus-Vorwurf kann Fritzsche nur den Kopf schütteln. „Diese Bilder sind so etwas von harmlos und haben trotzdem eine so wundervolle Ästhetik. Die dargestellten Frauen haben Würde. Die Farben, wenn das Licht dadurch scheint, sind wunderbar. Davor eine Milchglasscheibe zu setzen, ist einfach empörend.“
Fritzsche verweist auf frühere Hagener Bilderkonflikte: Die berühmten nackten Musen von Milly Steger an der Theaterfassade stachen einigen Hagenern sehr ins Auge und sollten entfernt werden. Beim „Auserwählten“ von Ferdinand Hodler im Hagener Hohenhof ging es um die Frage, ob das Gemälde Pädophilie verherrliche. Ein Documenta-Gemälde von Emil Schumacher, das lange im Hagener Rathaus hing, war dort heftig bespuckt worden. „Wir kennen doch so viele Geschichten, wo Bilder verbrannt wurden, wir wissen doch, was alles passiert ist. Die Aktion der Fernuni erinnert ans Mittelalter. Ich dachte, wir wären inzwischen weiter.“
Kunst verhüllen, ist dumm
Fritzsche und die anderen Hagenring-Künstler verweisen auf das Urheberrecht, nach dem ein Eingriff in ein geschütztes Werk nicht ohne weiteres statthaft ist. „Kunst verhüllen, ist das Dümmste, was man machen kann.“ Zur Kunstsammlung der Fernuniversität gehören auch Arbeiten von Barbara Wolff und Karl-Friedrich Fritzsche. Die Künstler sind nun verunsichert, ob ihre Werke dort vor willkürlichen Eingriffen sicher sind. „Wir sind besorgt über die zunehmende Aggression gegenüber Kunst“, sagt Karl Friedrich Fritzsche.
Auch Hagen-Ring-Vorsitzender Steden versteht nicht, warum die Fernuniversität die Rechte eines Kunstwerkes missachtet. Viel diskutiert werde unter den Künstlern derzeit Artikel 27 der UN-Menschenrechtscharta: „Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.“