Bad Münstereifel. Zwei Jahre nach der Flut in Bad Münstereifel. Eine Spurensuche in den vergessenen Dörfern. Was macht die Katastrophe mit den Menschen?
Neulich hatte Irmgard Lingscheid-Ahlbach (62) die Flut fast vergessen. „Ich wollte in den Gartenschuppen gehen, um ein Gerät zu holen, und dann fiel mir ein, dass es gar keinen Schuppen mehr gibt.“ Aus den Wänden und den Steckdosen lief am 14. Juli in das Wasser in ihr Haus in Bad Münstereifel-Gilsdorf, stieg sogar so weit, dass es in den erhöht liegenden benachbarten Hof der Eltern eindringen konnte, verwüstete drinnen und draußen alles mit giftigem Schlamm, riss die Brücke über den Eschweiler Bach, den Schuppen, die Imkerausrüstung, den Feigenbaumund vieles mehr mit sich. Zwei Jahre nach der Flut haben sie in Gilsdorf immer noch Angst, wenn es regnet.
Vieles wird erst jetzt sprachfähig in der Eifel. Am Anfang stand das Überleben, das Kämpfen, das Adrenalin. Nun, da viele Schäden behoben sind, kommt die Trauer, die Müdigkeit, die Erkenntnis, dass nach der Flut vor der Flut ist. Es gibt Eifler, die finden aus dem Gedankenkarussell nicht mehr heraus. Auf Spurensuche in einer traumatisierten Region, der Heimat der Autorin dieses Textes. Alle Protagonisten der Geschichte sind Verwandtschaft, Cousin und Cousine, Bruder, Tante, Onkel. Was macht eine Katastrophe mit den Menschen, die ihr zum Opfer fallen?
Auch der Pfarrer kam nicht in die vergessenen Dörfer
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Gilsdorf, idyllisch im Tal des Eschweiler Baches gelegen und im Jahr 846 erstmals urkundlich erwähnt, ist eines der vergessenen Dörfer der Flutkatastrophe. Alles Interesse konzentrierte sich auf Bad Münstereifel mit seinem pittoresken mittelalterlichen Fachwerkzentrum und auf das Ahrtal. Dass die Flut in Orten wie Arloff, Euskirchen und Hillesheim ebenso verheerend wütete, war in keinem TV-Bericht zu sehen. Nach Gilsdorf verirrte sich kein Übertragungswagen, kein THW-Laster, kein Bundeswehrtrupp, noch nicht mal der katholische Pfarrer kam vorbei.
Die Touristen flanieren wieder
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24 Tote allein im Kreis Euskirchen, zu dem Bad Münstereifel gehört. Dort flanieren die Touristen wieder sorglos über das frisch verlegte Pflaster, vorbei an der brav dahin plätschernden Erft. Die Gäste können sich nicht vorstellen, dass die malerischen Flussmauern neu sind, dass die wütende Erft sie vor zwei Jahren umstandslos mit sich riss. Vereinzelt gibt es Fassaden, die nach wie vor mit Brettern vernagelt sind. Die Eifelbahn von Köln nach Trier soll erst nächstes Jahr wieder durchgängig befahrbar sein. Nach Bad Münstereifel geht es nur mit dem Schienenersatzverkehr.
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Fünf Kilometer flussaufwärts, unmittelbar an der Landesgrenze zwischen NRW und Rheinland-Pfalz, liegt der Ortsteil Schönau. Dort holte der reißende Strom, in den sich die Straße verwandelt hatte, Matthias Schick am 14. Juli von den Füßen. Seither weiß der 60-Jährige, wie sich Todesangst anfühlt. Kein Thema, über das er gerne spricht, selbst seine Kinder haben es erst vor kurzem erfahren. Anderthalb Jahre lang hat er im Keller seines Hauses den Kampf gegen Ölschlamm, Gestank und Schimmel geführt. Bei weiteren Arbeiten stellte sich vor einigen Tagen heraus, dass sich auch im Erdgeschoss zwischen Estrich und Kellerdecke fauliges Wasser befindet. „Die Schäden sind viel größer, als wir befürchtet hatten“, sagt er. Es nimmt kein Ende. Woher die Kraft zum Weitermachen finden? Seine Kellerfenster hat Schick inzwischen mit hochwasserfestem Glas ausgerüstet. Doch was wird das nützen, wenn das Wasser durch die Wand kommt? „Was bleibt, ist die Angst“, sagt auch er. „Jedes Mal, wenn es regnet oder wenn Gewitter angekündigt sind, ist die Angst wieder da.“
Psychosoziale Hilfe ist gefragt
Eigentlich müsste die ganze Eifel in die Traumatherapie. In Bad Münstereifel haben Ehrenamtliche schon kurz nach der Flut eine Psychosoziale Hilfsstelle eingerichtet, ein niederschwelliges Angebot. Mehr als 1000 Gespräche führten die Helfer in den vergangenen zwei Jahren, berichtete die Kölnische Rundschau jetzt. Der Bedarf ist unverändert vorhanden.
In Gilsdorf hat Ferdinand Lingscheid (89) seit seiner Kindheit Erfahrung mit Hochwasser, denn er ist am Eschweiler Bach aufgewachsen. Da das Wohnhaus des Gehöfts erhöht steht und über eine Treppe erreicht werden muss, fühlten er und seine Frau sich dort immer sicher. Am 14. Juli hatten sie in der Küche plötzlich nasse Füße. „Das Wasser kam in einem Tempo, das kann man sich nicht vorstellen.“ Das betagte gehbehinderte Ehepaar rettete sich ins Obergeschoss und beobachtete von dort, wie Autos und schwere Blumenkübel die Pescher Straße hinabtrieben. „Man hätte keinen mehr evakuieren können, gegen eine solche Strömung kommt keiner hinaus, da waren wir oben sicherer.“ Als das Wasser zurückging, war das Untergeschoss verwüstet, auch der neue, noch nicht installierte Treppenlift. Lingscheids konnten nicht bleiben. „Fünf Monate mussten wir weg, in eine fremde Wohnung in einem Nachbarort. Wir haben es gut getroffen, trotzdem ist das in unserem Alter schrecklich. Wenn es schlimm regnet, dann kommen die Bilder wieder, dann habe ich Angst“, sagt Agnes Lingscheid (87). Ihr Mann ergänzt: „Trotzdem ist es gut gegangen, es ist in Gilsdorf keinem Menschen etwas passiert.“
Hass und Hetze gegen Helfer
An der wenige Kilometer entfernten Ahr läuft es offenbar weniger rund als in der NRW-Eifel. Hass und Hetze gegen ehrenamtliche Helfer in den sozialen Medien machen Schlagzeilen; verschiedene Helfergruppen sollen untereinander spinnefeind sein, Rechtsradikale versuchen, die Situation zu instrumentalisieren, und es gibt auch Einheimische, die sich von den auswärtigen Helfern bevormundet fühlen. In NRW funktionierte die amtliche Hochwasserhilfe vermutlich besser als in Rheinland-Pfalz, wo noch viele Fördermillionen unverteilt sind. Die Kommune Bad Münstereifel richtete eine Beratungsstelle ein, „das war sehr hilfreich“, so Irmgard Lingscheid-Ahlbach. Trotzdem wurden die Anträge zur Nervenprobe. Allein die Ausfüllanleitung war 30 Seiten dick. „Auch bei uns musst Du erst rauskriegen, wer der Ansprechpartner ist und wie man einen Termin macht. Für die Eltern haben wir das alles mitgemacht, alte Leute sind davon überfordert.“
Die Ahlbachs waren gut versichert. „Dennoch hat die Versicherung jede einzelne Handwerkerrechnung angezweifelt und das Finanzamt die Ausgaben, die die Versicherung nicht übernehmen wollte, nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Das finde ich zynisch. Das ist entwürdigend“, sagt Johannes Ahlbach (65). Seine Frau ergänzt. „Du bringst dieses bei und jenes bei, das zermürbt Dich, das ist vermutlich die Taktik.“
Yellow Submarine am Klavier
An der frisch gestrichenen Wand im Wohnzimmer der Familie Ahlbach fällt eine leere Stelle auf. Dort stand das Klavier. Als die Flut kam, ahnte Johannes Ahlbach, dass sein geliebtes Instrument nicht überleben würde. In Gummistiefeln setzte er sich an die Tasten und spielte, so lange es ging. „Heidewitzka, Herr Kapitän, Yellow Submarine, und dann war es Müll.“ Seine Frau kann seit dieser Nacht kein Klavier mehr hören.
80 Zentimeter hoch stand das Wasser im Erdgeschoss und kroch die Wände hoch. Als es weg war, dachten die Ahlbachs, sie müssten nur den Schlamm wegschaufeln und ein paarmal mit dem Kärcher darüber. Am Ende haben sie den Winter im Wohnwagen verbracht, das Erdgeschoss musste in den Rohbauzustand zurückgeführt werden.
Immer mehr versiegelte Flächen
Mit Sorgen blicken die Gilsdorfer talaufwärts, wo in der Gemeinde Nettersheim weiterhin große Neubaugebiete entstehen. „Dort werden riesige Flächen versiegelt. Wo geht das Wasser der Neubaugebiete hin? Da fragt man sich: Habt ihr das Hochwasser so schnell wieder vergessen? Selbst in Münstereifel-Arloff wurde jetzt ein neuer Supermarkt im Überschwemmungsgebiet gebaut. Ich verstehe das nicht“, sagt Irmgard Lingscheid-Ahlbach. Die Stadt hat das Ufer des Eschweiler Bachs jüngst mit dicken Wackersteinen befestigt. „Wenn davon einer losgeht, und das wird passieren, haben wir hier zusätzlich einen Stausee, dann ist alles hin.“
Was bleibt, ist allerdings auch die Erinnerung an die enorme Hilfsbereitschaft der Nachbarn, der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaften, der Fleiß der zahlreichen jungen Leute, Freunde der Kinder, die aus allen Himmelsrichtungen zum Anpacken kamen. Und was bleibt, ist der Geruch. Aus den Steckdosen, durch die das Wasser kam, riecht es immer noch muffig.
Nach der Flut ist vor der Flut
Der Erftverband will in Gilsdsorf ein Rückhaltebecken mit 100.000 Kubikmetern Volumen bauen, doch wegen der Genehmigungen soll das mindestens sechs Jahre dauern. Und unter den Bedingungen der 2021er-Flut würde es nicht einmal helfen. Irmgard Lingscheid-Ahlbach hustet im Interview immer wieder. Den Husten hat sie seit dem 14. Juli 2021. Der Facharzt kann nichts finden. Vermutlich die Nerven. Zwei Jahre nach der Flut geht sie an Geschäften mit schönen Dingen lieber vorbei. „Dekozeug mag ich nicht mehr gerne kaufen. Das schmeißt Du hinterher sowieso weg.“
Wenn das Wasser wiederkommt.