Netphen. Er ist behindert, ohne Chance am Arbeitsmarkt – und bekam sie doch bei Büdenbender Hausbau. Ein Beispiel aus der Region, wie Inklusion gelingt.
Frank Hundt bittet gleich mehrfach darum, ihn bloß nicht als Vater des Projekts zu bezeichnen. Er sei bereits Vater von zwei Kindern – nachweislich, wie er bemerkt. Das reicht. Außerdem sei nicht er, sondern vielmehr „der soziale Geist der Firma“ verantwortlich für die Erfolgsgeschichte, um die es hier geht.
Inklusionist für Betriebe wie den Fertighaus-Hersteller Büdenbender gesetzlich vorgeschrieben. Doch weder Pflicht noch eine staatliche Förderung sollen der Grund sein, warum sie sich dafür entschieden haben, vor fast elf Jahren einem jungen Menschen die Chance zu geben, die der auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht bekommen hätte. Weil Patrick Weber lernbehindert ist.
Büdenbender Hausbau aus Netphen und Betriebsleiter Frank Hundt versuchten es mit ihm. Auch wenn das einen individuellen Ansatz erforderte, der wohl nicht in jedem Fall infrage kommt. Vielleicht aber kann es dennoch ein Beispiel sein, unter welchen VoraussetzungenInklusion in einem regulären Wirtschaftsbetriebfunktionieren kann. Eines vorweg: Es braucht einen langen Atem.
Es geht um Zentimeter – und das große Ganze
Der, um den es geht, steht an diesem sonnigen Juni-Tag in einer der Werkshallen des Fertighaus-Produzenten in Netphen-Hainchen vor seinem Arbeitsplatz: einer großen Säge. Patrick Weber, 29 Jahre alt, ist ein freundlicher junger Mann, selbstbewusst, mit gutem Humor. So scherzt er beispielsweise über seine diversen Anläufe, den Führerschein zu erwerben: „Beim vierten Mal haben im Siegerland alle die Luft angehalten.“
Bei Büdenbender Hausbau erledigt er Maler- oder Reinigungsarbeiten. Vor allem aber arbeitet er im Zuschnitt von Dachlatten. Es sind wiederkehrende Arbeiten, die er mit der Zeit erlernt hat. Patrick Weber führt einen Zollstock mit sich, es geht um Zentimeter – und um das große Ganze: die soziale Frage.
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Nach seinem Abschluss auf einer Förderschule kam eine reguläre Ausbildung nicht infrage, weil er aufgrund seiner Lernschwäche Probleme in der Berufsschule bekommen hätte, wie er ohne Umschweife erzählt. Wahrscheinlich, sagt Frank Hundt, der Betriebsleiter bei Büdenbender Hausbau, wäre Weber ein Fall für die Arbeiterwohlfahrt geworden und damit für den Steuerzahler. „Dich nimmt nicht jeder als Junge ohne Ausbildung“, sagt Weber. Es ist ein sehr ehrlicher Satz, ebenso seine Bemerkung: „Ich bin der Hiwi.“ Das klingt nach wenig, ist aber viel – und Zeugnis, dass hier einem jungen Menschen erfolgreich geholfen wurde, er aber auch sich selbst geholfen hat.
Betriebsleiter spricht von „Win-Win-Situation“
Patrick Weber ist inzwischen seit fast elf Jahren im Betrieb. Angefangen hat alles mit einem Jahrespraktikum – und mit seiner Tante, die über viele Jahre als Sekretärin für Büdenbender Hausbau tätig war. Das dürfte Türen geöffnet haben.
Weber und Hundt berichten, dass zunächst mit der Arbeitsagentur und dem Integrationsfachdienst (IFD, siehe Infotext) eine individuelle Förderung ausgearbeitet worden sei. Patrick Weber wurde von einem Büdenbender-Mitarbeiter an der Säge eingearbeitet. Das sei finanziell gefördert worden; der Mitarbeiter stand seinem Arbeitgeber in der Zeit nicht uneingeschränkt für seine eigentliche Aufgabe zur Verfügung. Zudem sei ein Jobcoach, ein Sozialarbeiter mit handwerklichem Hintergrund, der Patrick Weber regelmäßig betreute, voll finanziert worden. Werkzeuge wurden bezuschusst, auch die Anschaffung einer Kehrmaschine.
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Etwa eineinhalb Jahre habe es gedauert, bis Patrick Weber selbstständiger geworden sei, nach zwei Jahren sei der heute 29-Jährige ein „vollwertiger Produktionsmitarbeiter“ gewesen, erinnert sich Frank Hundt. Die Geduld hat sich offensichtlich gelohnt. „Es ist eine Win-Win-Situation. Patrick ist voll integriert. Was er macht, passt zu uns, was wir machen, passt zu ihm“, sagt Betriebsleiter Hundt, während Patrick Weber sagt: „Ich bin rundum zufrieden. Ich habe viel Glück gehabt nach meiner Schulzeit.“
Staatlicher Zuschuss soll keine Rolle gespielt haben
Wie viel er verdient, will er nicht sagen, nur so viel: „Ich verdiene mehr als den Mindestlohn.“ Seit dem 1. Dezember 2013 sei er fest angestellt. „Solange wir Häuser verkaufen“, sagt Frank Hundt, „bleibt er hier.“
Der Firmenchef hat da wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden, aber Matthias Büdenbender klingt nicht so, als würde er Hundt widersprechen. Vielmehr lobt der 50-Jährige die „super“ Entwicklung von Patrick Weber, der anfangs sehr schüchtern gewesen sei, sich aber allmählich über Fortschritte im Job oder den Erwerb des Führerscheins Selbstbewusstsein erarbeitet habe. „Patrick ist ein selbstständiger junger Mann geworden. Er braucht keine Hilfe mehr“, sagt Büdenbender, der daneben auch seinen Betriebsleiter lobt und ihn als Vater des Projekts bezeichnet. Auch wenn Hundt das, siehe oben, nicht gerne hört.
Der 55-Jährige spricht lieber von einem Gemeinschaftsprojekt oder betont, dass staatliche Zuschüsse bei der Entscheidung, Patrick Weber eine Chance zu geben, keine Rolle gespielt hätten. Nicht, dass irgendeiner auf die Idee kommt, Büdenbender Hausbau schröpfe unter dem Etikett der Inklusion Steuermittel ab. „Die soziale Ader der Firma ist des Rätsels Lösung“, sagt Frank Hundt, der ebenso Wert auf die Feststellung legt, dass es bei ihnen um einen „leistungsorientierten Arbeitsplatz“ gehe, „in dem es rundgeht. Wir“, sagt Hundt, „sind ein ganz normaler Wirtschaftsbetrieb.“
150 Mitarbeiter, 50 Millionen Euro Umsatz
Sie – 150 Vollzeit-Mitarbeiter, Umsatz im vergangenen Jahr: 50 Millionen Euro – müssen sich am Markt behaupten, es zählt Leistung. Sie wollen aber auch was Gutes tun. Das klingt etwas pathetisch, ist aber in diesem Fall vielleicht angemessen.
„Man kann nicht die ganze Welt retten, aber wir haben jetzt einen Menschen gut integriert“, sagt Frank Hundt, und erklärt dann zu seinem Motiv, sich für dieses Projekt mit Patrick Weber zu engagieren: „Ich muss nur daran denken, dass es mein Kind sein könnte. Dann bin ich schon fertig mit Überlegen.“
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Betriebe mit 20 und mehr Arbeitsplätzen müssen wenigstens auf fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze Menschen mit Behinderung beschäftigen. Dies ist im Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) festgelegt. Wer gegen diese Beschäftigungspflicht verstößt, muss in Westfalen-Lippe eine Ausgleichsabgabe an das Inklusionsamt Arbeit des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) erbringen.
Aus der Ausgleichsabgabe bezahlen die Integrationsämter Hilfen für Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben. Die Höhe der Ausgleichsabgabe hängt davon ab, wie viele Arbeitsplätze ein Betrieb hat und wie viele Menschen mit Behinderung er beschäftigt.
Aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe wird auch die Arbeit der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) finanziert. Diese informieren und beraten seit dem 1. Januar 2023 als Lotsen Unternehmen in Westfalen-Lippe bei Fragen zur Ausbildung, Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung, etwa über finanzielle und personelle Unterstützungsmöglichkeiten. Auch helfen sie bei der Antragstellung bei Ämtern und Behörden.
Zudem beauftragt und finanziert das LWL-Inklusionsamt Arbeit insgesamt 20 Integrationsfachdienste (IFD). Diese sind in Westfalen-Lippe in jedem Kreis vertreten. Sie unterstützen schwerbehinderte Menschen im Arbeitsleben und sind Ansprechpartner für Arbeitgeber.