Münster/Aachen. Das NRW-Oberverwaltungsgericht gibt einer Klage der Umwelthilfe Recht. Luftreinehaltepläne müssen verschärft werden, Fahrverbote aber Sinn machen
Der Luftreinehalteplan für Aachen muss überarbeitet werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen am Mittwoch in Münster entschieden. Der Plan für das Jahr 2019 sei rechtswidrig, weil mit fehlerhaften Prognosen und einer veralteten Datenbasis aus dem Jahr 2015 als Grundlage gearbeitet worden sei.
Das Land müsse jetzt zeitnah einen neuen Plan erstellen. Dabei müsse ernsthaft auch ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge vorgesehen werden, falls die Grenzwerte erneut nicht erreicht werden. Das Gericht selbst ordnete kein Fahrverbot an, gab aber der Deutschen Umwelthilfe (DUH) als Klägerin Recht (Az.: 8 A 2851/18).
Diesel-Urteil: Stundenlanger Beratung und Diskussion vor Gericht
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Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe sprach am Morgen von einem wichtigen Tag für saubere Luft in den Städten von Nordrhein-Westfalen. „Es geht darum, ob die von der Landesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichen“, sagte Jürgen Resch am Mittwoch. Dabei ging es vor dem Oberverwaltungsgericht nur um ein mögliches Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in Aachen. Und Resch hatte da wohl noch nicht geahnt, wieviel Zeit sich der 8. Senat des OVG an diesem Tag noch nehmen wird.
Nach stundenlanger Beratung und Diskussion mit Kläger und Beklagten zogen sich die Richter nach fast sechs Stunden mündlicher Verhandlung gegen 16.15 Uhr zurück. Eine Stunde später gab es dann das Urteil. Und es fiel für alle überraschend aus. Das OVG gab für Aachen kein Fahrverbot vor. Aber: Der aktuell gültige Luftreinhalteplan der Bezirksregierung Köln für Aachen ist rechtswidrig. Das Land muss einen neuen Plan mit aktuelleren Zahlen und korrekten Prognosen liefern.
Werden Grenzwerte nicht eingehalten, können Fahrverbote verhängt werden
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Sollten auf Basis dieser Planung dann im zweiten Schritt wieder die Grenzwerte nicht eingehalten werden, müsste die Aufsichtsbehörde auch ein Fahrverbot als Lösung vorsehen. Tut sie das nicht, muss ausdrücklich erklärt werden, warum ein Fahrverbot nicht infrage kommt. Dieser Hinweis gilt auch für die weiteren, in Nordrhein-Westfalen anhängigen 13 Verfahren. Darauf hat das OVG in seiner mündlichen Urteilsbegründung hingewiesen. Fahrverbote müssten immer verhältnismäßig sein. Das war das Credo des OVG an diesem Tag. Das Gericht ließ Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu.
Der Vorsitzende Richter des 8. Senats am OVG, Max-Jürgen Seibert, appellierte an die DUH und die Landespolitik, auf Revision zu verzichten und gemeinsam nach Lösungen für die noch ausstehenden 13 Klagen in NRW zu suchen. Dafür sehe er nach dem Verfahren gute Chancen. Beide Seiten hätten sich doch angenähert, und die DUH habe in anderen Bundesländern bewiesen, dass solche Lösungen möglich seien. „Wir gehen gerne auf die Landesregierung zu“, sagte Jürgen Resch nach dem Urteil.
Fahrverbot muss begründet sein - der Verzicht darauf ebenfalls
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In der mündlichen Verhandlung hatte der Senat bereits deutlich gemacht, in welche Richtung er tendiert. „Es macht keinen Sinn, bei geringer Überschreitung der Grenzwerte Fahrverbote auszusprechen, und nach einem halben Jahr, wenn das Ziel erreicht ist, muss das Verbot wieder aufgehoben werden“, sagte Seibert. Für Autofahrer, die sich ein neues Fahrzeug kaufen mussten, sei das nicht hinnehmbar.
Am Sinn von Grenzwerten habe das Gericht keinen Zweifel. „Grenzwerte sind geltendes Recht“, sagte der Verwaltungsrichter. Behörden müssten nicht zwingend Fahrverbote anordnen. Aber sie müssten begründen können, warum sie es nicht tun.
Überhöhte Stickstoffdioxid-Werte (NO2) sind der Grund für Fahrverbote für ältere Diesel in Stuttgart, Hamburg und Darmstadt. Auch Berlin will voraussichtlich noch in diesem Jahr in einigen Straßen Diesel-Fahrverbote verhängen. Andere Städte könnten folgen. In Nordrhein-Westfalen sind derzeit 14 Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) anhängig, darunter etwa für Köln und Essen.
NRW-Umweltministerin begrüßt die Entscheidung
Und das Gericht signalisierte auch, wo es eine Schmerzgrenze sieht. Sollten die Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel weiterhin mit mehr als 10 Prozent überschritten werden, seien Fahrverbote kaum mehr zu vermeiden.
Dass es kein unmittelbares Fahrverbot für die Stadt Aachen gibt, begrüßte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. „Dies ist erst einmal eine gute Nachricht“, sagte die CDU-Politikerin nach dem Urteil. „Erklärtes Ziel ist und bleibt, die Luftqualität schnellstmöglich zu verbessern und zugleich Fahrverbote zu vermeiden. Dies gilt für alle beklagten Städte. Hierzu lieferte die heutige Verhandlung wichtige Orientierungen“, teilte die Ministerin, die die Verhandlung verfolgte, schriftlich mit.
Umwelthilfe kritisierte Aachens Maßnahmen als unzureichend
Die Stadt Aachen hatte in der mündlichen Verhandlung berichtet, was zuletzt gemacht wurde, um die Werte einzuhalten. So waren Busse umgerüstet worden, und der Individualverkehr mit Autos sollte über eine bessere Lenkung zum Beispiel in die Parkhäuser minimiert werden. Die DUH kritisierte diese Maßnahmen als unzureichend. Zuletzt gab es an den Hauptbelastungsstellen in Aachen Messwerte von 49 bis 51 Mikrogramm pro Kubikmeter. Im Gegensatz zu den Stadtvertretern geht die DUH nicht davon aus, dass diese Werte kurzfristig sinken.
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Ziel sind Maßnahmen, damit die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) so schnell wie möglich eingehalten werden. Seit Jahren gibt die EU 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel vor. Dieser Wert wird von einigen Städten zum Teil deutlich überschritten.
Stickstoffoxid: Bochum, Düsseldorf, Essen und Hagen überschreiten Grenzwert
Überhöhte NO2-Werte sind bereits in Stuttgart, Hamburg und Darmstadt Grund für Fahrverbote für ältere Diesel. Andere Städte könnten folgen.
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Aktuell führt die DUH bundesweit nach eigenen Angaben 36 Verfahren, um Luftreinhaltepläne durchzusetzen. Allein in NRW sind 14 Klagen der DUH anhängig. Betroffen sind in Nordrhein-Westfalen: Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Dortmund, Düren, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Köln, Oberhausen, Paderborn und Wuppertal. Im September folgt dann eine Verhandlung zu möglichen Fahrverboten in Köln.
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Umstritten ist dabei auch unter Juristen, ob Fahrverbote für Dieselfahrzeuge angeordnet werden müssen. Das Urteil des OVG gilt als richtungsweisend.
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Wegen der komplexen Rechtslage hatte das NRW-OVG mit Sitz in Münster im Mai an zwei Tagen Umwelt- und Medizin-Experten zum Sinn und zur Entstehung der Grenzwerte befragt. Der Vorsitzende Richter des 8. Senats machte bei der Anhörung seine Meinung deutlich: „Die Probleme hätten verhindert werden können, wenn, wie in anderen Ländern, Emissionsprobleme frühzeitig in Angriff genommen worden wären“, sagte Max-Jürgen Seibert. „In Bayern wurden auf rechtsstaatswidrige Weise Urteile missachtet“, sagte Seibert damals. Gleichzeitig machte der Verwaltungsrichter deutlich.
Das Bundesverkehrsministerium hat inzwischen bei älteren Fahrzeugen Diesel-Nachrüstung gegen Fahrverbote zugelassen. Die Städte in der Region werden derweil selbst erfinderisch. Hagen prüft den Einsatz von Schadstofffiltern an der Finanzamtsschlucht. In Bochum wird eine Umweltspur für LKW auf der viel befahrenen Herner Straße geprüft. (dpa/mein/ftg)