Der Historiker Martin Happ erklärt im Interview, warum wütende Kinder den Gedenktag zerstörten und wie das reformierte Fest ins Ruhrgebiet kam.
Herr Happ, warum rennen Kinder mit Laternen an Sank Martin durch unsere Straßen?
Der Martinsbrauch hat eine lange Tradition, seine Gestalt hat sich oft gewandelt. Er beginnt damit, dass Menschen nach dem Tod von Martin von Tours 397 sein Grab besuchten. Die Frage nach dem Ursprung der Laternen, hat die abstrusesten Erklärungen hervorgebracht. Breite Zustimmung findet die Theorie von Alfred Sauermann, nach der die Pilger auf dem Weg zum Grab Lichter dabei hatten, um ihren Gebeten und Bitten größeres Gewicht zu verleihen. Zudem wird in der jüngeren Forschung oft gesagt, dass der Laternenkult aus Riten des Christentums stammt. Über viele Jahrhunderte haben Priester in Gottesdiensten am 11. November eine Bibelstelle aus dem Lukas-Evangelium gelesen: „Stell dein Licht nicht unter den Scheffel“.
Eine Bibelstelle konnte ein Brauchtum formen?
Es ist nicht unüblich, dass auch die kirchliche Verkündigung die Brauchpraxis beeinflusst. Es ist heute nicht mehr so nachvollziehbar, aber Kirche spielte im Alltag der Menschen früher eine bedeutende Rolle.
Seit wann feiern die Menschen im Ruhrgebiet Sankt Martin, so wie wir das Fest heute kennen?
Das ist noch gar nicht so lange her. 1867 fanden die ersten nachweisbaren Umzüge in Viersen und Dülken statt. Da ritt Sankt Martin noch nicht mit, das kam erst später. Ausgangspunkt der heutigen Umzüge ist Düsseldorf. Die Stadt war im ausgehenden 19. Jahrhundert Hochburg des Martinbrauches, von dort breitete es sich bis ins Ruhrgebiet aus. Damals haben Reformer und Pädagogen den Grundstein der zeitgenössischen Umzüge gelegt. Damit haben sie auf die Verwilderung des Gedenktages reagiert.
Das Brauchtum war verwildert?
In den Jahren vor der Reform streiften Kinder an dem Tag mit Fackeln durch die Straßen, bettelten an Haustüren und sangen in den Häusern Lieder. Wenn sie keine Gaben bekamen, zogen sie wildlärmend davon. Ihre Feste mündeten nicht selten in Randale. Sie klauten sich gegenseitig Banner und löschten Martinsfeuer anderer Gruppen. Häufig artete das in wüste Prügeleien aus. Zu dem Zeitpunkt war der Gedenktag völlig entkernt vom eigentlichen Sinn, an das Leben des Heiligen Martin zu denken.
Und wurde es nicht langweilig für die Jugendlichen nach der Reform?
Auf jeden Fall wurde aus dem Fest der Kinder ein Fest für Kinder. Nun organisierten Erwachsene das Fest, zunächst die Kirche, dann immer mehr Schulen und Kindergärten. Die alten Heischelieder, also Lieder, die noch aus der Zeit des Bettelns stammten, verschwanden. Die neuen Martinslieder der Reformer rückten sowohl den Heiligen Martin wieder mehr in den Mittelpunkt, als auch den Gehorsam der Kinder. Sie sollten so Nächstenliebe und Demut vor den Schwächsten der Gesellschaft lernen.
Wie kamen Sie dazu, den Martinsbrauch zu erforschen?
Das hat einen sehr persönlichen Grund. Mein Vornamen Martin. Ich bin in einem katholischen Umfeld aufgewachsen, meine Eltern feierten meinen Namenstag wie andere Geburtstag. Das hat mich sensibilisiert. Ich habe angefangen mich mit der Geschichte zu beschäftigen und Vieles hat mich gefesselt. Was mir an Sankt Martin besonders gefällt, ist, dass der Gedenktag für andere Kulturen und Religionen anschlussfähig ist. Es ist ein verbindendes Fest. Zum Beispiel kennt auch der Islam die soziale Tat als religiöse Aufforderung.
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