An Rhein und Ruhr. Viele Menschen haben Probleme, richtig abzuschalten. Doch um chronischem Stress zu entfliehen, braucht es mehr als ein bisschen Wellnessurlaub.

Das neue Jahr ist erst wenige Tage alt, und bei dem einen oder anderen klingen sie noch nach, die guten Vorsätze: gesünder essen, seltener aufs Smartphone starren, öfter raus in die Natur gehen, mehr Sport treiben, sich selbst mal wieder etwas Gutes tun.

Auf lange Sicht versprechen wir uns davon ein gesünderes Körpergefühl und, damit einhergehend, eine gesunde Seele. Aber funktioniert das? Duftkerze an, Stress aus? Rein in die Sauna, raus aus dem Alltag? Vielen mag es gelingen, auf diese Weise zur Ruhe zu kommen, abzuschalten und Kraft zu schöpfen. Vielen aber auch nicht. Während sie in der Sauna schwitzen, denken sie an die Steuererklärung oder den Streit mit den Nachbarn. Während sie sich massieren lassen, überlegen sie, wann eigentlich das Auto zum TÜV muss. Während sie im Wald spazieren gehen, planen sie einen Geschäftstermin. Was sich dabei ganz sicher nicht einstellt, auch wenn es nach außen so aussieht, ist: Entspannung.

Wechselspiel zwischen Stress, Belohnung und Beruhigung

Jemandem, der unter chronischem Stress leidet, könne eine Wellnessbehandlung nicht ausreichend helfen, sagt der Sozialpädagoge Jörg Meibert. Stattdessen müsse er lernen, achtsamer mit sich umzugehen. Dieser Satz, der erst einmal nach platter Alltagsweisheit klingt, transportiert für Jörg Meibert ein ganzes Verhaltenskonzept. Nichts, was sich mal eben so umsetzen lässt. Nein, für Achtsamkeit, wie sie Jörg Meibert und seine Kollegen und Kolleginnen am „Achtsamkeitsinstitut Ruhr“ in Essen verstehen, braucht es mehr.

Das Thema sei zu komplex, um es auf wenige Worte herunterzubrechen, sagt Meibert, doch eine wesentliche Grundlage seien die drei Emotionsregulationssysteme, wie sie der Psychologe Paul Gilbert benannt hat: der Stresskreislauf (Gefahr- und Bedrohungssystem), das Belohnungssystem (Erreichen wollen) und das System der Beruhigung. Die Einteilung basiert auf den Hormonen, die jeweils ausgeschüttet werden: Bei Stress sind das zum Beispiel Adrenalin und Cortisol, bei Belohnungen Dopamin und der Beruhigung körpereigene Endorphine und das Bindungshormon Oxytocin. „Diese drei Kreisläufe müssen miteinander in Einklang gebracht werden“, sagt Jörg Meibert.

Meditation kann helfen, zur Ruhe zu finden

Viele Menschen aber, so beobachte er es bei seiner Tätigkeit als Therapeut und Achtsamkeitstrainer, würden zwar Stress und Belohnung erleben, aber viel zu selten wirklich Ruhe finden. Eine Ruhe ohne kreisende Gedanken. Sehr zielgerichtet finde man diese Ruhe zum Beispiel in der Meditation, insbesondere in der Achtsamkeitsmeditation. Außerdem ist es möglich, die Achtsamkeit im Alltag zu verankern. „Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Aktivitätsmodus versus Seinsmodus“, erklärt Meibert. Beispiel Essen: Fragt man sich während der Mahlzeit schon, was man am nächsten Tag kochen könnte? Lässt man sich von Fernseher und Smartphone berieseln? Befindet man sich also pausenlos im Aktivitätsmodus? Oder spürt man jede Geschmacksnuance auf der Zunge, kaut langsam, schluckt bewusst? Letzteres wäre ein Schritt zu mehr Achtsamkeit im Leben.

Die lässt sich nämlich auch in scheinbar profanen Situationen unterbringen: beim Einschäumen unter der Dusche, mit ein paar tiefen Atemzügen vor dem offenen Fenster oder beim Betrachten eines Baumes auf dem Waldspaziergang. Hauptsache, das Einschäumen, Atmen, Anschauen befreit aus dem Autopiloten-Modus, der unermüdlich Gedanken in alle möglichen Richtungen steuert. „Körper und Geist sollen zusammenfinden“, sagt Meibert. Orte der Ruhe können sich übrigens überall befinden: in der Kirche, auf der Parkbank, im Wald oder auf der Couch, denn die hier gemeinte Ruhe kommt von innen.

Wer auf diese Weise konsequent sein Augenmerk auf gegenwärtige Augenblicke richtet, hat einen großen Schritt in Richtung Achtsamkeit bereits gemacht. Und damit vielleicht mehr gewonnen als mit einem Strauß an guten und schnell wieder vergessenen Vorsätzen.

>>> INFO: Wie sich gute Vorsätze umsetzen lassen

Wenn es wirklich was werden soll mit den guten Vorsätzen, dann nimmt man sich besser nicht zu viele Dinge auf einmal vor. Und: Der Weg zum einen großen Ziel darf ruhig in mehrere kleine Etappen eingeteilt werden.

Also nicht: „Ab morgen gehe ich jeden zweiten Tag eine Stunde joggen“, wenn schon der Weg zum Bus eine sportliche Herausforderung darstellt. Besser bleibt man realistisch. Denn der vorprogrammierte Misserfolg raubt Motivation und Spaß. Das Erfolgserlebnis aber spornt an und ebnet den Weg zum nächsten Etappenziel.

Neue Angewohnheiten können helfen

Anstatt sich einfach nur vorzunehmen, keine Süßigkeiten mehr zu essen oder nicht mehr zu rauchen, sollte man sich einen positiven Ersatz suchen. Denn es ist einfacher, sich eine neue Angewohnheit zuzulegen, als eine schlechte loszuwerden. Den geeigneten Ersatz muss jeder für sich selbst finden – was dem einen hilft, findet der Nächste abscheulich. Wichtig ist jedenfalls, es nicht bei einer Liste mit guten Vorsätzen zu belassen, sondern sich auch einen Weg dorthin zu überlegen. Und wenn der Plan im vergangenen Jahr schon nicht funktioniert hat, ist das vielleicht ein Hinweis darauf, dass ein neuer her muss.

Pläne anderen mitteilen

Plant man für sich allein im stillen Kämmerlein die Vorsätze fürs neue Jahr, können auch die besten Pläne ebenso still und leise wieder aufgegeben werden. Sucht man sich aber Mitwisser, besser noch Mitstreiter, ist die Wahrscheinlichkeit, dass den Vorsätzen auch Taten folgen, wesentlich größer. Einfach mal ausprobieren!