Duisburg. . Im Bröselstein-Skandal gerät Haniel bei Betroffenen unter Betrugsverdacht. Auslöser ist ein neues Gutachten: Es legt nahe, dass der Konzern wissentlich minderwertige Billigprodukte als Kalksandsteine verkauft hat. Dabei sollen auch falsche Prüfsiegel verwendet worden sein. Der Ruf nach der Staatsanwaltschaft wird laut.

Drei Dinge braucht ein Kalksandstein: Kalk, Sand, Wasser. Diese Zutaten forme jeder Hersteller „auf seine Art zu einem einzigartigen Produkt“, sagt der Bundesverband Kalksandsteinindustrie. Haniel tat es auf seine Art und gab mehr Müll als Kalk hinzu. Auch dabei kam ein einzigartiges Produkt heraus: der Bröselstein – ein Stein, der bei Nässe nicht hält, sondern zerfällt. Jetzt fällt dem Konzern ein Gutachten auf die Füße. Wenn die Erkenntnisse aus einer Doppelhaushälfte in Moers für alle Bröselsteine gelten, die Haniel in Umlauf gebracht hat, dürfte dem Unternehmen eine neue Klagewelle drohen.

Das Gutachten, das der WAZ vorliegt, korrigiert die Dimension des Skandals. Bisher ging es um „mangelhafte“ oder „fehlerhafte Kalksandsteine“. Die neue Erkenntnis heißt: Es sind gar keine Kalksandsteine. Sie seien nur als solche verkauft worden. Nach Labortests geht der Sachverständige davon aus, „dass der gesamte Kalk-Anteil ersetzt wurde“ durch „erhebliche Mengen“ von billigem Industrieabfall. Folge: Der Schwefelgehalt der untersuchten Bröselsteine „liegt deutlich über dem maximal zulässigen Grenzwert“, im Mittel um das Fünffache, in der Spitze fast um das 30fache – ein Grund für den Zerfall bei Nässe.

Ein neuartiges Bauprodukt

Haniel habe Käufer in trügerischer Sicherheit gewogen. Vor allem durch das Ü-Siegel der Fremdüberwachung. Es stehe auf Bröselstein-Lieferscheinen. Für Kunden ist es ein Qualitätsversprechen: das sichtbare Zeichen für den „Güteschutz Kalksandstein“, mit dem Zusatzstempel „DIN 106 überwacht“. „Die Bezeichnung KS-Stein suggeriert einen bekannten und erprobten Stein“, sagt der Gutachter. „Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein neues Bauprodukt, das nicht der DIN 106 entspricht.“ Sondern um Steine, die „weder dem Stand der Technik noch den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen“. Sie besäßen „keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung“, auch „keine Zulassung im Einzelfall“ und seien „als tragende Mauersteine nicht geeignet“, weil sie nicht der dafür geltenden Norm (DIN 1053) entsprächen. „Die genaue chemische Rezeptur/Zusammensetzung des beigemischten Produktes“ sei selbst dem Hersteller „nicht bekannt“ gewesen. Bei anhaltender Feuchtigkeit von außen oder innen werde es kritisch. „Die Steine verlieren dann ihre Festigkeit. Die Standsicherheit wird reduziert und ist irgendwann nicht mehr gegeben.“

Der Gutachter sei der bisher einzige, „der die Anwendbarkeit der DIN 106 in Frage gestellt hat“, sagt Haniel. Fragen zu dem im Gutachten beschriebenen Produktschwindel lässt der Konzern offen.

Juristen stürzen sich darauf. „Damit dürfte der Tatbestand des Betruges, wegen des Umfangs und der Schäden auch des schweren Betruges, erfüllt sein“, sagt der Duisburger Rechtsanwalt Stefan Kortenkamp, der zahlreiche Bröselstein-Opfer vertritt. Für ihn hat Haniel „gegen elementare baurechtliche Vorschriften zum Schutz von Leib und Leben vor ungeeigneten Bauprodukten verstoßen“. Dies sei ein Fall für den Staatsanwalt, meint Kortenkamp: „Der erforderliche Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung ist jetzt wohl gegeben.“

Das sieht auch der Bund für soziales und ziviles Rechtsbewusstsein (BSZ) so. Der Verein hat ein „Aktionsbündnis Bröselstein“ initiiert und geht davon aus, „dass die zuständige Staatsanwaltschaft entsprechende Ermittlungen aufnehmen wird“. Dabei gewonnene Erkenntnisse könnten in die Zivilprozesse einfließen, „mit der Folge einer Erleichterung der Beweisführung“. In jedem Fall hätten sich „die Aussichten für die Geschädigten weiter verbessert“.

Ansprüche auch nach Verjährung

Die Haniel-Aussichten eher nicht, sagt der Bauherren-Schutzbund (BSB). Wenn „tatsächlich gezielt minderwertiges Material“ und „ein Gütezeichen ohne die entsprechende Güte“ im Spiel seien, könne Haniel „direkt schadensersatzpflichtig“ gegenüber Großhändlern und Bauunternehmern sein. Private Bauherren hätten auch nach Verjährung einen rechtlichen Hebel: die sogenannte Drittschadensliquidation. Die greift, wenn sich ein Schaden von einem anspruchsberechtigten Vertragspartner auf einen Dritten verlagert. „Dieser Weg ist jetzt durch die gutachterlichen Feststellungen in dem Verfahren in Duisburg eröffnet“, sagt der Bauherren-Schutzbund.

BSB-Jurist Peter Mauel kennt die Bröselstein-Gefahr. Im Haus eines Mandanten verloren plötzlich die Kellerwände an Stabilität. Daraufhin knickte eine Gebäude-Ecke im Wohnzimmer weg. Zum Glück kam niemand zu Schaden.