Mülheim. Aus ganz Europa kommen sie, um im Ruhrgebiet die Folgen des Pfingststurms zu beseitigen. „Kyrill war nichts dagegen“, sagen die Baumkletterer. Ihre Arbeit wird noch Wochen und Monate dauern, und von Stadt zu Stadt kommen sie damit unterschiedlich schnell voran.

Sie kommen aus Neuseeland oder Belgien, aus Tschechien und ganz Deutschland. Seit Sturmtief Ela sich von Düsseldorf bis Recklinghausen austobte und Zigtausende Bäume mitriss, reisen Baumkletterer von weither an, um das Revier aufzuräumen. Rundum jaulen ihre Motorsägen, sieht man sie angeseilt zwischen den Ästen schaffen. Seit Wochen schon. Ende offen. Doch wer glaubt, sie müssten glücklich sein über die viele Arbeit, täuscht sich. Auch für sie ist das ein „trauriger Job“!

Jan von Hofmann rollte drei Tage nach Pfingsten an. Mit seinem Wohnmobil, das ihm als Werkstatt und auch als Unterkunft dient. Und seitdem ist er kaum herausgekommen aus seiner acht Lagen dic­ken Arbeitshose, die ihn notfalls vor der Wucht der Kettensäge schützen soll. Sechs Tage die Woche, selbst an Feiertagen, steigt er in die Bäume, begutachtet sie, versucht zu retten, was zu retten ist. „So viele schöne Bäume, das ist bitter!“, sagt der 44-Jährige, der Gärtner gelernt hat und anschließend Landschaftsarchitektur studierte.

23 Bäume oder das, was davon blieb

Über 20 Jahre macht er diese Arbeit nun schon. Aber so etwas wie „Ela“ und die Schäden, die sie zurückließ, hat er noch nicht gesehen. „Kyrill“, sagt er, „war nichts dagegen. Kyrill kam im Winter, als die Bäume kein Laub trugen. Kyrill traf die Fichten, die Nadelbäume, Ela vor allem Linden, Birken und Platanen, traf sie frisch belaubt.“

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Von Hofmann ist einer von rund 30 Baumkletterern, die zur Zeit für die Mülheimer Baumpflegefirma Benk unterwegs sind. Und die ist eine von elf Firmen, die Mülheims Stadtverwaltung engagierte.

Heute eine Grünfläche, ein kleiner Park am Schildberg in Mülheim-Dümpten. 23 Bäume oder das, was davon blieb: Dichtes Grün, das nun am Boden liegt. Frisch zersägte Stämme, Äste bedecken die Rasenfläche. Zerlegt, um abtransportiert zu werden. „Dieser Esche brach der Sturm drei dicke Äste raus. Wir haben versucht, sie so zu beschneiden, dass ihre Reste mehr Schutz vor dem Wind haben“, sagt Hofmann und: „Ich hoffe, dass sie sich erholt.“

Erst ein Bruchteil der Arbeit ist erledigt

800.000 Euro hat die Stadt Mülheim bislang ausgegeben. Ein Bruchteil von dem, was noch ansteht. Von 50.000 städtischen Bäumen, erklärt Sylvia Waage, die Leiterin des Grünflächenamtes, müssten 20.000 gefällt oder beschnitten werden. Zwei bis drei Monate werde das bestimmt noch dauern.

Mülheim. Essen. Bochum. Wie die Bilder sich gleichen. Straßen, gesäumt mit Bergen von vertrocknetem Laub und Ästen. Parks, die kaum weniger chaotisch aussehen als am Tag nach dem verheerenden Sturm. Die Verwaltungen arbeiten Prioritätenlisten ab. Zuerst die Straßen, dann die Schulen und Kitas, die Fahrradtrassen und Spielflächen, und am Ende werden die Wälder begutachtet. Stefan Schulze, Stadtsprecher in Essen, rattert Zahlen von bereits wieder für die Nutzung Freigegebenem herunter: 105 von 300 Schulen und Kitas, 79 von 408 Spielplätzen, demnächst die Fahrrad-Trassen, irgendwann die Wälder. Ein Zwischenstand nur, Stunden später schon überholt.

20.000 sturmgeschädigte, verlorene Bäume auch in Essen. Die Entsorgungsbetriebe fahren sonntags Extraschichten, tausende Freiwillige packen mit an. „Wir sind auf einem guten Weg!“, sagt Stefan Schulze. „In Essen und Bochum sieht es noch schlimm aus!“, sagen dagegen viele Baumkletterer, die hier tagtäglich unterwegs sind. „In Mülheim wird viel mehr gemacht“, sagt auch Baumpfleger Dennis Stapf. 40 Jahre, glaubt er, werde es dauern, bis das Ruhrgebiet wieder so grün ist wie vor „Ela“.

Ob es Sinn macht, den kleinen Wald zu retten?

Heute am Schildberg in Mülheim, morgen bei einer Bürgerinitiative in Oberhausen. Die beiden Baumkletterer von Hofmann und Stapf sind gebeten worden, sich einen kleinen Stadtwald anzusehen. Die Bürger möchten ihn retten, wissen aber nicht, ob es Sinn macht.

Die Deutschen und ihre Bäume! Da wird geargwöhnt, dass manch Nachbar die Gunst der (Sturm-)Stunde nutzt, um zu beseitigen, was ihn lange störte. Da suchen andere Schuld und Ursache für zerstörte Wälder in den Lichtungs-Arbeiten des vergangenen Jahres. War man nicht von Anfang an dagegen? Und genau da hat Ela nun zugeschlagen! Alles weg!

Dennis Stapf und Jan von Hofmann kennen diese Argumente. Und sie sehen Kommunen, die nicht wissen, wo sie zuerst anpac­ken sollen. Was ist noch zu retten, wo ist der Aufwand zu groß? Arbeit ohne Ende eben. In ein, zwei Jahren allerdings, da wird es für die Baumkletterer im Revier erheblich weniger zu tun geben. Denn nur ein Baum, der existiert, lässt sich pflegen und zurechtstutzen.