Berlin. . Der CSU-Mann beharrt darauf, keinen Fehler gemacht zu haben. Doch als der Druck zu groß wird, muss er als Minister abtreten. Szenen eines bewegten Tages
Als Hans-Peter Friedrich um 17 Uhr vor die Presse tritt, ist sein Rücktritt ein offenes Geheimnis. Dem Agrarminister war zum Verhängnis, geworden, dass er im „Fall Edathy“ Dienstgeheimnisse verletzt hat. Am Morgen war der CSU-Minister noch entschlossen gewesen, im Amt zu bleiben. Aber im Laufe des Tages nimmt der Druck zu. Friedrich erkennt, dass er seine Aufgabe nicht mit der notwendigen Konzentration, Ruhe und „politischer Unterstützung“ ausüben könne – Rücktritt.
Ein turbulenter Tag geht zu Ende, nicht nur für ihn und in Berlin – auch in Hannover. Die Staatsanwaltschaft, die gegen den SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy wegen Verdachts der Kinderpornografie ermittelt, stellt entsetzt fest, dass in Polizeikreisen und in der Politik der Fall schon erörtert wurde, „bevor die Justiz überhaupt in den Besitz der entsprechenden Strafakte kam“. Der Fall Edathy, die SPD, ihr CSU-Amigo und die Kabinettskrise – ein Puzzle.
Teil 1: Merkel greift ein
Nach einem Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weiß der Minister am Morgen, was die Stunde geschlagen hat. Er ist zwar weiter überzeugt, „dass ich politisch wie rechtlich richtig gehandelt habe“, aber will erst zurücktreten, falls die Staatsanwaltschaft gegen ihn Ermittlungen aufnimmt. Ein Fall von Realitätsverlust, klagt die Linkspartei. Merkel lässt erklären, der Minister sei sich der „Dimension des Vorgangs bewusst“. Mehr Rückendeckung ist nicht drin.
Bald dämmert es ihm, dass es neben der juristischen eine politische Verantwortung gibt. Am Nachmittag bietet er Merkel seinen Rücktritt an. Seit März 2011 saß Friedrich im Kabinett, erst als Innenminister. Seit Ende 2013 war er für Landwirtschaft zuständig. „Ich habe immer gern mit Hans-Peter Friedrich zusammengearbeitet“, sagt Merkel. Einen Nachfolger hat sie nicht parat. Das ist Sache der CSU, und die will nichts überstürzen.
Teil 2: Auftritt eines Amigos
Im Oktober 2013 hatte Friedrich erfahren, dass der Name Edathy im Zusammenhang mit Ermittlungen in Kanada auftauchte. Worum es ging – Kinderpornografie – will er nicht gewusst haben. Da man ihm auf Nachfrage versicherte, dass der Fall nicht strafrechtlich relevant sei, fühlte sich Friedrich sicher. Er habe „nach bestem Wissen gehandelt“ und SPD-Chef Sigmar Gabriel eingeweiht.
Die Indiskretion war gedacht als „vertrauensbildende Maßnahme“ – Union und SPD befanden sich mitten in Sondierungsgesprächen, und eine Partnerschaft lag politisch in der Luft.
Teil 3: Die düpierte Justiz
Beim Bundeskriminalamt waren die Informationen aus Ermittlungen in Kanada eingegangen. Der konkrete Verdacht gegen Edathy erreicht die Staatsanwaltschaft in Hannover am 5. November. Mitte November wird über das kanadische Verfahren und seine Bezüge nach Deutschland in den Medien berichtet. Edathy muss schon alarmiert sein. Und tatsächlich: Ende November klopft sein Anwalt auf den Busch. „Gerüchteweise“ habe er von Ermittlungen gehört. Ob da was dran sei?
In Hannover fragt sich der Leiter der Strafverfolgungsbehörde, Jörg Fröhlich, ob er etwas weiß oder nur „pokert“. Erst in den letzten Tagen wurde Fröhlich klar, dass der Fall einigen Politikern und vielen in der Polizei bekannt war. Fröhlich: „Wir sind fassungslos.“
Teil 4: Suche nach dem Leck
Fakt ist: Edathy bestellte sich neun Mal insgesamt 31 Fotos von „nackten Knaben, die toben, spielen, sich darstellen – alles mit Bezug zu den Genitalien“, wie Staatsanwalt Fröhlich erläutert. Ob es Kinderpornografie ist oder nicht, ist juristisch eine Interpretationsfrage.
Heiße Ware ist es allemal, den Handel fädelt er konspirativ ein. Er nutzt verschiedene Mail-Adressen, das Material lädt er wiederum auf eine Adresse runter, die mehrere Leute im Bundestag nutzen. Vorsorglich bezahlt Edathy mit einer Kreditkarte von Konten, die er erst kurz zuvor hatte einrichten lassen.
Als die Staatsanwaltschaft seine Büros durchsucht, ist die Ausbeute denn auch „mager“, wie Fröhlich klagt. Es gibt den Verdacht, dass Computer verschwanden und dass Festplatten zerstört worden waren. Hatte jemand Edathy einen Tipp gegeben, Parteifreunde oder jemand aus Justiz oder Polizei?
Teil 5: Die Kabinettskrise
Die Bundeskanzlerin will erst am letzten Dienstag vom Fall Edathy erfahren haben. Sie war verärgert und hatte drei Gründe dafür. Ein Minister, der Dienstgeheimnisse ausplaudert, macht das Kabinett angreifbar. Pikant ist auch, dass Friedrich im Oktober die SPD, nicht aber die Union und Merkel informiert hat.
Hinzu kommt, dass Friedrich und SPD sich über den Verlauf ihrer Gespräche zum Teil widersprachen. Ein gefundenes Fressen für die Opposition.