Winterthur/Essen. . Reinhard Sprenger ist einer von 285.000 Deutschen, die in der Schweiz leben. Er liebt das Land, die Menschen und die Natur. Doch zeigt der gebürtige Essener auch Verständnis für das Votum bei der Volksabstimmung. „Die Schweiz ist ein enges Land und droht zu explodieren“, sagt er.
„Es lebt sich hervorragend in der Schweiz“, schwärmt Reinhard Sprenger. Herrliche Natur, perfekte Infrastruktur, hochwertige Produkte – die Lebensqualität sei „enorm hoch“. Ob er jetzt, nach der Volksabstimmung der Schweizer, die mehrheitlich für eine strikte Begrenzung der Zuwanderung votierten, daran denke, das Land zu verlassen? „Auf keinen Fall. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund.“
Reinhard Sprenger (60), gebürtiger Essener, ist einer von rund 285.000 in der Schweiz lebenden Deutschen. Der erfolgreiche Autor und Führungsexperte ist mit einer Schweizerin verheiratet, lebt seit sieben Jahren in Winterthur. Seine Erfahrung: „Hier wird man als Deutscher nicht geliebt, aber respektiert – und manchmal ein bisschen gefürchtet.“ Direkte Vorbehalte gegenüber seiner Person habe er aber in seinem Alltag nie erlebt.
Sprenger erzählt, er habe mit dem Ausgang der Volksabstimmung am Sonntag nicht gerechnet: „Aber ich warne davor, die Schweizer jetzt einfach in die rechte Ecke zu stellen. Da hat die bürgerliche Mitte des Landes den Ausschlag gegeben, nicht ein paar wirrköpfige Neonazis.“ Das Votum sei nicht das Ergebnis einer ideologischen Fremdenfeindlichkeit; Sprenger spricht vielmehr von einer „lebensweltlichen Entscheidung“ vieler Schweizer.
„Die Schweiz ist ein unglaubliches enges Land und droht zu explodieren“, so der Wahl-Schweizer Sprenger. Dies spürten die Einwohner in ihrem Alltag an zahlreichen Punkten: vom schwierigen Grundstücks- und Wohnungsmarkt mit wenigen, aber teuren Angeboten bis hin zum knappen Stellenangebot als Kehrseite der extrem niedrigen Arbeitslosenquote von aktuell 3,5 Prozent. „Zusammen mit anderen Punkten empfinden viele Schweizer diese Situation als Bedrohung“, so Sprenger.
Hinzu käme der hohe Ausländeranteil in der Schweiz von über 23 Prozent. Sprenger: „Der Begriff Ausländer ist für viele Menschen hier mit diffusen Ängsten besetzt.“ Da habe sich der Reflex, „die Ausländer“ für viele Probleme im Land verantwortlich zu machen, mit der Volksabstimmung angeboten.
Politische Parallelgesellschaft
Hinzu komme, dass viele Schweizer das brisante Thema Zuwanderung (Sprenger: „Das brennt den Leuten hier auf den Nägeln“) von den Politikern nicht ausreichend gewürdigt sehen. Fast alle Parteien hatten sich bei der Volksabstimmung gegen eine Begrenzung der Zuwanderung ausgesprochen. Auch die Medien des Landes hätten einhellig den Bürgern ein „Nein“ bei dem Votum empfohlen. „So gesehen“, sagt Sprenger, „war das auch eine Protestwahl gegen die politische Parallelgesellschaft in Bern.“
„Wir ängstigen die Schweizer“
Dies sieht auch Martina Monti so. Die aus Düsseldorf stammende Journalistin lebt seit 1992 in der Nähe von Zürich. Sie hat in den letzten 20 Jahren festgestellt, dass Schweizer mit Deutschen nicht selten Probleme haben: „Wir sind extrovertiert, sprechen schnell und laut, sind forsch und eindeutig. Das ängstigt die Schweizer, die die Deutschen oft als selbstherrlich bezeichnen.“ Dazu das als einschüchternd empfundene Hochdeutsch, mit dem die Menschen oft nicht klarkämen. Die Schweizer seien eben ganz anders, so Monti: „Zurückhaltend, leise, nicht so direkt.“
Auch die 52-Jährige hält nichts von einem Bild, dass die Schweizer nun als dumpfe Ausländerfeinde und potenzielle Rechtsradikale darstellt. „Für viele Menschen hier ist die Europäische Union ein bedrohlicher Moloch“, beschreibt Martina Monti ihre Erfahrungen, „die EU wird immer größer, es werden immer neue Staaten aufgenommen und man fragt sich, ob das alles so gut ist.“ Sie sieht die Abstimmung vom Sonntag auch als Protestwahl, „die die großen Parteien, die das heikle Thema Zuwanderung lange tabuisiert haben, aufrütteln soll“. Die „Europaromantik“ in Teilen der Politik habe sicher zu dem Ergebnis beigetragen.
Die Frage, ob sie der Schweiz nun den Rücken kehre, stellt sich für Monti nicht. Sie hat seit ihrer Hochzeit selbst einen Schweizer Pass.