Essen.

Der „Fall Pierre Pahlke“ zählt zu den außergewöhnlichsten Kriminalfällen der letzten Zeit. Seit gut vier Monaten ist der geistig behinderte junge Mann, der in der „Heimstatt Engelbert“ in Essen lebte und den Entwicklungsstand eines kleinen Kindes hat, spurlos verschwunden. Jetzt verfolgt die Essener Polizei endlich eine heiße Spur. Eine, die mitten in das Amsterdamer Rotlichtmilieu führt. Und schaurigste Mutmaßungen auslöst.

„Diese Spur ist ziemlich frisch“, sagte Kriminalhauptkommissar Ralf Menkhorst, der Leiter der Ermittlungskommission, am Freitag. „Wir hoffen, Zeugen zu finden, die Pierre in Amsterdam gesehen haben.“ Die niederländische Polizei hat gestern Bilder veröffentlicht, zum Abdruck in Zeitungen bestimmt. Nach wie vor bestehe ein Fünkchen Hoffnung, Pierre noch lebend auffinden zu können, sagte Menkhorst. Doch wahrscheinlicher, so Staatsanwältin Elke Hinterberg, sei eine andere Vorstellung: dass Pierre wohl nicht mehr lebt und „Opfer eines Kapitaldelikts“ geworden ist.

„Mantrailer“-Spürhunde haben die Fahnder Ende November etappenweise nach Amsterdam geführt. Was die Vierbeiner zu erschnüffeln vermögen, grenzt an ein kleines Wunder. Aber Ralf Menkhorst (47) vertraut den außergewöhnlichen Fähigkeiten dieser Spürhunde: „Wir sind uns sehr sicher, dass diese Ergebnisse stimmen.“

Von der „Heimstatt Engelbert“ in Essen-Frillendorf führten die „Mantrailer“ die Polizisten zunächst auf den Ruhrschnellweg. Immer, wenn die Spürhunde ihre Nase auf den A 40-Asphalt legten, musste die Bahn gesperrt werden. Von der A 40 ging’s über die A 2 und die A 3 bis an den Grenzübergang Elten im Kreis Kleve. Als auch die Niederländer den deutschen Fahndern grünes Licht gaben, tasteten sich die Hunde – von Abfahrt zu Abfahrt – schließlich nach Amsterdam vor, bis sich die Spur in dem Gewirr aus engen Gassen und Grachten wieder verlor.

Wurde Pierre, der lebensfrohe Junge, von Sex-Gangstern verschleppt? Lebt er womöglich noch? Ralf Menkhorst sagt: „Es ist nicht auszuschließen, dass jemand Pierre in der Gewalt hat und nicht freilässt.“

Seit dem Tag seines Verschwindens, seit jenem Dienstag, dem 17. September, wühlt das Schicksal des Blondschopfs die Menschen auf. Zeitweilig verabredeten sie sich sogar über Facebook, um in Essen, Bottrop oder Gladbeck nach Pierre zu suchen.

Die Eltern wollen wieder Zettel kleben

Seine verzweifelten Eltern haben in den ersten Wochen das getan, was alle Eltern in solch’ einer Situation tun würden: Sie haben Tausende Zettel an Laternen, Straßenbäume und Fassaden geklebt und gesucht – bis sie erschöpft zusammensackten. „Jetzt haben sie eine Belohnung über 10 000 Euro ausgesetzt“, so Menkhorst. Und bald wollen sie auch im Amsterdamer Rotlichtviertel wieder Zettel kleben. „Der Fall geht mir sehr nah“, gesteht der Chef-Ermittler, „selbst nach Dienstschluss muss ich dran denken.“