Essen/Düsseldorf. .

Schon am Wahlabend warf Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß die Frage auf, wo Bürgerentscheide ihre Grenzen hätten. Gerade hatte eine hauchdünne Mehrheit die Modernisierung der Messe erst einmal auf Eis gelegt. Dafür reichen mittlerweile schon zehn Prozent der Wahlberechtigten, vor 2011 waren für einen erfolgreichen Bürgerentscheid noch 20 Prozent nötig – Rot-Grün senkte die Hürde.

Bei einer knappen Wahlbeteiligung, haderte Paß, treffe eine sehr kleine Minderheit Entscheidungen von großer Tragweite für die Stadt. „Wenn siebzig Prozent der Essener nicht abstimmen, heißt das ja nicht, dass es eine Mehrheit gegen den Messeumbau gibt, sondern dass es eine unentschlossene Mehrheit gibt.“ Das sei bei der komplexen Fragestellung kaum verwunderlich.

„Es ist für viele offenbar nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar, welchen Wert eine Messe für eine Stadt hat und welche Effekte sie für die Wirtschaft und auf die Arbeitsplätze hat“, sagte Düsseldorfs Messechef Werner Dornscheidt der WAZ. „Die Messe macht Essen ja auch national und international bekannter.“ Er räumte ein, dass es für eine Stadt, die wirtschaftliche Sorgen habe, „um sehr viel Geld gegangen“ sei. Dennoch sei er „erstaunt über die Entscheidung“, die für den größten Messestandort der Welt, NRW, „sehr schade ist“.

Enttäuscht zeigte sich vor allem der Baubevollmächtigte der Essener Messe, Roland Weiss: „Dieses Thema eignet sich nicht für emotionale Entscheidungen.“ Messe und Politik hätten viele Jahre über das Ob und Wie des Messe-Umbaus diskutiert, und er hätte sich noch Ende 2011 einen Bürgerentscheid über die Grundsatzfrage vorstellen können. Dass nun über weit gediehene Planungen abgestimmt wurde, halte er für falsch.

Der Bonner Politikwissenschaftler Professor Frank Decker wünscht sich dagegen, dass „die Räte von sich aus viel häufiger solche Bürger-Abstimmungen durchführen“ sollten. Direkte Demokratie habe zum Beispiel zur Abwahl des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland geführt. Decker: „Er selbst wollte nicht zurücktreten, seine Partei lehnte den Rücktritt auch ab. Aber die Bürger sorgten dafür. Ohne diese Abstimmung wäre Sauerland womöglich immer noch Oberbürgermeister.“ Auf Bundesebene, räumt er ein, könnte direkte Demokratie gefährlich werden. Das politische System beruhe auf dem Gegensatz zwischen Regierung und Opposition. Wenn nun die Bürger auch noch Opposition sein können, dann bestehe das Risiko, dass sie von der Opposition im Bundestag instrumentalisiert werden. „Sie würde dann Regierungspolitik durch die Hintertür betreiben.“

Wie sieht Plan B für die Modernisierung aus?

Und wie geht es in Essen weiter?

„Natürlich akzeptiere ich das Abstimmungsergebnis“, ließ OB Paß gestern verlauten, nun gelte es, den Schaden zu begrenzen. Der Messe-Aufsichtsrat werde umgehend darüber beraten. CDU, FDP und das Essener Bürgerbündnis wollen von den Initiatoren des Messe-Bürgerbegehrens wissen, wie ihre Eckpunkte eines „Plan B“ für die Modernisierung der Messe aussähen. Dabei müssten zentrale Fragen beantwortet werden: Wie sieht das Geschäftsmodell aus? Welche Ausstellungsfläche soll zur Verfügung stehen? Und: Was darf eine Modernisierung kosten?