Essen. .

Zeugen stehen unter Schock, das Opfer ringt mit dem Tod: Einen Tag, nachdem ein 20-Jähriger am Essener Hauptbahnhof an einer S-Bahn herumkletterte, ist nicht klar, ob er seinen lebensgefährlichen Leichtsinn überleben wird. Mit schwersten Verbrennungen und vermutlich auch mehreren Knochenbrüchen liegt der 20-Jährige derzeit in einer Spezialklinik in Duisburg.

Der junge Mann sei in der Nacht zu Samstag gegen 2.30 Uhr im Essener Bahnhof in den Hohlraum zwischen Lok und erstem Wagen einer S-Bahn gesprungen und von dort auf das Wagendach geklettert, so hat es die Bundespolizei bisher rekonstruiert. Der Zug der Linie 6 hatte auf Gleis 12 gewartet. Dabei sei der 20-Jährige der bis zu 15 000 Volt starken Hochspannungsleitung zu nahe gekommen.

Zeugen berichteten von einem Blitz, einem Lichtbogen und einem lauten Knall. Der Mann erlitt einen Schlag, brach auf dem Wagendach zusammen und fiel ins Gleisbett. Laut Bundespolizei gab es mehrere Zeugen. Sie mussten von Rettungsdienst und Notfallseelsorger betreut werden und waren auch am Sonntagmorgen noch nicht vernehmungsfähig. Laut ersten Aussagen sei der junge Mann nicht alkoholisiert gewesen.

Eine 16-Jährige – vermutlich die Freundin des Opfers – musste ins Krankenhaus gebracht werden. Auch sie konnte noch keine Angaben machen. Die Polizei will die teilweise traumatisierten Zeugen in den nächsten Tagen befragen.

Überlebenschance fraglich

Wie hoch die Chancen für den 20-Jährigen sind, den Stromschlag zu überleben, ist derzeit offenbar nicht einzuschätzen. Bei vergleichbaren Unfällen mit Strom zeigt sich erst nach Tagen, ob der Körper die Verletzungen übersteht. Der Mann soll zwar unmittelbar nach dem Vorfall noch ansprechbar gewesen sein. Das aber sage nichts über die Schwere der Verletzungen aus, erklärte die Polizei.

Zudem habe der junge Mann wohl eine Weile benommen auf dem Dach der Lok gelegen und sich dann vermutlich aus eigener Kraft zur Seite gerollt – dabei stürzte er auf eine Betonplatte im Gleisbett zwischen der S-Bahn und ei­ner Gebäudewand. Erst am zweiten Weihnachtsfeiertag war auf ei­nem Berliner Güterbahnhof ein 15-Jähriger durch einen Stromstoß aus der Oberleitung getötet worden. Der Jugendliche war auf einen abgestellten Kesselwagen geklettert. Sein 19-jähriger Begleiter schilderte der Polizei, er habe plötzlich einen Knall gehört und einen Lichtblitz gesehen. Danach sei der 15-Jährige vom Waggon gefallen. Als die Rettungskräfte eintrafen, war der Jugendliche schon tot. Er soll laut „Berliner Zeitung“ Verbindungen zur Sprayerszene haben. Vermutlich habe er S-Bahn-Züge mit Graffiti besprühen wollen.

Schwere Unfälle mit Oberleitungen passieren häufig jungen Menschen, die leichtsinnig auf Waggons klettern. Einige Beispiele:

24. November 2013: Ein 13-Jähriger klettert am Bahnhof in Rathenow (Brandenburg) auf einen Güterwaggon und kommt einer Leitung mit rund 15 000 Volt zu nahe. Der Junge erleidet schwerste Verbrennungen und stirbt wenige Tage später im Krankenhaus.

17. Mai 2013: Ein neun Jahre alter Junge klettert im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg auf einen Kesselwagen und wird von einem Stromschlag schwer verletzt.

11. Mai 2013: Eine 17 Jahre alte Stuttgarterin verliert ihr Leben, als sie sich mit zwei anderen Mädchen aus Jux an einem Bahnhof fotografieren lassen will. Die Jugendliche klettert auf einen Kesselwagen und wird von einem Stromschlag getötet. Die Freundinnen erleiden schwere Verbrennungen.

2. Mai 2013: Mit einer Angel gerät ein 55 Jahre alter Mann an eine Oberleitung, als er in Elsfleth (Niedersachsen) Bahngleise überquert. Der Hobbyfischer stirbt an einem Stromschlag.

Leitungen sind auch bei abgestellten Zügen ständig unter Strom

Die Bundespolizei warnt vor Kletterübungen an Bahnanlagen: „Die Leitungen dort stehen ständig unter Strom“, sagt Jürgen Karlisch, Sprecher der Bundespolizeiinspektion in Dortmund.

Auch wenn man glaube, dass nur Waggons abgestellt seien: „Wir raten dringend dazu, mindestens eineinhalb Meter Abstand von solchen Stromleitungen zu halten.“ Und auch die Leitungsfähigkeit der Luft ist ein Gefahrenherd, warnt Karlisch. Wenn es feucht sei, wie bei dem Unfall am Essener Bahnhof, sollte man sich von Starkstromleitungen noch weiter entfernt halten.