Essen. . Für seine 90-jährige Patientin war ein Essener Arzt scheinbar ein Mediziner, dem man vertrauen konnte. Als die alte Dame starb, staunten zwei Patenkinder und eine hilfsbereite Nachbarin nicht schlecht: Der Arzt war Alleinerbe der Immobilien. Das mutmaßlich sechsstellige Barvermögen war offenbar verschwunden.

Senioren als Opfer. Fast täglich ist von kleinen Ganoven zu lesen, die sich in die Wohnungen älterer Mitbürger einschleichen und deren Ersparnisse klauen. Empörung ist ihnen gewiss. Aber es gibt auch seriös wirkende Menschen, die das Ersparte der Senioren abgreifen.

Mediziner sind darunter, die unter Missachtung ihrer Berufsordnung als Erben das Vermögen ihrer Patienten kassieren. Wie ein Hausarzt aus Essen-Steele.

Neid erregt er. 65 Jahre ist er alt, aber selbst 30-Jährige wären stolz, hätten sie einen Körper wie er. Wer im Internet nach ihm sucht, sieht ihn im Video bei schweißtreibenden Liegestützen. Im Fitnessclub seiner Lebensgefährtin, die im Privatfernsehen heimisch ist, ist er als Trainer ebenso aktiv wie in der Essener Leichtathletik. Ein Pfundskerl, so scheint es. Angesiedelt ist der Club im Essener Süden, wo das Geld ein wenig lockerer sitzt.

Wenig Lust an Aufklärung

Aber der Hausarzt, der sich selbst als „Höchstleistungssportler und Fitness-Boxer“ bezeichnet, hat auch eine fürsorgliche Art. Hausbesuche, von denen Kassenpatienten träumen, waren für ihn bei einer betagten Beamtin a. D. selbstverständlich. Zum Schluss soll er fast täglich bei der 90-jährigen Frau aufgetaucht sein. Nachbarn sagen, er kam zu Kaffee und Gebäck. Sie wollen auch Belege haben, dass er die Besuche privat abrechnete.

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Von Katharina Rüth

Die alleinstehende Dame hatte ihn als Vermögensverwalter und im März 2007 in einem notariellen Testament als Alleinerben eingesetzt. Ihm blieb vor allem der Immobilienbesitz. Zwei Patenkindern und einer Nachbarin, die sich seit Jahren um die Seniorin kümmerte, vermachte sie das gesamte Geldvermögen samt Aktien. Zu überweisen innerhalb von acht Wochen nach ihrem Tod.

Sie starb im Oktober 2009. Doch das Geld kam nicht, eine Vermögensaufstellung lieferte der Arzt nach Monaten auf gerichtlichen Druck. Erst am 23. März 2010 überwies der Arzt jeder der drei Frauen 940,37 Euro.

Hatte die 90-Jährige ein Sky-Abo gebucht?

Wie hoch das Erbe tatsächlich war? Manche reden von 200.000 Euro, andere von 400.000. Die Kostenberechnung des Notars für das Testament lässt auf einen Nachlasswert in Höhe von 200.000 Euro schließen.

Der Arzt zeigte wenig Lust, den Gesamtbetrag aufzuklären. Sein Antrag auf einen Erbschein, den er den drei Frauen zuleitete, weist ihn als Alleinerben aus. Den Wert des Nachlasses hatte er vorsorglich geschwärzt. Die drei Frauen verklagten ihn zivilrechtlich und erstatteten Anzeige wegen Untreue und Betrug.

Hinweise hatten sie, dass der Doktor schon vor dem Tod der alten Dame deren Konten leergeräumt hatte. Oder war sie es, die ihre Lust an Bundesligafußball mit einem Sky-Abo bezahlte? Die im Hotel „Vier Jahreszeiten“ logierte? Oder ständig mehrere hundert Euro bei Saturn ausgab? Die Kontoauszüge sprechen eine deutliche Sprache.

Ärztekammer warnt in den meisten Fällen 

Der Arzt gab weiterhin nur zögerlich Auskunft über die Konten. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, ließ mit richterlichem Beschluss sein Wohnhaus durchsuchen. Doch strafrechtlich blieb nicht viel. Es sei nicht auszuschließen, so die Staatsanwaltschaft, dass die Verstorbene zu Lebzeiten all die Ausgaben von ihrem Konto genehmigt habe.

Nur wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung des Arztes im Zivilprozess über das Guthaben der Frau klagte die Staatsanwaltschaft ihn an. Doch der Strafprozess am 27. August 2013 vor dem Amtsgericht Essen-Steele erinnerte nur entfernt an eine Gerichtsverhandlung.

Prozess ohne den Angeklagten

Verteidiger Volker Schröder, sonst nicht öffentlichkeitsscheu, sorgte dafür, dass der Mediziner angesichts der Anwesenheit dieser Zeitung gar nicht erst im Saal erscheinen musste. Gegen 3000 Euro Geldbuße an die Landeskasse stellte das Amtsgericht in Steele das Strafverfahren ein.

Dirk Schulenburg, Justiziar der Ärztekammer Nordrhein, hält von erbenden Ärzten gar nichts. Jedes Jahr würden ein paar Ärzte nachfragen, ob sie das Erbe ihres Patienten annehmen dürften. Schulenburg: „Wir warnen davor in den meisten Fällen.“

Er verweist auf ein Urteil des Ärztegerichtshofes in Saarbrücken (Az: ÄGh 1/09), das die Annahme eines Erbes von 500.000 Euro durch den Arzt als Verstoß gegen die Berufsordnung ansah. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, dass sich der Arzt durch das Erbe oder eine Schenkung in seiner medizinischen Arbeit beeinflussen lasse.

Gegen manchen Arzt wurde sogar wegen Mordes ermittelt

Und schnell kann der Verdacht aufkommen, dass ein Doktor beim Tod seines Patienten ein wenig nachhilft, um das Erbe schneller einzukassieren. Gegen manchen Arzt, der im Testament bedacht wurde, haben Staatsanwälte auch schon wegen Mordes ermittelt.

Offiziell hat der Arzt aus Essen-Steele nicht viel von seinem Erbe gehabt. Am 23. September 2010, nicht einmal ein Jahr nach dem Tod seiner Patientin, eröffnete das Amtsgericht Essen das Insolvenzverfahren über ihn.