Essen. Die NRW-Landesregierung startet eine Werbeaktion für mehr Einbürgerungen. Weil das Interesse am deutschen Pass bei ausländischen Mitbürgern stark gesunken ist, soll in den zehn NRW-Städten mit dem größten Ausländeranteil die deutsche Staatsbürgerschaft auf Plakatflächen angepriesen werden.

Thomas Kufen hat sich viel vorgenommen. Zehn Städte, 500 Großflächen, 50 Veranstaltungen. Ende August fällt der Startschuss. Kufen, der Integrationsbeauftragte, will sie alle erreichen. Die Kroaten, die Italiener, die Afrikaner – vor allem aber die Türken. Gut eine Million Migranten in NRW erfüllen die Kriterien für eine Einbürgerung. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Die Zahl derer, die einen deutschen Pass beantragen, ist massiv rückläufig. Und Experten bezweifeln den Erfolg der Aktion. „Plakate allein tun es nicht”, kritisiert Leyla Özmal, Integrationsbeauftragte der Stadt Duisburg.

Eine bestimmte Einbürgerungsquote peile das Land nicht an, sagt Kufen. Die Landesregierung sei sich aber bewusst, dass man das Thema jetzt verstärkt angehen müsse. Und ein deutscher Pass sei nun mal ein Ausdruck gelungener Integration in unserer Gesellschaft. „Wir wollen den Menschen die Vorteile vermitteln, die sie mit einem deutschen Pass haben.” Dazu gehöre die freie Berufswahl, die Visa-Freiheit, aber auch die Teilnahme an Wahlen und die Möglichkeit, sich in öffentliche Ämter wählen zu lassen.

Emotionale Komponente

Integrationsbeauftragter Thomas Kufen. Foto: Oliver Müller
Integrationsbeauftragter Thomas Kufen. Foto: Oliver Müller © Oliver Müller NRZ

Einbürgerung hat auch eine emotionale Komponente. „Die Ausländer würden sich über eine Geste freuen”, sagt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen. Viele Migranten hätten immer noch nicht das Gefühl, hier besonders willkommen zu sein. Gerade bei den Türken der ersten Generation komme noch eine hohe Bindung an ihr Heimatland hinzu. „Die Alten wollen ihre Staatsbürgerschaft nicht abgeben.” Auch weil sie oft noch Besitz in der Türkei hätten und nicht wüssten, ob sie ohne türkischen Pass ihre Ansprüche verlieren.

Das 2000 in Kraft getretene Staatsbürgerschaftsrecht verbietet es Einbürgerungswilligen, die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes parallel zur deutschen zu behalten, es sei denn, sie kommen aus dem EU-Ausland. Migranten, die hier zu Lande geboren werden, bekommen zwar den deutschen Pass, müssen sich aber bei Erreichen der Volljährigkeit, spätestens aber mit 23 entscheiden, welcher Nation sie angehören wollen.

Nachholbedarf

Den Vorwurf, Deutschland heiße Einbürgerungswillige nicht willkommen, will Thomas Kufen so nicht gelten lassen. Früher sei zwar die Anmeldung eines Autos feierlicher gewesen als eine Einbürgerung, doch das habe sich geändert. Bei der Frage, wie man mit der ersten Einwanderungs-Generation verfahren solle, sieht Kufen Nachholbedarf. Denkbar sei, bei den Anforderungen der Sprachtests entgegenzukommen. Auch in der Diskussion: die Ausstellung eines deutschen Passes unter Duldung der Doppelstaatlichkeit für Migranten der ersten Generation.

Minus 20 Prozent

Im letzten Jahr ließen sich 94 470 Ausländer einbürgern. Das sind rund 18 500 weniger als im Vorjahr, ein Rückgang von über 20 Prozent. NRW kam in 2008 gerade einmal auf rund 26 000 Einbürgerungen, das sind etwa 6000 weniger als im Vorjahr.

Noch krasser fällt der Rückgang der Einbürgerungen im Vergleich zum Jahr 2000 aus. Allein 65 743 Migranten wurden damals Deutsche. Mehr als doppelt so viele wie im vergangenen Jahr. Die Ursache liegt vor allem im Jahr 2000 geänderten Ausländerrecht, das eine doppelte Staatsbürgerschaft für Menschen mit Wurzeln außerhalb der Europäischen Union nur noch in Ausnahmefällen erlaubt.

Ob das Regierungslager sich zu einer schnellen Lösung durchringen kann, wird von Experten stark angezweifelt. Auch die Opposition fasst das Thema mit spitzen Fingern an. Der Schock sitzt bei SPD und Grünen noch immer tief, wie einfach es Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) im Wahlkampf 1999 gelang, mit seiner „Doppelpass”-Strategie Pläne der rot-grünen Bundesregierung zu torpedieren, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. „Kochs Kampagne schlug ein wie eine Bombe”, erinnert sich eine grüne Landtagsabgeordnete.

Glücklicherweise habe sich seit dem Desaster von 1999 einiges in der politischen Landschaft getan, sagt die Grünen-Politikerin. „Die Kluft zwischen den Multi-Kulti-Spinnern und den Nationalstaatlern” sei mittlerweile wesentlich kleiner. Nun sei es an der Zeit, dass auch das Thema Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Bürger auf die Agenda komme. „Doch da traut sich Integrationsminister Armin Laschet nicht ran.”