Ruhrgebiet. . Die Stadt Essen will auf die Notbremse treten, um den Zuzug von Roma einzuschränken. Die Menschen sollten nicht mehr aus wirtschaftlichen Gründen einreisen. Das neue Konzept sieht Sachleistungen statt Geld und eine Groß-Unterkunft für alle Neuankömmlinge Doch es regt sich Kritik an dieser Idee der Abschreckung.

Es seien zu viele, und überhaupt kämen die meisten von ihnen nur wegen des Geldes. Weil sich die hoch verschuldete Stadt Essen einem neuen Ansturm von Asylbewerbern ausgesetzt sieht, denkt sie laut darüber nach, ihnen künftig deutlich weniger Geld auszuzahlen. Mit Mensa-Essen statt Barem will man vor allem Roma aus Serbien und Mazedonien abschrecken. Und während sich Pro Asyl wie Flüchtlingsrat NRW über die Diskriminierung empören, scheint auch manch andere Kommune die Idee apart zu finden.

In diesem Frühjahr ist Essens Sozialdezernent Peter Renzel (CDU) eigens in die Heimatländer dieser Menschen gereist, um sich einen Eindruck von ihren Lebensbedingungen zu verschaffen. Und der scheint recht eindeutig gewesen zu sein: Vor allem finanzielle Anreize bewegten die Roma-Familien dazu, ihre Koffer zu packen. Und jene, die nach Deutschland kämen, seien auch nicht die Ärmsten der Armen, die am Rande von Belgrad oder Skopje in Wellblechhütten hausen, sondern Menschen, denen es gemessen am Lebensstandard ihrer Heimat relativ gut gehe.

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Um deutlich zu machen, worum es geht: Seit die Europäische Union (EU) Bürgern der beiden Balkanstaaten die visafreie Einreise gestattet, registriert auch die Stadt Essen eine steigende Zahl von Asylsuchenden aus Serbien und Mazedonien. 551 Flüchtlinge sind derzeit in den Unterkünften untergebracht, drei Viertel davon Roma. Viele davon Folgeantragsteller, die schon in den 90ern, während des Balkan-Krieges, nach Essen geflohen waren und deshalb nur hier Asyl beantragen können.

Steigende Zahlen von Asylbewerbern regen Diskussion wieder an

Das kostet, belastet den städtischen Haushalt. „Die steigenden Asylbewerber-Zahlen regen offensichtlich die Diskussion wieder an“, sagt auch Bernd Mesovic, Geschäftsführer von Pro Asyl. Er sieht durch Renzels Überlegungen alle Asylbewerber, egal welcher Nationalität, bestraft und unter einen Generalverdacht gestellt.

Dabei war Nordrhein-Westfalen eines der ersten Bundesländer, in dem sich die meisten Kommunen für Geld statt Sachleistungen entschieden haben. Vor allem, weil dies als weniger entwürdigend angesehen wird und Asylbewerbern die Chance gibt, ihren Alltag zumindest etwas selbst zu gestalten. In Bayern und Baden-Württemberg entstehen gerade Initiativen, die Lebensmittelpakete abzuschaffen. „Es den Asylbewerbern so unbequem zu machen, ist unwürdig für ein reiches Land“, sagt Sylvia Schaible von der Bamberger Initiative „Freund statt Fremd“.

Linke und Grüne auf den Barrikaden

In Essen jedenfalls gehen Linke und Grüne auf die Barrikaden. Das Sozialdezernat jedoch verweist auf andere Städte, die, so heißt es, mit Interesse verfolgten, was sich da in Essen tue: Köln, Münster, Duisburg und angeblich auch Mülheim und Dortmund.

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Rund um Essen distanziert man sich von Renzels Initiative. Dessen Gelsenkirchener Kollegin Karin Welge hält es für „unwahrscheinlich, dass das Essener Konzept geeignet ist, Flüchtlinge abzuschrecken“. Gelsenkirchen will an der Zahlung von Barem festhalten. So betonte man es auch in Mülheim und Dortmund.

Billiger ist das Essener Konzept ohnehin nicht. Im Gegenteil. Die Kosten liegen aufgrund des Aufwandes um 810 000 Euro höher; pro Jahr gibt Essen derzeit rund 14 Millionen Euro für die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern aus. Zuzüglich zu den bis zu sechs Monaten geltenden Sachleistungen würden Erwachsene ein Taschengeld von 134 Euro, Kinder eines von 78 Euro erhalten.

Die langen Asylverfahren

Ein Problem tatsächlich sind die langen Asylverfahren. Oft dauert es Monate, bis entschieden wird. Und die Chance der Roma, dass ihr Gesuch erfolgreich sein könnte, tendiert gen null. Pro Asyl hält ein schnelleres Verfahren deshalb für eine sinnvollere Lösung als die Abschreckungs-Politik des Essener Sozialdezernenten. „Wenn Politiker so reden wie er, brauchen wir kein Antidiskriminierungs-Gesetz“, erklärt Mesovic von Pro Asyl.

Ob das neue Konzept zum Tragen kommt, bleibt offen. Erst im September berät der Sozialausschuss des Stadtrates darüber – wenige Tage vor der Bundestagswahl.