Wuppertal. . Eine 86-jährige Seniorin sollte 40 Tage absitzen, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen konnte. Das Wuppertaler Amtsgericht hatte die alte Frau wegen wiederholten Schwarzfahrens verurteilt, was angesichtes ihres Alters große Empörung auslöste. Nun wurde sie freigekauft.
Sie kam oft mit ihrer großen Tasche, „sie hielt sich auf“, heißt das bei den Behörden, jedenfalls kennt man sie am Hauptbahnhof von Wuppertal: diese alte Frau, 86 Jahre alt, wie man jetzt weiß, und wohnungslos. Deshalb hat die Polizei sie kontrolliert, immer mal wieder, und nachgesehen, ob es vielleicht irgendeinen Ärger gab. Denn den gab es schon oft. Kleinere Sachen, Diebstähle, Busfahren ohne Fahrkarte, solche Dinge. Wie am Donnerstag auch: „Erschleichung von Leistungen“ stand im Haftbefehl, ausgestellt vom Landrat des Ennepe-Ruhr-Kreises; die Beamten nahmen die Frau mit. Und von der Wache aus kam sie nach Gelsenkirchen ins Gefängnis.
Mit 86!
„Sowas darf nicht sein bei uns in Deutschland“
Viele haben sich erregt darüber, zumal es „nur“ um einen Strafbefehl über 400 Euro ging, plus Gebühren. „Sowas darf nicht sein bei uns in Deutschland“, fand eine Leserin aus dem westlichen Revier, die die Schulden der alten Dame sogleich übernehmen wollte: „Wie viel Leben hat sie schon hinter sich, da will ich nicht mehr urteilen.“ Vereine meldeten sich, die zahlen wollten, eine Seniorenhilfe, auch ein Herr aus Rheinberg, der die Festnahme für „haarsträubend“ hält: „Das kann man in dieser Gesellschaft nicht so stehenlassen. Das darf man einfach nicht, eine 86-Jährige einlochen!“
Nur muss man das unter Umständen sogar, sagt das Gesetz. Jedenfalls unter Umständen wie diesen: Die alte Frau nämlich war ja nicht zum ersten Mal aufgefallen, hatte Verwarnungen bekommen, Bewährungen und nun vom Wuppertaler Amtsgericht eine Strafe. 474 Euro sollte sie zahlen für neuerliches Schwarzfahren in vier Fällen. Das Geld, bestätigt das Justizministerium, wollte ihr Sohn übernehmen, tat das dann aber offenbar nicht. Die Tochter, die am Donnerstag mit auf der Wache erschien, konnte es nicht. Wenn aber jemand seine Schuld nicht zahlen kann, muss er ersatzweise in Haft: 40 Tage, hieß das für die Frau. Die Maßnahme, so die Bundespolizei kleinlaut, „sei keinem der beteiligten Beamten leicht gefallen. Aber Festnahme ist eben Festnahme“.
„An einer Oma können sie die Staatsmacht ausleben“, schimpften dagegen die Leute im Internet, und mancher empfahl dort, doch das Verhältnis auszurechnen: Dolce und Gabbana kriegen 20 Monate für 200 hinterzogene Millionen, eine alte Frau eineinhalb Monate für nicht mal 500 Euro! Und wie hoch wird eigentlich „das Strafmaß für Uli Hoeneß“? Man tue sich schwer, hieß es tatsächlich auch aus dem NRW-Justizministerium, „es ist ein bisschen problematisch“, aber immerhin sei die Frau schwarzgefahren. „Alter schützt vor Strafe nicht“, sagt Sprecher Detlef Feige. „Wenn ich eine Straftat begehe, muss ich mir der Konsequenzen bewusst sein.“
86-Jährige soll Putzstellen haben
Davon, dass die Angeklagte das war, soll sich der Richter im Prozess überzeugt haben. Sie gilt als rüstig, soll sogar mehrere Putzstellen ausgefüllt haben – die sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichte. Das Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg, in das sie von Gelsenkirchen aus vorsichtshalber eingeliefert worden war, entließ sie am Freitag ohne Befund. Trotzdem hätte das Wuppertaler Landgericht bei einem offenbar bereits eingeleiteten „Gnadenverfahren“ zu dem Beschluss kommen können, dass „unbillige Härten“ vorliegen. Man hätte dann die Strafe nachträglich aufschieben, zur Bewährung aussetzen oder ganz erlassen können.
Doch darauf muss die 86-Jährige nun nicht mehr warten. Die Bild-Zeitung löste sie am Freitagnachmittag aus. Bezahlte die 474 Euro, wie das Gesetz es vorsieht – tatsächlich ist es Justizia egal, woher das Geld kommt –, und die alte Frau durfte das Krankenhaus in Fröndenberg als freier Mensch verlassen. Justiz- und Verfolgungsbehörden beobachteten das mit Zweifeln: „Es ist die Frage, ob man ihr damit einen Gefallen tut“, hieß es aus Düsseldorf. Wuppertals Oberstaatsanwalt Wolf Baumert sagt es deutlicher: „Eigentlich ist das nicht der Sinn der Sache. Auch wenn sie einem leid tut – sie hat ihre Tat begangen.“