Köln. Die Geiselnahme in der Kölner Kindertagesstätte ist beendet. Die Polizei konnte den Täter am Abend überwältigen – nach einem langen, bangen Tag des Lauerns und der Psychologen-Gespräche.
Wenigstens sind keine Kinder drin. Alle 85 Mädchen und Jungen sind in Sicherheit, ein Jahr alt die Kleinsten, sechs Jahre die Großen, die an normalen Tagen die Kita an der Osloer Straße 1 besuchen. Das ist der einzige, aber ein großer Trost an diesem langen Tag von Köln, der schon morgens kein normaler mehr ist, sondern sein Gegenteil: der Tag, an dem zum ersten Mal in Deutschland in einer Kindertagesstätte eine Geisel genommen wird. Zehn endlose Stunden wird es dauern, bis die Polizei um 19.06 Uhr meldet: „Beamte einer Spezialeinheit haben den Leiter der Kindertagesstätte (51) soeben aus den Händen des Geiselnehmers befreit. Das SEK überwältigte den mit einem Messer bewaffneten Täter. Er wurde dabei verletzt.“
Beobachter berichten von „Lichtblitz“ und Detonation
Beobachter berichten von einem „Lichtblitz“ und einer Detonation. Was genau passiert ist? Die Menschen in Chorweiler rätseln weiter. Mitten in dieser schwierigen Trabantenstadt von Köln, wo die Hochhäuser in den Himmel wachsen, hat der Nervenkrieg gegen gegen viertel vor Neun begonnen. Da alarmiert eine junge Frau die Polizei. Sie habe ihren Sohn in den Kindergarten bringen wollen, sagt sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, habe ein Gerangel im Büro des Leiters bemerkt. Gleich darauf hätten Erzieherinnen ihr zugerufen, sie solle die Polizei holen. Man habe dann weitere Eltern gewarnt.
Auch andere Mütter erzählen, dass sie Geschrei aus dem Büro hörten. „Alle raus hier!“, soll der Leiter der Kita gerufen haben, seine Tür sei verriegelt gewesen; da kümmern sich die Erzieherinnen längst in fliegender Hast darum, die 17 schon anwesenden Kinder in geordneter Form wegzuscheuchen. Raus durch den Hintereingang! Weg über den Spielplatz!
Flatterbänder wehen im Wind
Zurück kommt über Stunden niemand mehr. Den ganzen Tag stehen Menschen auf den Balkonen, schauen hinunter auf das flache, rot geklinkerte Kita-Gebäude in der Mitte. Hingehen kann keiner, die Polizei hat das Zentrum Chorweilers großzügig gesperrt. Anwohner müssen zu Hause bleiben oder draußen, zum Warten ist das Foyer des Bezirksrathauses geöffnet. Flatterbänder wehen im Wind, Mannschaftswagen stellen sich quer. Da sind die dunklen Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos direkt am Gebäude, da sind in weiterem Abstand Sanitäter und Notärzte, Seelsorger, Mitarbeiter des Jugendamtes. Sie warten. Es ist kalt in Chorweiler.
Und die Geiselnahme hört nicht auf. Der Unbekannte hält den Leiter der Kita gefangen in dessen Büro am Eingang der Einrichtung. Der 51-Jährige soll leicht verletzt sein seit einem Gerangel am Morgen, der Täter ein Messer haben, heißt es, er fordere eine Million Euro und ein Fluchtauto, bestätigt die Polizei. Doch „wir haben die Fluchtmöglichkeiten ausgeschlossen“, sagt ihr Sprecher Lutz Flaßnöcker. Denn das ist die herrschende Lehre der Polizei in Nordrhein-Westfalen seit den frühen 90er-Jahren, seit dem Gladbecker Geiseldrama mit drei Toten: Ein Geiselnehmer kommt vom Tatort nicht weg. Jedenfalls nicht – lebend.
Den ganzen Tag über passiert von außen betrachtet: nichts. Man weiß, dass ein Psychologe durch die Tür mit dem Geiselnehmer spricht, die Polizei mit der Geisel telefoniert hat. Man richtet sich ein auf einen langen Tag, baut Flutlicht auf für den Abend. Dann geht alles ganz schnell.