Essen. .
Als sie zehn ist, überlegt sie mit der Mutter, wer wem ähnelt. Da gibt es Wesenszüge, die sie in der Mutter findet. Doch Augen, Haare, Nase, sie gleichen nicht denen des Vaters, nicht denen von Onkeln, Tanten, Großeltern. „Da hat meine Mutter mir erklärt, dass mein biologischer Vater nicht der Mann ist, den ich als meinen Vater kenne“, sagt Katja, die vor über 20 Jahren in der Essener Reproduktionsklinik „novum“ mit einer Samenspende gezeugt wurde und bisher vergeblich versucht hat, die Identität ihres biologischen Vaters zu klären.
Mit Spannung erwartet die junge Frau ein Urteil, das heute das Oberlandesgericht in Hamm verkünden wird. Denn Katja ist nicht allein auf der Suche. Wie sie ist die Geschichtsstudentin Sarah P. mit einer Samenspende in der Klinik von Dr. Thomas Katzorke gezeugt worden. Wie Katja will Sarah P. wissen: Wer ist mein Vater? Doch auch ihr bleibt der Mediziner die Antwort schuldig. Sie verklagte ihn, scheiterte in erster Instanz. In der zweiten nun sieht es aus, als würden die Richter ihr recht geben.
Rund 100 000 Kinder bundesweit sind mit Spendersamen gezeugt. Davon bis zu 30 000 in Katzorkes 1981 gegründeter Fertilisationsklinik „novum“. An Universitäten zumeist rekrutierte der Arzt bereits in den 80er-Jahren mit Aushängen. Je nach Qualität des Spermas gibt es pro Erguss zwischen 50 und 150 Euro – und die Zusicherung, die Spender-Identität bleibe geheim.
Zwei Karteikarten pro Mann – und eine chiffrierte Nummer
So sitzt der Arzt in seiner Samenbank Cryostore auf rund 5000 Portionen Sperma – und auf den Namen der Männer. Zwei Karteikarten je Spender hat er zu Beginn seiner Arbeit angelegt. In einem Safe bei einem Notar lag der Klarname nebst einer chiffrierten Spendernummer. In der Kartei in seiner Praxis, die Paare mit Kinderwunsch einsehen können, um Merkmale wie Bildungsstand, Größe, Haar-, Haut- und Augenfarbe des Spenders auszuwählen, findet sich lediglich die chiffrierte Nummer.
Das ging über Jahrzehnte gut. Doch nun ist die erste Generation der Spenderkinder erwachsen und stellt unbequeme Fragen, wo die Eltern dem Mediziner mit Babyfotos und Geburtsanzeigen bislang nur mit einem Dankeschön begegneten. Zu diesen unbequemen Fragen verweist Katzorke auf die Anonymitäts-Zusage. Obschon Urteile des Bundesgerichtshofs und UN-Kinderrechtskonvention klar besagen: Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung habe vor allen konkurrierenden Absprachen Vorrang. Damit wackelt die Anonymität. Und das Oberlandesgericht Hamm, vor dem die Geschichtsstudentin Sarah P. derzeit gegen Katzorke ins Feld zieht, um den Namen ihres biologischen Vaters zu erfahren, scheint der Argumentation der Klägerin folgen zu wollen.
Wie andere Spenderkinder, die sich im Internet Eiskinder nennen, weil der Samen der Väter aus auf 196 Grad gekühlten Stickstofftanks stammt, ist sie erwachsen geworden. Sie will sehen, wie die andere Hälfte, der sie vielleicht Augen und Nasenform verdankt, aussieht, will die eigenen Marotten im väterlichen Gegenüber wiederfinden und wissen: Welche Erbkrankheiten könnte ich haben?
Auch Katja treiben diese Fragen um. Auch sie wandte sich mit der Bitte um Nennung des Namens an Katzorke, traf ihn: „Es war ein freundliches Gespräch, in dem man mir Interesse, aber kein Verständnis für das Bedürfnis nach Informationen entgegengebracht hat.“ Klagen wollte sie nicht. „Mir war schnell klar, dass ich dann nicht mehr anonym bleiben kann und meine Eltern in die Öffentlichkeit geraten, wo ich sie nicht hinzwingen möchte.“
Der Weg ist in der Tat steinig. Seit vier Jahren ringt Sarah P. mit Katzorke um die Wahrheit, weiß mittlerweile immerhin, dass Spender Nummer 261 ihr Vater sein könnte. Vor Gericht allerdings hatte Katzorke betont, einige Unterlagen aus den 80ern seien verschwunden, als man nach dem Tod des Notars die Kartei mit den Namen an anderer Stelle habe unterbringen müssen. Sarah P. will das nicht glauben.
Bleibt der Essener Arzt bei seiner starren Haltung, droht ihm ein Zwangsgeld, im schlimmsten Falle gar Zwangshaft. Denn die „Zeitbombe“, wie er die potenzielle Gefahr durch die Spenderkinder und ihren Auskunftswunsch vor Jahren noch in einem Interview bezeichnet hatte, sie tickt weiter. Unklar ist, wie viele mit Samenspenden gezeugte Kinder über den Umstand ihrer Zeugung informiert sind. Fest steht, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ein rechtsfreier Raum ist.