Ikursk. . Der in Haltern geborene Hans Engberding hat das Reisen zu seinem Beruf gemacht. In Deutschland hat sich der inzwischen 60-Jährige in Sachen Bahnreisen und Flusskreuzfahrten zum Marktführer hochgearbeitet. Weltweite Touren. Selbst die New York Times widmete der Idee wiederholt ein paar Zeilen.
„Ein guter Arbeitstag“, sagt Hans Engberding, „beginnt mit einem Blick aus dem Zugfenster in die Taiga“. Plötzlich, ganz unerwartet, taucht der Mann auf. Irgendwie scheint er dem Nebel entstiegen zu sein, der majestätisch am frühen Morgen über den Baumwipfeln wabert. Mitten in den unendlichen Weiten Sibiriens. Turnschuhe, Jeans, Sweatshirt. Etwa 200 dieser wunderbaren Morgenimpressionen, gesteht er später, darf er genießen. Zwischen der Moskwa und dem Mekong. Auf den Galapagos-Inseln und oder in Australien. Jährlich.
Engberding hat das Reisen zum Beruf gemacht. Fernweh kennt er bereits seit seinen Kindertagen in Haltern am See. Dass er seine Träume von einst heute so exzessiv ausleben darf, hat er einem Missverständnis zu verdanken. „Ein falsch formuliertes Inserat“, erinnert er sich und lacht. Auf dem Gymnasium hat er in den 70er Jahren Russisch gelernt, war begeistert, studierte die Sprache in Freiburg. Und eröffnete anschließend eine Sprachschule in Berlin.
Um Geld zu sparen, annoncierte der heute 60-Jährige Mitte der 80er Jahre statt „Sprachkurs Russisch für die Reise“ kurz „Reisesprachkurs russisch“. Die Menschen waren begeistert, erhofften sich, in der UdSSR von Gorbatschow das kyrillische Alphabet, Danke und Bitte lernen zu dürfen. Engberding war entsetzt, musste umdenken. Buchte kurzerhand Vierbett-Abteile auf der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok.
Ein glücklicher Weltenbummler
Auf der Strecke büffelten die Reisenden, und Engberding tüftelte an einer Vision. „Lernidee“ heißt sein Unternehmen seitdem. Ein Vierteljahrhundert später hat sich Engberding zum Marktführer in Deutschland in Sachen Bahnreisen und Flusskreuzfahrten hochgearbeitet. Weltweite Touren. Selbst die New York Times widmete der Idee wiederholt ein paar Zeilen.
Engberding hat alle Voraussetzungen für einen glücklichen Weltenbummler. Er redet gern, hört zu, schaut genau hin, interessiert sich für fremde Kulturen, Menschen und ihre Geschichten. Im sibirischen Ulan Ude lauscht er mit der gleichen Höflichkeit dem altgläubigen Priester Sergej wie ein paar Kilometer weiter dem burjatischem Schamanen Ulek She.
Er sammelt Reiseziele wie andere Briefmarken
Kontraste schrecken ihn nicht ab, sie ziehen ihn an. Neugierde treibt ihn an, lockt ihn zu immer neuen Zielen. „Ich lasse gerade ein Schiff für Burma bauen“, erzählt er. Der bisher abgeschottete, geheimnisvolle Nachbar Thailands ist zu einer neuen Herausforderung geworden, jetzt, wo das Land sich langsam für den Tourismus öffnet.
Engberding sammelt Reiseziele wie andere Menschen Briefmarken. Dabei nimmt man ihm ab, das Erleben für ihn wichtiger ist als Geld scheffeln. Weil er selber nicht viel benötigt, steckt er einen Teil seiner Einnahmen in soziale Projekte. In Laos hat Engberding mit seiner Lernidee Regenwald gepachtet. „Auf dem Gebiet sorgt eigens engagiertes Personal für den Erhalt und die Aufforstung des Regenwaldes“, erzählt er. Mit dem Projekt will er die CO2-Emissionen, die er und seine Gäste bei ihren Flügen verantworten, wieder ausgleichen. Mit seiner Firma unterstützt Engberding einen Kindergarten in Kapstadt, Waisenhäuser im mongolischen Ulan Bator und im russischem Ikursk.
Einzige Extravaganz isteine quietschbunte Brille
Das ist der wahre „Luxus“. Jegliche andere Definition des Wortes ist verpönt. Engberding fliegt Economy – „da ist man als Chef Vorbild“ – steigt in kleinen Hotels ab, besitzt weder Auto noch Fernseher. Die einzige Extravaganz, die er sich erlaubt, ist seine quietschbunte Brille. Ein Unikat, das eine Designerin vor zehn Jahren als ihr Gesellenstück gebaut hat.
She, der Schamane, hat die letzten Geister beschworen. Engberding füllt noch einmal die Wodkagläser, lässt bei seinem Trinkspruch – „ein Muss in Russland“ – auf charmante Art die Frauen hochleben und mahnt danach zum Aufbruch. Am Baikal fällt die Abendsonne in den See. Engberding verschwindet in der heraufziehenden Nacht. So plötzlich, wie er am Morgen aufgetaucht ist.