Essen. . Der professionelle Testesser geht heimlich seiner Arbeit nach. Aber ist das überhaupt eine Arbeit? Und was, wenn’s mal nicht schmeckt? Wir fragten einen gefürchteten Restaurantkritiker – bei einem Kaffee.

Nennen wie ihn Werner Schulte. Auch wenn er nicht so heißt. Hier und heute in der Konditorei bestellt Schulte „einen Kaffee“ und sonst nichts. Ist aber die Ausnahme. Normalerweise ordert er, was die Küche des Hauses so hergibt. Vorspeise, Hauptgang, Nachtisch. Nicht nur, weil er Hunger hat. Vielmehr ist es sein Beruf. Schulte ist Kritiker für einen großen deutschen Restaurantführer und lebt im Ruhrgebiet.

Deshalb möchte er auch weder seinen Namen noch sein Foto in der Zeitung sehen. „Ich will das ja nicht so hoch hängen“, sagt Schulte. „Aber wenn mich das Personal erkennt, kann ich meinen Job nicht mehr machen.“ Er will ja nur ein Gast sein, wie alle anderen. Niemand, um den man besonders aufmerksam und freundlich herumscharwenzelt.

Gutes Essen hat er immer schon geschätzt. Angefangen mit den Kritiken hat Schulte aber erst Ende der 1980er. Zu einer Zeit, in der sich immer mehr Deutsche für hoch- und höherwertige Küche interessieren, habe er „klassisch das Hobby zum Beruf gemacht“, sagt er, um sich gleich darauf zu korrigieren. „Zu einem Teil meines Berufes.“ Journalist ist er damals nämlich schon. „Fachbereich Food.“

Der Kreis ist erlesen

Nun geht er regelmäßig in fremdem Auftrag essen. So wie ein paar Dutzend andere professionelle Tester auch. „Der Kreis ist relativ klein.“ Denn Feingefühl und gute Geschmacksnerven reichen nicht aus. „Das wichtigste ist Erfahrung. Je mehr man probiert hat, desto besser kann man vergleichen.“

Um dann einen gnadenlosen Verriss zu schreiben? So wie die Kritiker im Film, die mit ein paar Zeilen über Wohl und Wehe eines Gastronomen entscheiden? Schulte winkt ab. Alles Klischees. „Wir haben kein Interesse daran, jemanden fertig zu machen.“ Bei kleineren, noch unbekannten Lokalen, gibt Schulte deshalb auch nur Tipps, spricht Empfehlungen aus: „Es will doch in Kiel niemand wissen, wo man in Bochum schlecht essen gehen kann.“ Wo man dort gut essen kann, das kann er sagen. Im „Herr B“ gibt es „kreative pfiffige Küche“ und „Milchferkel, die mit zu den besten im Ruhrgebiet gehören“.

Nur bei den großen Namen der Branche, den Spitzenrestaurants zwischen Kiel und Konstanz gibt es nach Routinebesuchen auch schon mal Kritik. Wie im Fall des „regional bekannten Fischlokals“, wo beim letzten Besuch schottischer Lachs mit Sauerampfer und Stilmus serviert wurde. „Weich, wabbelig, geschmacksneutral“ hat Schulte den Fisch bewertet. Einem Lokal mit diesem Ruf „nicht angemessen“.

Ein Lieblingsessen hat Schulte nicht. „Ich probiere lieber immer wieder etwas Neues.“ Das ist nicht so schwierig, wie der Laie denkt. „Die Küchen dieser Welt kennenlernen zu wollen, dazu reicht ein Leben nicht aus“, hat er längst festgestellt.

Zu Hause kocht die Ehefrau

Zu Hause schwingt übrigens nicht Schulte, sondern seine Ehefrau den Kochlöffel. „Nein“, sagt sie, „es ist nicht schwierig für Werner zu kochen. Es muss nur alles frisch sein.“ Was ganz in ihrem Sinne ist. Deshalb haben die Schultes weder Gefrierfach noch Mikrowelle oder Friteuse in ihrer Küche. „Vermissen wir auch nicht.“

80, vielleicht 90 Mal geht Schulte in der Saison beruflich essen. Kurz vor Redaktionsschluss schon mal ein paar Wochen lang jeden Abend und manchmal mittags noch dazu. Irgendwann gibt er zu, ist es dann genug mit der aufgeschlagenen Austernschaumsuppe mit Champagner und Brunnenkressepürree oder Nougatmousse mit Malzbiereis. „Irgendwann wünscht man sich dann eine fettige Pizza. Oder Würstchen mit Kartoffelsalat.“ Ist bei den Kollegen nicht anders. Und für Schulte auch ganz selbstverständlich: „Man geht“, sagt er, „ja auch nicht jeden Abend in die Oper.“