Ruhrgebiet. . Dienstagfrüh, um 6 Uhr, begann der landesweit zweite Blitzmarathon. 24 Stunden lang wurden an insgesamt 2673 Messstellen Raser geblitzt. Messtrupp 2 der Poizeibehörde Bochum kam in Herne, Wattenscheid und Witten zum Einsatz. Mit mehr oder weniger „Erfolg“.
11 Uhr, die Männer von Messtrupp 2 stehen sich die Beine in den Bauch. Nichts los hier an der Sodinger Straße in Herne, wo sie seit 90 Minuten mit ihrem Laser geduldig auf Raser warten. „Fast wie beim Casting“, scherzt einer. Nur: Keine geeigneten Kandidaten zu finden. Blitzmarathon in NRW, und keiner fährt zu schnell?
Birgit Compernahs mag es kaum glauben. Es grenze an ein Wunder, versichert die Anwohnerin, dass hier noch kein Kind zu Tode gekommen sei, hier vor der Kita, die an der breiten Durchgangsstraße zwischen Autobahnzubringer und Gewerbegebiet liegt, wo sogar nachts die Laster so schnell unterwegs wären, dass die Gläser im Schrank klirrten. Zusammen mit Manuela Gerlach, deren Kinder die Kita besuchen, schlug sie die Stelle als Kontrollpunkt für den die zweite Auflage des 24-Stunden-Blitzmarathons in NRW vor.
Landesweit reichten 15 000 Bürger persönliche Wut-Punkte ein; allein 1229 waren es in Essen; 2673 Vorschläge wählte man aus. Mehr sei von 3300 Polizisten an einem Tag nicht zu schaffen, hieß es.
Kein Erfolg ist ein Erfolg
An der Sodinger Straße verhalten sich noch immer alle Verkehrsteilnehmer vorbildlich, mancher bremst in der Tempo-30-Zone gar auf 20 runter, vorausschleichender Gehorsam. Polizeioberkommissar Bodo Gutt am Laser versucht es mit Versprechungen („Komm in mein Netz, sagte die Spinne...“), Kollege Siegfried Klein ist dagegen über den ausbleibenden „Erfolg“ gar nicht böse: „Ich würde mich doch nicht besser fühlen, wenn wir 25 Autos rausgewunken hätten“, erklärt er. Die Messpatinnen nehmen’s gelassen. „Allein durch ihre Präsenz schärft die Polizei doch das Bewusstsein für die Gefahr“, sagt Manuela Gerlach, die Mutter.
NRW-Blitz-Marathon
„Der Innenminister wird zufrieden sein“, befindet Holger Lamsfuß, Leiter der Verkehrsinspektion der Polizei Bochum (zu der auch Herne und Witten gehören): Keine einzige „Feststellung“, kein einziges Knöllchen geschrieben. Um 11.35 Uhr bläst er als der Chef des Einsatzes zum Abflug. Messtrupp 2 zieht um nach Wattenscheid.
Messtrupp 2 zieht um
Kaum ist der Laser dort, an der Berliner Straße, ausgerichtet, als schon die erste rausgewunken werden muss: eine Frau, die mit 67 statt der erlaubten 50 km/h unterwegs war. Die fälligen 35 Euro zahlt sie mit Karte, da ist schon der nächste zu schnell und dann gleich noch einer. Anke Wiesborn und Ingrid Hochheim von der „Interessengemeinschaft Berliner Straße“, Messpatin dieses Wutpunkts, sind wenig überrascht. Seit Jahren fordern die Anwohner eine Fahrbahnverengung für die vierspurige Straße und „dass sich endlich alle an die Regeln halten“. Tun sie aber nicht. Obwohl die meisten doch wissen, dass Blitzmarathon ist. „Die ganze Zeit hab ich versucht aufzupassen“, sagt ein Mann im Corsa. Aber er sei „in Eile“. Ein älterer Herr im Mercedes entschuldigt sich mit einem „Überholvorgang“, ein junges Mädchen öffnet lachend die Tür („ausgerechnet heute“). Als sie aus dem „Unfallpräventionsbus“ steigt, wo man ihr ein „Schockvideo“ zeigte, lacht sie nicht mehr. „Ganz schön gruselig“, gesteht die 22-Jährige, und reagiert damit genauso so, wie erhofft.
24 Stunden Blitzer-Marathon
Denn „nicht um mehr Knöllchen, sondern um weniger Tote“ gehe es ihm, hatte Innenminister Jäger im Vorfeld der Anti-Raser-Aktion erklärt. Zwar ging die Zahl der Verkehrstoten in NRW in den ersten fünf Monaten des Jahres um 13 Prozent zurück. Was Jäger auch auf den ersten Blitzmarathon im Februar zurückführt, Aber auch weniger Tote sind noch immer: 207 Tote. Zu viele findet der Minister. Zu viele, glaubt auch der Gelsenkirchener, der nun in Wattenscheid gestoppt wird. „Ich war zu schnell. Ich muss zahlen. Völlig in Ordnung.“ Warum er zu schnell war? „Vielleicht liegt’s am Wagen?“, sagt er und legt die Hände lässig aufs hölzerne Lenkrad seiner Nobellimousine. Polizeihauptkommissar Frank Heu bleibt freundlich, wünscht ihm „jetzt noch einen schönen Tag“. Für den geblitzen Geschäftsmann aus Frankfurt, der nichts vom Blitztag in NRW wusste, hat er sogar noch einen Extra-Tipp. „Das geht bis morgen früh so weiter“, verrät er. „Schalten Sie besser den Tempomaten ein.“ Gehe nicht, sagt der Mann im aufgemotzten Skoda: „Der ist für die 18-Zoll-Felgen draufgegangen!“
Ausgeflogen in der Wallonie
Dann zieht Messtrupp 2 ein letztes Mal um. Am Nachmittag steht man vor der Wittener Waldorfschule, wo unter anderem ein Taxifahrer ins Netz geht. Am Ende der ersten Schicht haben Messtrupp 2 und die anderen 14 Teams, die in Bochum, Witten und Herne im Einsatz waren, schließlich knapp 6000 Fahrzeuge gemessen und 148 Tempo-Sünder zur Kasse gebeten. Nicht viel Geld für die städtischen Kassen, trotzdem eine positive Zwischenbilanz. Die man ähnlich überall im Land zieht. Ralf Jäger ist nämlich am Nachmittag tatsächlich sehr zufrieden. Die öffentliche Diskussion habe dazu geführt, dass die Autofahrer verantwortungsbewusster fahren, sagt er.
Die wahren Raser, sie sind vielleicht an diesem Tag aber auch nur ausgeflogen: in Belgiens Wallonie vielleicht. Dort wurde am Dienstag ein deutscher Autofahrer mit 280 km/h geblitzt. Erlaubt waren: 120!