Bochum. . Die Stadt ist überschuldet, das Opel-Werk steht womöglich vor der Schließung, auch das von Thyssen Krupp wackelt und Nokia ist längst weg. Wie lebt es sich in Bochum, einer Stadt, über der sich die dunklen Wolken ballen?

An Tor 4 wehen die gelben Fahnen mit dem Opel-Blitz, „Wir leben Autos“ steht darauf, doch die Männer, die aus dem Werk kommen, leben jetzt erst einmal den Feierabend. Sie scherzen laut, wie es Männer tun, sie freuen sich auf den Fußballabend, verabschieden sich, hupen, winken; es ist das lebende Gegenbild zum Klischee vom kleingemachten Opelaner. Tor 4, genau hier kommt am heutigen Montag die Betriebsversammlung zusammen. Verlieren sie die Zafira-Produktion? Verlieren – Opel Bochum? Das große Werbeplakat, das da hängt, das wirkt inzwischen zynisch: „Zafira. Nie war Flexibilität faszinierender.“

„Letzte Ausfahrt Bochum“

Bochum, was ist das? Überschuldete Stadt eventuell vor Schließung eines großen Werkes: Da reisen die Verelendungsjournalisten an, die in den letzten 25 Jahren – ohne Anspruch auf Vollständigkeit jetzt – auch schon Hattingen, Duisburg, Dortmund, Gelsenkirchen und Oberhausen entschlossen kaputt geschrieben haben. Ohne Erfolg, übrigens, aber hoffentlich war es wenigstens gut geschrieben. „Letzte Ausfahrt Bochum“ steht heute in der Zeitschrift „Spiegel“. Also, Bochum, was ist das?

Die Stadt gewordene Sozialdemokratie. Bochum ist gleicher.

In Stiepel wohnt der Süden in äußerst angenehmer Weise, aber den offenen Reichtum von Essen-Bredeney wird man hier nicht finden – und wenn ein Jaguar vorbeifährt, gucken die Leute. Der Norden hat Probleme, aber vom Elend einer Dortmunder Nordstadt ist er weit entfernt: kein öffentlich-rechtlicher Saufraum, nirgends. Den lustigen Dünkel in manchen Essener oder Dortmunder Leitungsetagen, man sei etwas Besseres als Ruhrgebiet, den gibt es nicht in Bochum. Dafür ist die Arbeitslosenquote 20 bis 30 Prozent niedriger als in den anderen großen Ruhrgebietsstädten. Und das seit Jahrzehnten. Bochum ist gleicher.

Auf dem Springerplatz in der westlichen Innenstadt standen seit den frühen 40er-Jahren 16 000 Tonnen Stahlbeton nahezu unverändert herum, was man gut verstehen kann. Doch im letzten Jahr wurde der alte Bunker komplett umgebaut: Das „SAE-Institute“ zog ein, eine private Fachhochschule für Medienberufe. Aus Luftschutzetagen wurden Tonregie-Räume und Filmschnitt-Studios, und ins Erdgeschoss zog im Winter ein Café mit großem Sonnendeck: „Treibsand“ heißt es und brachte Palmen mit. „Wir hoffen, dass wir jetzt langsam von dem Institut profitieren“, sagt Peter Schulze, der Inhaber. Und so kommt es zu der Momentaufnahme, dass im alten Nachtjackenviertel Springerplatz – „beinharte Gegend“, wie ein Nachbar über seinem Flammkuchen sagt – gerade Studentinnen chillen unter Palmen.

Bochum. Sozialdemokratie. Denn das ist doch Sozialdemokratie: Menschen Bildung anbieten, und wenn sie sich anstrengen, steigen sie auf aus ihren kleinen Verhältnissen. Die Ruhr-Universität bekam die Stadt noch für das ganze Ruhrgebiet, und mit allerschönster Symbolik legte man die U-Bahn so, dass sie von den Arbeitervierteln des Nordens zur Universität führt. Den Gesundheitscampus zuletzt bekam Bochum aus eigener Strukturschwäche. Doch dazu stehen in der Stadt inzwischen noch weitere fünf (Fach)Hochschulen. Die Politik könnte das als Plan verkaufen, tatsächlich war es eher Zufall. „Krise und Angst treiben den Wandel schneller voran als jede gezielte Politik“, so hat der inzwischen verstorbene Innovationsforscher Erich Staudt einmal diesen Mechanismus beschrieben.

Kein Plan, also. Zufall.

Und dann entdeckt man das Bochumer Wappen. Das zeigt: ein Buch. Da soll man nicht zum Verschwörungstheoretiker werden!

Nun entsteht die „Hochschule für Gesundheit“. Und auch auf der anderen Straßenseite sind Bagger zugange: „Ruhr-Universität, Neubau Sport.“ Ach, es ist ein fortwährendes Anstrampeln. Denn Nokia ist weg, Opel wackelt, Thyssen-Krupp auch. Das Problem ist: Die Stadt hat nur wenige Sitze großer Firmen. Bochum hat Zweigwerke und Außenstellen, die dann schneller hinten runter fallen. Industriebochum sieht man in diesen Tagen am besten, wenn man über die A 40 fährt und sich, wie passend, Stahlhausen nähert: Erst die Rodungen für das Autobahnkreuz haben den Blick eröffnet auf die Stahlwerke in all ihrer Massivität, auf Gleise, Strommasten, Werksbahn, Rohrleitungen. Man kann das beeindruckend finden, sehr beeindruckend; schön im engeren Sinn ist es nicht.

Das Denkmal ist ein Kuhhirte

„Du bist keine Schönheit“, hat Herbert Grönemeyer ja auch schon vor 20 Jahren gesungen. Was soll man noch sagen? Das halbe Kabinett Schröder kam aus Bochum und Umgebung (das war jetzt ein bisschen übertrieben. Aber: Sozialdemokratie!). Die Plätze in der Innenstadt sind benannt nach Widerstandskämpfern und Arbeiterführern, das zentrale Denkmal ist ein Kuhhirte, und wenn man die Dinge erst mal so ordnet, dann passt sich auch der „VfL Bochum 1848“ plötzlich ein: Im Umbruchjahr 1848 einen Turnverein zu gründen, einen der Vorgänger des Fusionsvereins VfL, das war ein revolutionärer Akt.

Peter Schulze, der Café-Besitzer im Bunker, hat eine Konzession bis 22 Uhr. Ein einziges Mal hat er da über die Stränge geschlagen, bei der Eröffnungsparty an Silvester. „Ich dachte, es ist schließlich Silvester“, erinnert sich Schulze. Dann kam ein unentspannter Brief vom Ordnungsamt. Bochum. Sozialdemokratie.