Dortmund. . 500 minderjährige Flüchtlinge kommen jährlich zu uns. In Dortmund gibt es für sie jetzt eine erste Anlaufstelle. Die Eltern der Jugendlichen sind tot oder sehen sich nicht mehr in der Lage, für die Kinder zu sorgen.

Als Ali in Dortmund ankommt, hat er einen Monat Flucht hinter sich. Auf einem Lastwagen Iran durchquert, im Auto die Türkei. Danach überwindet er, in einem Schlauchboot sitzend, den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros, muss zusehen wie andere ertrinken. Zu Fuß geht es weiter durch Griechenland, im Zug nach Deutschland. Ali, der afghanische Junge, ist gerade einmal 16. Er flüchtet ohne Eltern, ohne Familie. Ein junger Mensch unter Tausenden, die, vom Elend der Heimat getrieben, ihr Glück in Deutschland suchen.

Sie heißen Ali oder Didier, sie kommen aus Afghanistan, Algerien, Guinea und anderswo. 500 von ihnen strandeten im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen. Die Eltern der Jugendlichen sind tot oder sehen sich nicht mehr in der Lage, für die Kinder zu sorgen. In ihren Heimatländern herrschen Krieg wie in Afghanistan, Korruption und politische Unruhen wie im westafrikanischen Guinea. Die Stadt Dortmund begründete angesichts bundesweit steigender Zahlen im Sommer 2010 eine so genannte Clearingeinrichtung, ein Haus, in dem die jungen Menschen erst einmal aufgenommen werden, in dem ihre Situation geklärt wird.

„Da sind immer welche dabei, die sich älter oder jünger machen. Wir versuchen das zu klären und vor allem die Frage, wieviel Betreuung sie als Jugendliche brauchen“, erklärt Jörg Loose, der Leiter der von der Arbeiterwohlfahrt betriebenen Clearingstelle.

Ein angenehmer Ort

Das ehemalige Kinderheim der AWo im Dortmunder Norden ist ein angenehmer Ort, um zur Ruhe zu kommen. Modern, frisch renoviert, mit komfortablen Zweibett-Zimmern ausgestattet und gemütlichen Aufenthaltsräumen. 30 bis maximal 34 Jugendliche können hier die ersten Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland verbringen. „Die meisten von ihnen sind schwer traumatisiert. Sie schlafen schlecht, leiden unter Albträumen, können sich nicht konzentrieren“, sagt Nathalie Glauss von der Clearingstelle.

Und so sieht die Erstbetreuung durch die AWo denn auch erst einmal ganz Grundsätzliches wie die medizinische Untersuchung vor, Gespräche mit Psychologen und solche zur Klärung der Flucht. Wo kommt der Jugendliche her, warum machte er sich auf den Weg, was hat er erlebt. Offiziell in Obhut genommen durch das Jugendamt, geht es auch darum, alsbald einen Vormund zu bestellen und den Flüchtlingsstatus zu klären. Hat er, seltener sie, einen Anspruch auf Asyl oder lediglich auf eine Duldung im Land?

Straßenbahn fahren

Ali, der Junge aus Afghanistan, besucht wie alle anderen in der Clearingstelle bald den hauseigenen Deutschunterricht. Er lernt Lebenspraktisches, wie etwa sein Zimmer zu putzen oder die Straßenbahn zu benutzen. Alis Flucht dauerte einen Monat, die von manch anderem Jahre.

„Viele der Jugendlichen haben Gewalterfahrungen gemacht. Zuhause, im eigenen Land, manchmal auch unterwegs, mit den Schleppern, die sie wie Haussklaven benutzten oder gerade Mädchen auch zur Prostitution zwangen“, sagt Nathalie Glauss. Das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen, sei deshalb oft eine Frage von Zeit. Von viel Zeit. Nicht immer gelingt das. Manchmal bricht ein anscheinend stabiler Jugendlicher plötzlich unter besonderer Belastung zusammen. Und erst da wird das ganze Ausmaß seiner Situation deutlich.

Schulden abstottern

Manches können die Betreuer, die Sozialarbeiter der AWo auch nur erahnen. Kaum einer der Jugendlichen redet etwa darüber, wie er die Schlepper, die ihm bei der Flucht halfen, bezahlt. Wieviel das kostete, ob sie ihre Schulden womöglich in Deutschland abstottern müssen. Es heißt, es gehe um Beträge zwischen 10- und 15 000 Euro.

Drei Monate in der Clearingstelle sind nicht mehr als ein Anfang. Am Ende der Zeit soll im besten Fall geklärt sein, wie und wo der Jugendliche danach leben kann. In einer betreuten Wohngruppe etwa oder schon in einer eigenen Wohnung. Manchmal ist auch der Asylantrag schon gestellt. In Alis Fall ist klar, dass er in eine Wohngruppe ziehen wird. Er möchte einen Schulabschluss machen und Kfz-Mechaniker werden. Wenn’s gut läuft.