Duisburg.. War es die Zwickauer Terrorzelle? Der Duisburger, der vor acht Jahren angeschossen wurde, spricht nun über die Folgen. Er wurde nicht nur körperlich verletzt. Permanente Angst begleitet ihn seitdem, Freunde haben sich nach spekulativen Medienberichten abgewendet.
In der Nacht des 15. Dezember 2003 wurde Yussuf Y. (Name von der Redaktion geändert) in Duisburg-Meiderich das Opfer eines Attentats. Eine mit seinem Pkw verbundene Selbstschussanlage tötete den heute 42-Jährigen aber nicht wie geplant, sondern verletzte ihn durch einen glücklichen Zufall „nur“ schwer am Unterarm. Die Täter wurden trotz intensiver Ermittlungen der Duisburger Kripo nie gefasst. Nun sind Indizien aufgetaucht, dass die Rechtsradikalen der Zwickauer Terrorzelle auch hinter diesem Anschlag stecken könnten (wir berichteten). Im Interview mit WAZ-Redakteur Thomas Richter gewährte Y. Einblicke in sein Innenleben.
Herr Y., wie geht es Ihnen acht Jahre nach dem Anschlag?
Y: Ich habe jeden Tag Schmerzen im Arm. Da sind noch Metallsplitter drin. Die Polizei hat mir später erklärt, dass damals eine Patrone verwendet wurde, die nach dem Aufprall im Körper nochmals zersplitterte. Hätten die Ärzte damals alle Splitter herausgeholt, wäre eine Schädigung der Nerven möglich gewesen. Und dann hätten sie den Arm amputieren müssen.
Welche Auswirkungen hat das für Sie?
Ich kann keine Gitarre mehr spielen. Das ist sehr schlimm für mich, weil ich ausgebildeter Musiklehrer bin und vor dem Anschlag Sänger und Gitarrist einer bekannten türkischen Band war. Mir wurden die Musik und die Liebe zu ihr genommen. Zudem kann ich nicht mehr richtig greifen, zupacken und den Arm drehen. Ein Großteil der Unterarm-Muskulatur fehlt mir seitdem. Die Blutzirkulation funktioniert nicht mehr richtig. Es fühlt sich alles taub an, trotzdem habe ich Schmerzen. Und ich träume noch oft vom Anschlag, finde nur sehr schwer in den Schlaf. All diese Handicaps erschweren die Arbeitssuche. Denn ich habe nach der Tat auch meinen Job verloren. Und viele Freunde dazu.
Wieso das?
Die Boulevard-Presse hat damals natürlich auch groß über den Fall berichtet. Die Schlagzeile ging über die halbe Seite und lautete: „War das die Mafia?“ Für ganz viele Leute war das aber gar keine Frage mehr, sondern für sie stand durch diese Berichte fest, dass ich etwas mit Kriminellen zu tun haben muss. Und ohne noch einmal den persönlichen Kontakt zu mir zu suchen, haben sich ganz viele von mir abgewandt. Deshalb bin ich diesen Zeitungen auch im Nachhinein noch so böse.
Welche Erinnerungen haben Sie noch an die Tatnacht?
Ich sage es ganz ehrlich: Jetzt kommt alles wieder in mir hoch, alle Erinnerungen, alle Bilder im Kopf. Ich habe plötzlich das Gefühl, als sei es erst gestern passiert – und nicht vor acht Jahren. Ich weiß noch, wie ich in den Wagen gestiegen bin, der neben meinem Café in Meiderich auf einem Parkplatz abgestellt war. Ich habe den Wagen gestartet, wollte losfahren, aber meine Handy-Batterie war alle. Ich habe nach dem Ladekabel gesucht, das irgendwo im Fußraum hing. Als ich dort unten herumgekramt habe, ist der Wagen ein Stück zurückgerollt. Dann habe ich nur noch einen lauten Knall gehört.
Und dann?
Habe ich im Dunkeln nichts gesehen und bin heraus aus meinem Wagen. Wenige Meter entfernt war ein Taxistand. Und erst dort unter der Laterne habe ich gesehen, dass ich stark blutete. Ich stand unter Schock, habe dem Taxifahrer nur zugerufen: Fahr mich ins Krankenhaus! Erst waren wir in Hamborn, die haben mich aber gleich weiter zur Unfallklinik nach Buchholz transportiert. Dort wurde ich acht oder neun Stunden operiert. Ich habe die nächsten dreieinhalb Monate dort im Krankenhaus gelegen.
Wurden Sie dort von der Polizei vernommen?
Ja. Sie haben mich gefragt, ob ich einen Verdacht hätte. Ich habe erzählt, dass ich früher mit zwei Leuten Streit hatte. Beide wurden überprüft, beide hatten Alibis. Und beide sind zu mir ans Krankenbett gekommen, um mir zu sagen, dass sie für mich da sind. Da war mir klar, dass sie es nicht gewesen sein konnten.
Wer denn dann?
Die Duisburger Polizei hat sehr gute Arbeit geleistet. Sie haben mein gesamtes Umfeld befragt. Jeden, mit dem ich mal was zu tun hatte. Ohne Erfolg.
Hatten Sie denn früher etwas mit der rechten Szene zu tun, vielleicht Drohungen erhalten?
Nichts, absolut nichts. Ich hatte nie, nie, nie etwas mit Drogen, Schutzgeld und Frauen zu tun, oder mit Waffen. Ich habe nur mit meinem Kumpel ein Café in Meiderich aufgemacht, mehr nicht.
Halten Sie die Theorie denn für schlüssig, dass die Neonazis das Attentat auf Sie verübt haben?
Ich habe kürzlich gehört, dass einer der Vorbesitzer meines Cafés früher einen Treffpunkt für die rechte Szene aus Duisburg dort errichtet hatte. Vielleicht wurde deshalb ausgerechnet ich das Opfer der Neonazis, weil wir solche Leute nicht in unserem Laden haben wollten. Ich glaube auch, dass die Attentäter Angst in der türkischen Bevölkerung schüren wollten. Außerdem war ich Geschäftsmann – wie alle anderen Opfer auch. Aber all diese Zusammenhänge sind mir erst jetzt klar geworden. Ich hoffe, dass alles aufgeklärt wird. Die Täter haben mein Leben kaputt gemacht.
Hat die ständige Ungewissheit an Ihnen genagt?
Seit acht Jahren laufe ich nur mit Fragezeichen im Kopf herum. Wer war das? Warum war ich das Ziel? Immer wieder kamen diese Fragen hoch. Jemand wollte mich töten. Und ich erfuhr nicht, wer. Wenn ich heute über die Straße laufe, schaue ich 100-mal um jede Ecke. Ich mustere jeden Menschen. Könnte er oder sie der Täter sein? Das ist das Schlimmste: Ich kenne meinen Feind nicht. Und das war der Auslöser dafür, dass ich mich total zurückgezogen habe. Ich bewege mich nur noch in meinem engsten, vertrauten Kreis: meiner Familie. Die hat immer zu mir gehalten, die hat mich gerettet.